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Wie zeitgemäß sind die Nobelpreise noch?

Fred Schwaller
7. Oktober 2024

Der Nobelpreis gilt als der "Mount Everest der Wissenschaft". Doch es gibt auch Kritik an der Auswahl der Gewinner. Wie relevant ist der Preis in einer Ära der globalen Forschung?

Eine Nobelpreismedaille während des Produktionsprozesses
Seit der ersten Verleihung des Nobelpreises im Jahr 1901 hat sich die Wissenschaft verändert - sollten es die Nobelpreise auch?Bild: JONATHAN NACKSTRAND/AFP/Getty Images

Jedes Jahr im Oktober klingelt bei ein paar Wissenschaftlern das Telefon und die Auserwählten erfahren, dass sie den Nobelpreis für Medizin, Physik oder Chemie gewonnen haben.

Überrascht und unter Umständen aus dem Schlaf gerissen, nehmen die Forschenden an einem Videoanruf nach Stockholm teil. Jetzt gilt es, den Medien in wenigen Minuten die Forschung eines ganzen Lebens zu erklären.

Die anwesenden Journalisten wiederum versuchen verzweifelt zu verstehen, was "Quantenpunkte" oder "verschränkte Photonen" sind. Sie schreiben ihre Artikel und atmen anschließend erleichtert auf, weil nun wieder ein Jahr lang Ruhe herrscht. In der Woche danach sind die Nobelpreise schon kein Thema mehr.

Hand aufs Herz: wen interessieren die Nobelpreise wirklich? Ist die 1901 erstmals verliehene Wissenschaftstrophäe mit all ihrem hochkarätigen Pomp und Zeremoniell heute noch aktuell?

Die Nobelpreise machen wissenschaftliche Entdeckungen populär. Aber vermitteln sie nicht einen falschen Eindruck davon, wie diese Entdeckungen gemacht werden? Und sind sie nicht zu voreingenommen, wenn man bedenkt, dass die Gewinner meist aus Europa und den USA kommen und männlich sind?

Die hehre Idee hinter dem Nobelpreis

Die Nobelpreise gehen auf den letzten Willen eines von Schuld geplagten Wissenschaftlers zurück: Alfred Nobel, Erfinder des Dynamits. Er wollte herausragende Wissenschaft derjenigen würdigen, "die im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben".

Nobelpreise dienen als bedeutsame Meilensteine für den wissenschaftlichen Fortschritt. Sie honorieren die schnelle Entwicklung von Impfstoffen, die während der Corona-Pandemie Millionen Menschen vor schweren Infektionen geschützt haben. Oder die Erfindung energiesparender LED-Leuchten. Und Technologien wie der Gen-Schere, mit denen sich zuvor unheilbare Krankheiten heilen lassen.

"Zweifellos sind sie der Mount Everest der Wissenschaft. Die Nobelpreise zeigen die Höhepunkte wissenschaftlicher Entdeckungen, und es besteht eine emotionale Bindung zu ihnen", sagt Rajib Dasgupta. Er ist Epidemiologe und Professor für Public Health an der Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi, Indien.

Marie Curie war Physikerin und Chemikerin - und die einzige Frau von bisher fünf Personen, die mehrfach einen Nobelpreis gewonnen habenBild: Bianchetti/Leemage/picture alliance

Können Nobelpreise Menschen für Wissenschaft begeistern?

Die mediale Aufmerksamkeit für die Nobelpreise unterscheidet sich von Land zu Land. In Indien werde die Verleihung genau verfolgt, sagt Dasgupta. Es gebe ein detailliertes Interesse, das über die bloße Nachricht hinausgehe. "Das Interesse rührt von der Ausrichtung des Bildungswesens auf MINT-Fächer in Indien her", so Dasgupta. Um das Interesse von Kindern für Naturwissenschaften zu wecken, sind die Nobelpreise Teil des Lehrplans an indischen Schulen. Und nicht nur in Indien.

