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Welthandelsorganisation reloaded?

Rayna Breuer28. Januar 2013

Eine Organisation verübt Selbstmord: Seit Jahren wird über ein neues Abkommen zum Welthandel gestritten. Viele Länder entscheiden sich daher, bilaterale Verträge zu schließen. 2013 wird zum Schicksalsjahr.

Delegates pass in front of the World Trade Organization (WTO) headquarters in Geneva, Switzerland, Friday, 27 July 2006, prior to the opening session of the WTO General Council. EPA/MARTIAL TREZZINI +++(c) dpa - Bildfunk+++
Welthandelsorganisation Sitz in GenfBild: picture-alliance/dpa

Roberto Carvalho de Azevêdo, Anabel González, Herminio Blanco, Mari Elka Pangestu, Taeho Bark, Amina Mohamed, Alan John Kwadwo Kyerematen, Tim Groser, Ahmad Thougan Hindawi - nur Insidern werden diese Namen etwas sagen. Doch schon in diesem Jahr wird einer von ihnen Pascal Lamy auf seinem Posten als WTO-Generaldirektor folgen. Erst einmal müssen sich die neun Bewerber vielen Fragen stellen, ihre Visionen für die Zukunft der Organisation präsentieren und nicht zuletzt ihre Ausdauer unter Beweis stellen, denn die Auswahl, die Ende Januar (29. - 31.01.2013) beginnt, kann bis zu drei Monate dauern. Doch so hart das Auswahlverfahren für die Führungsposition auch sein mag, die Kandidaten wissen ganz genau, dass der schwere Teil erst nach Amtseinführung beginnt: die Rettung der Organisation.

Roberto Azevedo, einer der Kandidaten für den WTO-ChefsesselBild: Elza Fiuza/ABr

Tschüss, Doha!

2001 blickten die WTO-Mitgliedsstaaten noch sehr ambitioniert und optimistisch in die Zukunft. In Doha legten sie den Grundstein für eine neue Verhandlungsrunde - die sogenannte Doha-Runde. Das ambitionierte Ziel: allen Marktteilnehmern den freien Zugang zum Weltmarkt gewähren, durch den Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen den internationalen Handel stärken, und so allen zu mehr Wohlstand verhelfen. Vor allem Entwicklungsländer sollten von den neuen Plänen der WTO profitieren. Die katarische Hauptstadt sollte zum Symbol einer fairen und freien Neuordnung werden. Stattdessen führte sie zu Enttäuschung und Stillstand. Bis 2005 wollten die Akteure eigentlich die Verhandlungen über dieses Riesen-Reformpaket abschließen. Acht Jahre später ist nichts passiert.

"Jeder weiß, dass die Doha-Runde tot ist, aber keiner will es laut aussprechen", meint der WTO-Experte Simon Evenett von der Universität St. Gallen in der Schweiz. Vor allem die Entwicklungsländer, darunter speziell die Agrarländer, hätten ein Interesse daran, dass die Doha-Runde weiter am Leben gehalten wird. "Doch das Problem ist, dass sie nicht wissen, wie sie den Prozess der Verhandlungen beeinflussen können, um so etwa die Unterstützung der USA oder der anderen großen Länder zu gewinnen", so Evenett. Sein Fazit: Doha ist wie ein Zombie, nicht wirklich tot, und auch nicht lebendig.

Größter Streitpunkt ist die Landwirtschaft, die zu einem Bruch zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern führte. Müssen die reichen Länder ihre Subventionen für die Agrarwirtschaft streichen? Dürfen die Entwicklungsländer Zölle auf Importe erheben, um so ihre Produkte zu schützen?

Das Grundproblem ist die Komplexität von Doha - über 20 Themen sollten Platz in einem Gesamtpaket finden: Agrarprodukte, Industriegüter und Dienstleistungen sollten allgemein liberalisiert werden. Hinzu kamen noch Reformvorschläge für Abstimmungsverfahren und regulierende Maßnahmen in Kartellfragen oder Auslandsinvestitionen. Und damit nicht genug: "Zusätzlich haben sich die Mitgliedstaaten, damals insgesamt 155, für das Prinzip des 'single undertaking' entschieden, das heißt, alle Verhandlungsgegenstände der Runde müssen gemeinsam verabschiedet werden." Das macht das Ganze noch schwieriger, "denn alle müssen mit allem einverstanden sein", sagt Ricardo Meléndez-Ortiz von der Denkfabrik "International Centre for Trade and Sustainable Development". Diese Geburtsfehler zu beheben, ist der WTO bis heute nicht gelungen.

