1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Renaissance

21. April 2009

Jahrelang wollte sich keiner Geld vom Internationalen Währungsfonds leihen. Doch in der Finanzkrise ist er plötzlich gefragt wie nie.

Symbolbild IWF
Bild: AP Graphics/DW

Totgesagte leben länger. Diese alte Krimiweisheit erweist ihre Richtigkeit am Beispiel des Internationalen Währungsfonds (IWF). Über Jahre hinweg war er von einem schleichenden Bedeutungsverlust gekennzeichnet. Hätte sich das fortgesetzt, wäre seine Existenz gefährdet gewesen. In dem Maße, in dem sich die globale Finanz- und Wirtschaftskrise ausbreitet, wird der IWF mit seinen Kreditmöglichkeiten wieder stärker gebraucht. Immer mehr Länder mit Zahlungsbilanzproblemen bitten um Beistandskredite.

"Der IWF ist zurück im Geschäft", sagt sein geschäftsführender Direktor, der ehemalige französische Finanzminister Dominique Strauss-Kahn. Im Zuge der Krise sind bereits mehr als 100 Milliarden Dollar an Krediten an Staaten mit akuten Zahlungsbilanzkrisen vergeben worden. Zu den ersten Empfängern zählte Island, dessen Volkswirtschaft im Zuge der Bankenkrise zu kollabieren drohte. Mexiko bekam mit 47 Milliarden Dollar den bislang größten Beistandskredit zugesagt, Polen 20,5 Milliarden Dollar. Danach folgten Weißrussland, Lettland, Ungarn, Pakistan, Serbien und die Ukraine. Aber auch die Türkei, Rumänien, die Mongolei und Rumänien haben sich mit Hilferufen an den Internationalen Währungsfonds gewandt. Weitere Staaten werden folgen.

Bittere Medizin

Wieder Leben in der Bude: Das Gebäude des Internationalen Währungsfonds in WashingtonBild: picture-alliance / dpa

Danach sah es lange Zeit nicht aus. Der Währungsfonds saß auf liquiden Reservemitteln von 250 Milliarden Dollar und auf einer Goldreserve von 3.200 Tonnen sowie einem hochkarätigen Stab von Mitarbeitern. Aber niemand klopfte in der Zentrale in Washington um finanziellen Beistand und wirtschaftspolitischen Rat an. Denn die IWF-Medizin war für den Empfänger zumeist bitter. Die IWF-Experten knüpften die Vergabe von Beistandskrediten an rigorose Auflagen aus dem neoliberalen Instrumentenkasten. Denn der IWF verlangte regelmäßig den Abbau von Haushaltsdefiziten und Subventionen, höhere Leitzinsen und niedrigere Sozialleistungen. In einigen Ländern kamen die Regierungen, die den Ratschlägen des IWF folgten, durch Hungerrevolten ärmster Bevölkerungskreise unter Druck.

In weiten Teilen der Dritten Welt war der IWF als Knüppel der reichen Industriestaaten verhasst. Sich von ihm abzuwenden, fiel vor allem den Schwellenländern in den Jahren des weltweiten Wirtschaftsbooms leicht. Sie waren zu Zeiten des vielen und billigen Geldes bei Finanzkrisen nämlich nicht auf IWF-Kredite angewiesen, sondern konnten sich das Geld an den internationalen Kapitalmärkten ebenso billig und ohne die verhassten Auflagen besorgen. Auch vergaben einige Staaten mit hohen Rohstoffeinnahmen, etwa Venezuela, aus politischen Gründen Kredite in Konkurrenz zum IWF. Im Ergebnis geriet der IWF in eine arge Bedeutungskrise und in schwere Finanznot. Denn sein Rat wurde immer weniger in Anspruch genommen, außerdem fehlten die Zinseinnahmen für die Finanzierung des aufgeblähten Apparats.

Sparmaßnahmen

IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn: "Wir sind wieder im Geschäft"Bild: picture-alliance/ dpa

Betrugen die ausstehenden Kredite des IWF 2003 noch 100 Milliarden Dollar, so machten sie im Februar 2008 nur noch 15,6 Milliarden Dollar aus. Entsprechend sanken die Zinseinnahmen, mit denen der IWF seinen Apparat bezahlt. Das Defizit im IWF-Etat stieg auf 400 Millionen Dollar pro Jahr. Im vorigen Jahr wurde deshalb in großer Not neben allgemeinen Einsparungen die Verkleinerung des Stabes von 2.600 Mitarbeitern um 300 bis 400 Mitarbeiter und der Verkauf von mehr als 400 Tonnen Gold beschlossen. Aus der Anlage der Einnahmen aus dem Goldverkauf wollte der IWF sich weiter finanzieren.