Lily Green ist Biologielehrerin in Newbury, Großbritannien. Sie unterrichtet Kinder zwischen elf und 18 Jahren und hat im Unterricht die Geschichte der Nobelpreise behandelt. "Wir nutzen das, um die grundlegenden Konzepte der Wissenschaft zu lehren. Die besten Entdeckungen sind die, die die Phantasie der Kinder anregen - durch großartige Geschichten oder Skandale." Wie die von Barry Marshall, einem australischen Mediziner, der ein Reagenzglas voll Bakterien trank, um zu beweisen, dass Magensäure keinesfalls alle Bakterien abtötet.

Green zweifelt allerdings daran, dass es die Nobelpreise sind, die junge Menschen dazu bewegen, Naturwissenschaften zu studieren. "Sie sind in der Regel fasziniert und begeistert von der Wissenschaft, nicht weil sie einen Nobelpreis gewinnen wollen."

Der Mythos vom genialen Wissenschaftler

In ihren Anfangsjahren wurden die Nobelpreise meist an einzelne männliche Wissenschaftler vergeben, beispielsweise Albert Einstein oder Ernest Rutherford. Eine Frau wie Marie Curie war eine Ausnahme - und ist es bis heute. Curie wurde sogar mit zwei Nobelpreisen ausgezeichnet - eine doppelte Ausnahme also.

Auch mit Hilfe der Preise entstand die Idee des genialen Wissenschaftlers, der die Wissenschaft mit seiner schieren Brillanz im Alleingang voranbringt. In Wirklichkeit entsteht wissenschaftlicher Fortschritt allerdings ganz anders. Es bedarf der Zusammenarbeit hunderter Forschender rund um den Globus und aus unterschiedlichen Forschungsbereichen. Wissenschaft ist multidisziplinär und vielfältig.

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Heute werden Nobelpreise in der Regel zwischen Gruppen von Wissenschaftlern aufgeteilt. Für jeden Nobelpreisträger gibt es tausende anderer Wissenschaftler, Doktoranden und Techniker, die Teil der Forschung waren und Experimente durchgeführt haben. In der breiten Öffentlichkeit sind sie zumeist nicht bekannt.

Auch Lily Green findet, dass es im Zuge der Nobelpreise eine Tendenz gebe, die Arbeit einzelner Wissenschaftler zu übertreiben. Sie hat aber auch den Eindruck, dass die Vorstellung vom genialen Solo-Wissenschaftler schwinde.

"Wir lehren immer stärker, dass Wissenschaft eine gemeinschaftliche Anstrengung ist. Das hilft den Kindern zu sehen, wie viel Arbeit in wissenschaftlichen Entdeckungen steckt", sagt sie.

Mangelnde Vielfalt bei den Nobelpreisen

Die größte Kritik am renommierten Preis ist jedoch eine andere: Die Nobelpreisträger sind wenig divers und westliche Forschungsinstitute werden bevorzugt. In den Naturwissenschaften sind weniger als 15% der Nobelpreisträger Frauen. Insgesamt 663 Nobelpreisträger kommen aus den USA, Großbritannien und Deutschland. China hat acht und Indien zwölf Nobelpreisträger hervorgebracht.

"Die meisten Preise sind sehr verdient, aber dahinter steckt auch Politik. In vielen Ländern werden Forschungseinrichtungen übersehen, auch in Indien. Und sicherlich sind die Nobelpreiskomitees nicht so inklusiv, wie sie sein müssten", sagt Rajib Dasgupta.

Nobelpreise könnten diese Ungleichheit noch verschärfen: Gewonnene Preise und die damit einhergehende Anerkennung führen häufig auch zu mehr finanziellen Mitteln für die Forschung.

Dasgupta räumt allerdings ein, dass Forschungseinrichtungen in Indien und anderen Ländern besser werden müssten, um mit den USA oder Europa konkurrieren zu können. Nur dann seien diese Länder in der Lage, die Talente zu halten, die sie hervorgebracht haben.


Dieser Text wurde aus dem Englischen übersetzt.

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