Skepsis in Russland zum WTO-Beitritt # 22.08.2012 14 Uhr # dwkwto10c # Wirtschaft kompakt

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Weltweiter Handel - ohne WTO

Der Stillstand in der Doha-Runde hat in den vergangenen Jahren ein Konkurrenzmodell zum multilateralen WTO-Abkommen hervorgerufen: Immer mehr Länder haben außerhalb des WTO-Regelwerks bilaterale Übereinkünfte abgeschlossen. Ein Netz von Freihandelsabkommen spinnt sich über den ganzen Globus. Da noch einen Überblick zu behalten, ist fast unmöglich. Der Haken daran: Die Vertragsparteien sind sich ihrem Verhandlungsgeschick selbst überlassen. Zwar bauen viele bilaterale Übereinkommen auf dem WTO-Recht auf, doch die Parteien bestimmen schließlich selbst die Regeln - was letztendlich die Machtbalance ins Wanken bringen kann: "Verhandlungen zwischen einem größeren Wirtschaftsland und einem kleineren könnten eine unfaire Beziehung hervorrufen, weil der Stärkere in der Lage ist, mehr Einfluss und Druck auszuüben. Und genau deswegen brauchen wir die WTO und den multilateralen Ansatz", sagt Meléndez-Ortiz. Denn nur im Rahmen des WTO-Regelwerks seien vor allem die kleinen und schwächeren Länder geschützt, meint Evenett von der Universität St. Gallen.

Eine neue Ära einläuten

Höchste Zeit also etwas zu ändern, die Verhandlungen in großer Runde wieder aufzunehmen und nach gemeinsamen Lösungen zu suchen: "Wir können nicht noch weitere zehn Jahre warten. Das wird die Zukunft der Organisation untergraben. Die Mitgliedstaaten werden akzeptieren müssen, dass die Doha-Runde nicht mehr verhandlungsfähig ist, es muss ein neues Paket erarbeitet werden. Je schneller, desto besser", sagt Evenett. Dafür müssten politische Zugeständnisse von allen Seiten gemacht werden, so der Handelsexperte.

Der Ausweg könnte im Kleinen liegen: "Man geht zunehmend dazu über, nicht nur noch von einem Paket zu sprechen", sagt Christian Tietje, Professor an der Martin-Luther-Universität in Halle. Das sage zwar keiner offen, doch alle hätten eingesehen, dass man sich mit der Doha-Runde übernommen hat. "So versucht man einzelne Sachbereiche, die man für die Entwicklung des weltweiten Handels als zwingend notwendig erachtet, zum Beispiel technische Fragen bei der Zollabwicklung, aus dem Gesamtpaket herauszunehmen und dafür Einzellösungen zu finden", so Tietje.

"Das Prinzip des 'single undertaking' sollte ebenfalls überdacht werden. Es werden derzeit Optionen verhandelt, wonach eine 'kritische Masse', also nur einige WTO-Mitglieder, sogenannte plurilaterale Abkommen abschließen können", sagt Meléndez-Ortiz. Da innerhalb der WTO mit Konsens abgestimmt wird, werden auch diese Länder zustimmen müssen, die sich dem Abkommen nicht anschließen wollen, doch "das ist eine der wenigen übrig gebliebenen Möglichkeiten, um überhaupt voranzukommen". So ein plurilaterales Abkommen müsse jedoch einige Voraussetzungen erfüllen, meint Meléndez-Ortiz: "Es sollte für alle offen sein, die später beitreten wollen und es muss das Prinzip der Meistbegünstigung garantieren." Dieses Prinzip verpflichtet ein WTO-Mitglied dazu, alle handelspolitischen Vorteile, die es einem WTO-Mitglied gewährt, auch allen anderen Mitgliedern zu gewähren.

Hallo, Bali!

Die Chancen, dass zum ersten Mal eine Frau den Chefsessel übernimmt, sind günstiger denn je - immerhin kandidieren drei erfahrene Frauen für den Posten. Und auch die Herkunft der Bewerber lässt vermuten, dass die WTO zumindest einen Imagewechsel anstrebt - acht von neun kommen aus Ländern, die nach WTO-Recht einen Entwicklungsstatus haben. Bislang stammten alle, mit Ausnahme des Thailänders Supachai Panitchpakdi, aus Industriestaaten. Doch wer auch immer Lamy nachfolgen wird, die wichtigsten Entscheidungen trifft nicht der Generaldirektor - das Sagen haben die Mitglieder auf der Ministerkonferenz. Die nächste findet Ende des Jahres auf Bali statt: Auf der indonesischen Insel soll es endlich gelingen, den Gordischen-Knoten, besser: den Doha-Knoten, zu zerschlagen und einen Ausweg aus der derzeitigen Verhandlungssackgasse zu finden. Der Zeitpunkt dafür ist längst überfällig.

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