Die Zerstörung Dresdens: Krieg, Propaganda, Zeitzeugen
12. Februar 2025
Victor Klempererverdanken wir einige der eindringlichsten Schilderungen der Luftangriffe auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945. Der Romanist und Sprachwissenschaftler hat das Inferno in seinen berühmten Tagebüchern festgehalten:
"Man hörte sehr bald das immer tiefere und lautere Summen nahender Geschwader, das Licht ging aus, ein Krachen in der Nähe… Pause des Atemholens, man kniete geduckt zwischen den Stühlen, aus einigen Gruppen Wimmern und Weinen – neues Herankommen, neue Beengung der Todesgefahr, neuer Einschlag. Ich weiß nicht, wie oft sich das wiederholte."
Victor Klemperers Tagebücher liegen in der Bibliothek
Klemperer, der zum Christentum übergetretene Jude, hat gleich zwei Tragödien überlebt: die Zerstörung Dresdens vor 80 Jahren mit bis zu 25.000 Toten und den Holocaust, also die systematische Vernichtung von sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens durch die Nationalsozialisten. Die Originale seiner historisch bedeutenden Tagebücher über die Nazi-Zeit von 1933 bis 1945 liegen heute in der Sächsischen Landes-, Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB).
Das Schicksal dieser trotz vieler Kriegsnarben immer noch wunderschönen Stadt ist ein Lehrbeispiel dafür, wie Legenden und Mythen absichtlich gestrickt werden. Und wie schwer es ist, gegen sie anzukämpfen – seien sie auch noch so falsch und verlogen. Ja, die alliierten Luftangriffe am 13. und 14. Februar 1945 waren so kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs militärisch fragwürdig. Aber das gezielte Bombardement, das auch viel Leid über Unschuldige brachte, ändert nichts an der Kriegsschuld des Deutschen Reiches unter Adolf Hitler.
Todesgedanken in den Stunden größter Not
Victor Klemperer überlebte mit viel Glück. Seinem Tagebuch vertraute er aber auch Todesgedanken an:
"Vor mir lag ein großer freier Platz, mitten in ihm ein ungeheurer Trichter. Krachen, Taghelle, Einschläge. Ich dachte nichts, ich hatte nicht einmal Angst, es war bloß eine ungeheure Spannung in mir, ich glaube, ich erwartete das Ende."
Und an einer anderen Stelle schreibt er:
"Ich konnte das Einzelne nicht unterscheiden, ich sah nur überall Flammen, hörte den Lärm des Feuers und des Sturms, empfand die fürchterliche innere Spannung."
Unverbesserliche Rechtsextremisten und Antisemiten werden solche zutiefst menschlichen Zeugnisse eines Überlebenden trotzdem kalt lassen. Zumal sie von einem stammen, den die Nazis gezwungen haben, den gelben Judenstern zu tragen. Den Nazis von heute geht es um Leugnung der Geschichte und Opfer-Kult. Deshalb übernehmen sie die Lügen ihrer verbrecherischen Vorbilder und schwadronieren über eine halbe Million Tote, die Opfer der alliierten Bombardierungen auf Dresden geworden sein sollen.
Historiker-Kommission widerlegt falsche Zahlen
Fakten ignorieren sie. Auch die überprüfbaren Erkenntnisse von Wissenschaftlern wie Thomas Widera vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung Dresden (HAIT). Widera gehörte zur Historiker-Kommission, die 2010 nach fünf Jahren Forschung und Spurensuche die Zahl der Opfer ermittelte: mindestens 18.000, höchstens 25.000. Andere Behauptungen konnten durch akribisches Aktenstudium und aufwändige Materialprüfungen ins Reich der Fabel verwiesen werden. Als Beispiel nennt Widera im Gespräch mit der DW Mutmaßungen über einige hunderttausend nicht registrierte Flüchtlinge unter den Toten.
