Die Wirtschaftskrise trifft Südamerika
12. Juli 2013Die Regierenden der wichtigsten Mitgliedsstaaten des südamerikanischen Wirtschaftsverbundes Mercosur - Brasilien, Argentinien und Venezuela - hatten nicht viel Grund zur Freude bei ihrem Treffen in Montevideo am Freitag (12.07.2013). Den drei größten Akteuren des Verbandes geht es wirtschaftlich nicht gut. Die Inflation ist hoch, das Wirtschaftswachstum gering und die nationalen Währungen verlieren an Wert.
Dabei sah es nach der weltweiten Finanzkrise, die im Jahr 2008 begonnen hatte, zunächst noch so gut aus. Die südamerikanischen Länder wurden von der Krise kaum getroffen. Brasilien verzeichnete rekordverdächtige Wachstumsraten von bis zu sieben Prozent im Jahr 2010, Argentiniens Wirtschaft wuchs sogar um neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Doch nun ist die Krise auch hier angekommen.
Zwar wächst die Wirtschaft in den drei Ländern noch immer. Doch vergleicht man die Zahlen mit den vorherigen Jahren, scheinen die aktuellen fast schon mickrig: Brasiliens Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs im ersten Quartal 2013 nur um 1,9 Prozent, Venezuelas um 0,7 Prozent und Argentiniens um drei Prozent. Die Zahlen Argentiniens sind jedoch stets mit großer Vorsicht zu betrachten. Unabhängige Agenturen sowie der Internationale Währungsfonds (IWF) werfen dem Land vor, seine Daten zu schönen.
Abhängigkeit von Rohstoffen
Ein Grund für den wirtschaftlichen Rückgang: Die Länder sind sehr stark von Rohstoffexporten abhängig. "Die internationale Nachfrage nach den Produkten, für die die Rohstoffe benötigt werden, geht zurück. Deswegen werden auch die Rohstoffe nicht mehr gekauft", erklärt Federico Foders, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kiel, im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Besonders markantes Beispiel für die Abhängigkeit von Rohstoffen ist Venezuela. Segen und Fluch zugleich ist hier das Öl. Das Land lebt praktisch nur von dessen Export. Doch die weltweite Nachfrage danach ist gesunken. Weder Hugo Chávez noch sein Nachfolger, Präsident Nicolás Maduro, haben es geschafft, das Land unabhängiger von dieser einseitigen Einkommensquelle zu machen.
Während sich das Land auf den Export des Erdöls konzentrierte, wurden so gut wie alle anderen Wirtschaftssektoren vernachlässigt. Anfang des Jahres waren teilweise sogar die Supermarktregale leer: Mehl, Zucker, selbst Toilettenpapier waren eine Zeit lang schwer zu bekommen, wie Venezolaner berichteten.
Gleichzeitig werden die Produkte immer teurer. Der venezolanische Bolívar ist so gut wie nichts mehr wert, die Menschen besorgen sich Dollarscheine und Euros auf dem florierenden Schwarzmarkt. "Das ist ein Zeichen dafür, dass der Handel im Land nicht mehr funktioniert", sagt Wirtschaftsexperte Foders.
Geld unter Matratzen und im Ausland
Gleiche Symptome, anderes Land: Auch in Argentinien wird die inländische Währung, der Peso, immer weniger wert und die Menschen besorgen sich ausländisches Geld auf dem Schwarzmarkt. Hinzu kommt, dass das Vertrauen in die inländischen Banken schwindet: Über 170 Milliarden Dollar sollen laut einer im Juli veröffentlichten Studie des nationalen Statistikinstitutes Indec unter argentinischen Matratzen oder im Ausland liegen. Zum Vergleich: Die inländischen Reserven Argentiniens betrugen im Dezember 2012 43 Milliarden Euro.
An dem fehlenden Vertrauen sei die argentinische Regierung selbst schuld, sagt der brasilianische Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Päpstlichen Universität São Paulos (PUC-SP), Antonio Carlos Alves dos Santos: "Argentinien hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Man weiß nie, ob die Inflationsraten stimmen oder nicht." Die argentinische Politik sei bestimmt von wirtschaftlichem Populismus, so der Professor weiter: "Das ist Argentiniens altes Problem."
Nach Zahlen der argentinischen Regierung lag die Inflation 2012 bei 10,8 Prozent. Unabhängige Institute gehen jedoch von 25,6 Prozent aus. "Es ist verständlich, dass Argentinien seine Zahlen schönt, schließlich müssen sie ja auch ihre Auslandskredite abbezahlen", sagt der Kieler Wirtschaftswissenschaftler Foders. Mit einem wertlosen Peso würde dies zu einem endlosen Trauerspiel ausarten, da die Zinsen für die Schulden an die inländische Inflationsrate gekoppelt sind. "Doch für die Konsumenten ist das Ganze nicht sehr schön", sagt Foders. Denn die Preise im Supermarkt steigen trotzdem weiter an, nur das Einkommen wird nicht größer. Schlussendlich werden die Produkte für die Menschen fast unbezahlbar.
Tomaten sind Gold wert
So wie die berühmte brasilianische Tomate. Im April wurde das Gemüse zum landesweiten Anlass zahlreicher Witze in den sozialen Netzwerken Brasiliens. Innerhalb von einem Jahr ist der Preis um 120 Prozent angestiegen, ein Kilo kostete auf dem Höhepunkt umgerechnet rund 3,50 Euro. Brasilianer verglichen die Tomate mit Gold und scherzten, dass Diebe auf der Straße kein Geld, sondern Tomaten verlangten.
Die Inflation lag in Brasilien in den letzten zwölf Monaten bei 6,5 Prozent. Das führte unter anderem auch zum Anstieg der Lebensmittelpreise - einer der Auslöser für die jüngsten Proteste in Brasilien. Trotzdem ginge es Brasilien im Vergleich zu den anderen beiden großen Wirtschaftsmächten des Mercosur, Venezuela und Argentinien, noch sehr gut, sagt der brasilianische Wirtschaftsexperte Santos. Gerade die Aussichten auf die kommenden Großveranstaltungen wie Fußballweltmeisterschaft und Olympische Spiele und die damit zusammenhängenden Investitionen in Infrastruktur würden die brasilianische Wirtschaft vorerst wieder stabilisieren, glaubt auch Foders: "Die Grundvoraussetzungen in Brasilien sind gut. Ich würde sogar sagen, dass es ab 2014 in Brasilien wieder bergauf gehen wird." Für Argentinien und Venezuela sieht der Experte jedoch vorerst keine Besserung.
Den in Uruguay stattfindenden Mercosur-Wirtschaftsgipfel könnten die Präsidenten der Länder dazu nutzen, um ihre wirtschaftlichen Probleme gemeinsam anzugehen. Das wäre zwar eine intelligente Lösung, sagt Foders, doch er persönlich glaubt nicht daran. Denn um die Lage zu verbessern, müsste auch über ein Freihandelsabkommen zwischen Brasilien und Argentinien diskutiert werden. Die Einführung einer solchen Maßnahme sei derzeit aber sehr unwahrscheinlich. Foders glaubt, dass die Zeit dafür noch nicht reif ist: "Vielleicht muss es noch schlechter werden, damit es zu einer Reform kommt."