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Politik

Die Wut auf Wiens Innenminister wächst

24. Januar 2019

Österreichs Innenminister Herbert Kickl strebt schärfere Asylgesetze an. Dafür hat er sogar die Europäische Menschenrechtskonvention in Frage gestellt. Österreichs Bundespräsident und Amnesty International sind entsetzt.

Österreich, Wien: Proteste gegen  Minister Herbert Kickl FPÖ
Bild: Reuters/L. Foeger

Die Provokation war erfolgreich. Nach seinem verbalen Angriff auf rechtsstaatliche Prinzipien wird Österreichs Innenminister Herbert Kickl von der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) von Kabinettskollegen und vom Bundespräsident Van der Bellen gerügt.

Kickl hatte in einem Interview mit dem Österreichischen Rundfunk ORF die Europäische Menschenrechtskonvention in Frage gestellt. Es gebe "irgendwelche seltsamen rechtlichen Konstruktionen, teilweise viele, viele Jahre alt, aus ganz anderen Situationen heraus entstanden, die hindern uns daran, das zu tun, was notwendig ist", erklärte er. Er beantwortete damit die Frage, ob Ausgangssperren für Asylwerber und eine rasche Abschiebung von Flüchtlingen an rechtsstaatliche Grenzen stoßen könnten. 

"Das Recht hat der Politik zu folgen"

Schätzt die Provokation: Österreichs Innenminister Herbert Kickl von der FPÖBild: imago/SKATA

Dann sagte er den Satz, der für die größte Aufregung sorgte: Er glaube immer noch, "das Recht hat der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht." Die Reaktionen auf diese Aussage von verfassungsfeindlicher Sprengkraft fielen scharf aus, abgesehen von der FPÖ, die ihrem Parteikollegen erwartungsgemäß den Rücken stärkte. Ohne Kickl namentlich zu erwähnen, schrieb Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf Twitter, die Europäische Menschenrechtskonvention stehe seit 59 Jahren im Verfassungsrang. "An ihr zu rütteln, wäre eine Aufkündigung des Grundkonsenses der Zweiten Republik."

Ein Politiker im "Machtrausch"

Wie der Bundespräsident erteilte auch Kickls Kabinettskollege Justizminister Josef Moser von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) dem Vorstoß eine klare Absage. Die Menschenrechtskonvention habe sich bewährt und sei zu beachten, erklärte Moser. Er wies Kickl auf das rechtsstaatliche Prinzip in der Verfassung hin: "Völkerrechtliche Vorgaben haben wir alle zu beachten", betonte Moser. Als kleiner Koalitionspartner der ÖVP ist die FPÖ seit Dezember 2017 Teil der Regierung von Kanzler Sebastian Kurz.

Besonders alarmiert äußerte sich Amnesty International Österreich. Der Innenminister sei seiner Verantwortung nicht nachgekommen, sagte Amnesty Geschäftsführerin Annemarie Schlack im Gespräch mit der Deutschen Welle. Kickl habe seine politische Ideologie über die Grundrechte aller Menschen gestellt. "Unserer Meinung nach handelt er im Machtrausch und hat jeglichen Bezug zu seinem Auftrag verloren."

Schlack betrachtet Kickls Aussage nicht als verbalen Ausrutscher, sondern vermutet dahinter eine Strategie. "Er hat sich auch schon früher durch solche Aussagen ausgezeichnet, als er noch Chefideologe der FPÖ war. Und wir beobachten durchaus, dass sich die Attacken auf die Menschenrechte häufen."

Als besonders gefährlich wertet die Amnesty-Geschäftsführerin, dass Kickl mit seinem Vorgehen "die Basis der Menschenrechte als Grundprinzip unseres Zusammenlebens in Frage stellt." Wenn man einer Gruppe wie den Asylbewerbern Rechte entziehe, "dann hat das Auswirkungen auf alle. Da werden wir klar dagegen halten."

Anschlags auf den Rechtsstaat?

Die Opposition fordert nun Kickls Rücktritt. Der ehemalige Verkehrsminister Jörg Leichtfried von der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) stellte klar, dass sich die Politik niemals über den Rechtsstaat stellen dürfe. Anschließend erhob Leichtfried harte Vorwürfe: "Innenminister Kickl hat einen schweren Anschlag auf den Rechtsstaat Österreich verübt", kommentierte er auf der SPÖ-Homepage.

Ende 2018: 17.000 Menschen demonstrieren in Wien gegen die Politik der rechtskonservativen Regierung Bild: picture alliance/dpa/H. Punz

Heftig kritisiert wurde Kickl auch von großen Teilen der österreichischen Medien. Einige von ihnen erinnerten daran, dass die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grundlage der Gesetze ausgeübt werden dürfe. Kickl sei als Minister Teil der Verwaltung, die Gesetze mache das Parlament. Der Innenminister müsse sich also an die Gesetze halten. 

Verfassungsjurist Karl Weber von der Universität Innsbruck stellte in der österreichischen Tageszeitung "Der Standard" klar, dass die österreichische Regierung gar keine Möglichkeit habe, die Europäische Menschenrechtskonvention abzuändern. Diese sei "ein völkerrechtlicher Vertrag, den nur der Europarat abändern könne. Österreich allein ist machtlos". Die Konvention sei Teil der österreichischen Verfassung. "Will man sie aus der Verfassung kicken", käme dies einer Gesamtänderung gleich. Darüber müsse dann eine Volksabstimmung erfolgen. 

Kickls Provokation - es ist nicht die erste - wirkt auf viele Beobachter angesichts sinkender Asylbewerberzahlen absurd. 2018 stellten nach Angaben des österreichischen Innenministeriums nur 12.529 Menschen einen Asylantrag. 2017 waren es noch 23.151 gewesen - was einen Rückgang von rund 46 Prozent bedeutet.

UNHCR lobt Willkommenskultur 

Dabei hieß Österreich in seiner jüngeren Vergangenheit Flüchtlinge durchaus mehrfach willkommen. Während zahlreicher Kriege und Krisen habe das Land Flüchtlinge aufgenommen und große Solidarität gezeigt, schreibt beispielsweise das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR in seinem Bericht zu "Flucht und Asyl in Österreich" von 2017.

Demnach suchten während der Ungarnkrise in den 1950er Jahren rund 170.000 Ungarn Menschen Schutz in Österreich. In den 1960er Jahren war Österreich nach dem Prager Frühling Zufluchtsort für knapp 200.000 Menschen. Die 90er Jahre waren stark vom Zerfall Jugoslawiens geprägt. Allein aus Bosnien wurden damals 90.000 Menschen aufgenommen. Im Jahr 2015 kamen erneut viele Schutzsuchende nach Österreich. Insgesamt waren es laut UNHCR rund 89.000 Menschen, die meisten von ihnen stammten aus Afghanistan und Syrien. Seitdem sei die Zahl an Asylanträgen wieder stark gesunken.

Österreich hat in der Vergangenheit auch Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommenBild: picture-alliance/dpa/L. Gouliamaki
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