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Politik

Die Zentralbank in den Fängen Erdogans

Daniel Derya Bellut
11. Juli 2019

Der türkische Präsident hat den Notenbank-Chef entlassen, weil er nicht seinem Willen folgte. Erdogan wollte damit die Wirtschaft ankurbeln - doch das Gegenteil ist eingetreten: Der zarte Aufschwung flacht nun wieder ab.

Türkei | Neuwahlen Istanbul | Wahlkampf | Erdogan
Bild: picture-alliance/Presidential Press Service via AP

Seit einem Jahr steckt die Türkei in einer heftigen Wirtschafts- und Währungskrise. Der Wertverlust der Türkischen Lira von bis zu 30 Prozent macht der Bevölkerung zu schaffen. Denn die Inflation treibt auch die Preise von Grundnahrungsmitteln in die Höhe. Aber die Situation stellt auch türkische Unternehmen vor große Probleme: Euro und Dollar sind heute doppelt so teuer wie vor drei Jahren - und damit auch die Ratenzahlungen für ausländische Kredite. Das Resultat: Die Wirtschaft schrumpft, die Staatsverschuldung steigt, die Arbeitslosigkeit ist hoch.

Für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan ist das gefährlich. Seine Popularität hat unter der Wirtschaftskrise bereits enorm gelitten. Doch Erdogan hat einen Sündenbock ausfindig gemacht: die türkische Zentralbank. Seit Monaten übten Erdogan und Finanzminister Berat Albayrak Druck auf die Zentralbank aus und verlangten niedrigere Leitzinsen. Dabei ist die gängige Wirtschaftslehre der Auffassung, dass niedrige Zinsen Inflation befördern. Lange trotzten die Zentralbanker dem Druck, seit Dezember 2018 haben sie den Leitzins bei 24 Prozent belassen. Erdogan und sein Finanzminister reagierten mit der Brechstange und drängten den Zentralbank-Chef Murat Cetinkaya zum Rücktritt. Da er sich weigerte, wurde er vergangenen Samstag kurzerhand entlassen und durch seinen Stellvertreter Murat Uysal ersetzt.

Zentralbank-Chef Murat Cetinkaya - zu eigenwillig für ErdoganBild: Getty Images/A. Altan

"Wir haben ihm wiederholt gesagt, dass die Zinsen gesenkt werden müssen. Wir sagten: wenn der Leitzins fällt, dann fällt auch die Inflation. Er hat aber nicht das Nötige getan. Wir kamen nicht auf einen gemeinsamen Nenner", lautet die Begründung Erdogans kurz nach der Entlassung Cetinkayas. 

Wirtschaftsexperten: Kurzfristig hui, langfristig pfui

Erdal Yalcin, Professor für Internationale Wirtschaftspolitik an der Hochschule Konstanz, kann Erdogans Ansatz nachvollziehen. Zwar habe in der "seriösen akademischen Literatur" die Argumentation, dass ein niedriger Zinssatz die Inflation abschwächt, keinen Halt. Dennoch erkenne er ein Kalkül hinter der Entscheidung des türkischen Präsidenten: "Wenn die Zinsen reduziert werden, dann können Unternehmen leichter Kredite aufnehmen und gelangen einfacher an billiges Geld. Dadurch wird der Konsum - auf Pump sozusagen - kurzfristig angekurbelt."

Erdal Yalcin: Die Zentralbank darf kein Instrument der Politik seinBild: Ifo-Institut

Die Regierung setze sich somit für ihr Klientel ein, sagt Yalcin: "Das sind unter anderem türkische Unternehmen, die auf Kredite angewiesen sind." Die Bevölkerung dagegen müsse einen weiteren Kaufkraftverlust der Währung verkraften.

Entlassung stoppt Erholung der Wirtschaft

Als verheerenden Schritt sieht Wirtschaftsprofessor Yalcin, dass die türkische Regierung so massiv in die Arbeit der Zentralbank eingreift, indem sie den Chef-Banker entlässt. "Die Erfahrungen der letzten 80 Jahre haben eindeutig gezeigt: Diese Institution darf kein Instrument der Politik sein, sonst leiden langfristig die Preisstabilität und das Wachstum darunter. Daher gibt es auch in nahezu allen Ländern der Welt eine Trennung."

Die Auswirkung von Erdogans Eingriff hatte unmittelbare Auswirkungen: Zum Börsenstart am Montag fiel der Wert der Lira im Vergleich zum US-Dollar schlagartig um fast drei Prozent. Dabei hatte sich die türkische Währung gerade erst gefangen: Von Mai bis Anfang Juli hatte sie rasant an Wert gewonnen. Auch die Gesamtwirtschaft erholte sich in dieser Zeit: Wie das türkische Statistikamt mitteilte, sank die Inflation im Juni auf 15,7 Prozent - das ist fast der Stand von vor der Wirtschaftskrise.

Ein entscheidender Faktor: S-400 

Der G-20 Gipfel in Osaka Ende Juni, bei dem sich US-Präsident Donald Trump und Erdogan trafen, stimmte die Investoren weiter optimistisch. Weil Ankara das russische Raketenabwehrsystem S-400 kaufen möchte, droht die US-Regierung mit Wirtschaftssanktionen. Doch in Osaka schlug Präsident Trump eher versöhnliche Töne an. Er zeigte Verständnis für den anstehenden Kauf; machte seine Vorgänger-Regierung dafür verantwortlich, dass sie der Türkei keinen guten Deal unterbreitet hätte. 

Ob die US-Wirtschaftssanktionen nun kommen oder nicht, wird sich in ein paar Tagen zeigen, denn dann trifft die erste Lieferung des Raketenabwehrsystems in der Türkei ein. Die S-400 werde zurzeit in Russland verladen, verriet Erdogan am Montag auf einer Pressekonferenz.

US-Sanktionen wären ein weiterer harter Schlag für die wacklige türkische Wirtschaft. Bereits im vergangenen August hatte die Trump-Regierung Strafzölle erhoben, nachdem ein türkisches Gericht die Freilassung des inhaftierten US-Pastors Andrew Brunson abgelehnt hatte. In der Folge rutschte die Türkei weiter in die Währungs- und Wirtschaftskrise ab.

Daher sind Investoren alarmiert, die Märkte waren ohnehin nervös - auch ohne die Entlassung des Notenbank-Chefs. Wirtschaftsexperte Yalcin: "Die Erosion historisch gewachsener öffentlicher Institutionen wie der Zentralbank schreckt ausländische Investoren nur weiter ab. Und sie verlieren Vertrauen."

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