Dass im Feuersturm 2000 Grad Hitze geherrscht hätten und dadurch zehntausende Menschen spurlos verbrannt sein könnten, auch das sei unzutreffend. Das habe durch Temperatur-Analysen ausgeschlossen werden können. "Sie widerlegen die Behauptung, Tote seien in großer Zahl zu Asche verbrannt oder nicht geborgen worden."
Die meisten Toten, sagt der Historiker, seien in den Monaten unmittelbar nach dem Angriff und nach Kriegsende bestattet worden. Dennoch blieb es noch lange unklar, wie viele Menschen tatsächlich im Flammen-Inferno ihr Leben verloren haben. Denn die systematische Enttrümmerung Dresdens habe erst Ende der 1940er Jahre begonnen. Dabei seien zwar noch menschliche Überreste gefunden worden - "allerdings nicht in großer Zahl".
Rechtextremisten missbrauchen Dresden als Aufmarschplatz
Zu DDR-Zeiten war schließlich von 35.000 Toten die Rede. Diese Zahl habe auf Registrierungen von Leichen und Hochrechnungen basiert, erläutert Widera. Immerhin kamen die Kommunisten den erst 60 Jahre später ermittelten endgültigen Zahlen wesentlich näher als die Nationalsozialisten. Deren Wiedergänger erkoren sich Dresden schon bald nach der deutschen Wiedervereinigung zu ihrem wichtigsten Aufmarschplatz. Mehr als 6000 Neonazis liefen auf dem Höhepunkt des braunen Spuks durch die Straßen der Stadt und gerieten oft mit linken Gegendemonstranten aneinander.
Lange schien die Stadt keine Idee zu haben, was sie gegen die als "Trauermarsch" verharmloste Neonazi-Kundgebung tun sollte. Doch diese Zeiten sind vorbei. Seit vielen Jahren wird mit einem facettenreichen Programm sowohl an die Bombardierung Dresdens als auch an die nationalsozialistische Vorgeschichte erinnert: Ausstellungen, Lesungen, Vortrags- und Theaterabende, Konzerte, Gedenkveranstaltungen auf Friedhöfen und in Kirchen.
Wenn es dunkel wird, bildet sich eine Menschenkette
Die Zivilgesellschaft wehrt sich. Immer wieder beeindruckend ist die Menschenkette, die sich seit 2010 am 13. Februar abends an den Ufern der Elbe und auf Brücken bildet. Tausende reichen sich dabei schweigend die Hände, um bei Glockengeläut der Opfer zu gedenken und gleichzeitig ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen.
Unter dem Leitgedanken "Zukunft durch Erinnern" hat die Stadt anlässlich des 80. Jahrestages der Bombardierung Zeitzeugen und Jugendliche aus Dresden und europäischen Städten eingeladen. So will man offiziellen Angaben zufolge vor allem der jungen Generation nahebringen, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit und kein Garant dafür sei, Diktaturen oder Unrechtsregime zu verhindern.
Junge Menschen treffen Zeitzeugen
Die Gäste im Alter von 18 bis 21 Jahren stammen aus Coventry (England), Breslau und Gostyn (Polen), Ostrava (Tschechien), Rotterdam (Niederlande), Straßburg (Frankreich), Salzburg (Österreich), Chmelnyzkyj (Ukraine) und Stuttgart (Deutschland). Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert freut sich über das internationale Treffen sehr: "Diejenigen, die sich noch erinnern, begegnen denen, die diese Erinnerungen in die nächste Generation und damit in die Zukunft tragen werden."
Es sei eine gemeinsame Aufgabe – heute wie morgen –, entschlossen für Demokratie, Freiheitsrechte und Frieden einzustehen, betont der gebürtige Dresdner. "Gerade in herausfordernden Zeiten wie diesen ist jedes Fünkchen Mut, jede kleine Tat ein wertvoller Beitrag."
Dieser aktualisierte Text basiert auf einem Artikel, der erstmals am 13.02.2020 veröffentlicht wurde. Das Audio-Interview mit dem Historiker Thomas Widera und das Video-Porträt von dem Zeitzeugen Ernst Hirsch stammen ebenfalls aus dem Jahr 2020.