Doch mit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ist das traditionelle Geschäft wieder in Gang gekommen. Der IWF ist gefragt – und zwar mit Geld und, wenn es denn sein muss, auch mit Rat. Großen Schwellenländern sowie rohstoffreichen Entwicklungsländern sind die Exporterlöse weggebrochen, viele Staaten in Osteuropa haben im Boom der letzten Jahre hohe Leistungsbilanzdefizite angehäuft. Währungskrisen und Staatsbankrotte drohen – und zwar in einem Ausmaß, das die finanziellen Möglichkeiten des Währungsfonds übersteigt. Deshalb haben die Staats- und Regierungschefs der großen Industrie- und Schwellenländer auf dem G20-Gipfel Anfang April in London eine drastische Aufstockung der Finanzmittel des Währungsfonds beschlossen – von bislang 250 Milliarden Dollar auf kurzfristig 500 Milliarden Dollar und mittelfristig 750 Milliarden Dollar. Am Ende sollen dem IWF sogar 1.000 Milliarden Dollar zur Verfügung stehen.

Reformen verlangt

Proteste in Island: Staatsbankrott durch IWF-Kredite verhindertBild: picture-alliance/ dpa

Von der kurzfristigen Kapitalerhöhung haben die Staaten der Europäischen Union 100 Milliarden Dollar übernommen, China beteiligt sich mit 40 Milliarden. Brasilien, Anfang der neunziger Jahre in chronischen Zahlungsbilanznöten und notorischer Großkunde des IWF, steuert 4,5 Milliarden Dollar bei, was selbst Staatspräsident Lula da Silva wundert: "Zwanzig Jahre meines Lebens habe ich als Oppositionspolitiker gegen den IWF agitiert. Nun kam mein Finanzminister und erklärte mir, dass wir dem IWF Geld leihen." Ganz uneigennützig ist das freilich nicht. Wie der IWF mit seinen Beistandskrediten Auflagen verbindet, so verlangen die Schwellenländer institutionelle Reformen des IWF. Vor allem geht es ihnen um höhere Kapitalanteile und mehr Stimmrechte. Zwar hat es erste Reformen gegeben, aber im Grunde bestimmen im IWF immer noch die alten Industriestaaten, was dazu führt, dass das kleine Belgien höhere Stimmrechte hat als das große China. Das wird sich ändern.

Mit der besseren Finanzausstattung des IWF können Löcher in den Staatshaushalten und Leistungsbilanzen gestopft werden, die durch den Rückgang von Exporten, durch die Rückzahlung von Krediten und durch ausbleibende private Kapitalzuflüsse entstehen. Die Türkei zum Beispiel muss im laufenden Jahr ausländische Kredite in Höhe von 50 Milliarden Dollar zurückzahlen. Da das dafür benötigte Geld auf den internationalen Kapitalmärkten nicht aufzutreiben ist, bleibt nur der Gang zum IWF. Ähnlich sieht das bei einer ganzen Reihe von osteuropäischen Staaten aus. Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise hat dem IWF eine so nicht erwartete Renaissance verschafft. Wenn alle anderen Mittel versagen, ist der IWF wieder gefragt.

Gewinner der Krise

Der IWF zählt zu den Gewinnern der Krise. Das betrifft nicht nur die Kreditvergabe, sondern auch Überwachung und Beratung. Wenn nämlich tatsächlich die Finanzmärkte stärker als bislang überwacht werden sollen, wie das auf dem G20-Gipfel in London beschlossen worden ist, dann muss dies nach weltweit einheitlichen Standards geschehen und international koordiniert werden. Dafür ist keine andere Organisation so geeignet wie die Internationale Währungsfonds. IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn erklärte vor der Frühjahrstagung 2009 Mitte April in Washington: "Der Internationale Währungsfonds ist bereit, diese Rolle zu übernehmen."

Autor: Karl Zawadzky

Redaktion: Rolf Wenkel

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen