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Die Zukunft des Fernsehens

Paul-Christian Britz (New York)19. November 2014

Der Medienwandel lässt nun auch die TV-Journalisten zittern. In den USA schauen junge Menschen kaum noch klassisches Fernsehen. Paul-Christian Britz aus New York, wo an Zukunftsplänen gebastelt wird.

Fernseher
Bild: picture-alliance/dpa

"Die gute Nachricht zuerst: Wir sprechen heute nicht über die Zeitungsbranche", scherzt Amy Mitchell vom Sozialforschungsinstitut PEW Research auf einer kleinen Bühne an der City University New York. Zwar sei TV noch immer die Nachrichtenquelle Nummer eins für Amerikaner, doch Grund zur Freude habe die Branche trotzdem nicht. "Amerikaner mögen immer noch Fernsehnachrichten", sagt sie. "Doch es geht bergab. Und zwar ziemlich schnell."

Studien von PEW zeigen, dass gerade die jüngere Zielgruppe, die 18- bis 29-Jährigen, vor acht Jahren noch zu 42 Prozent TV-Nachrichten konsumiert haben. Heute sind es nicht mal mehr 30 Prozent. "Mutige neue Visionen" für das Fernsehen der Zukunft fordert daher Jeff Jarvis. Der Journalismus-Professor hat TV-Reporter, Produzenten, Studenten, Unternehmer und Wissenschaftler an die Uni bestellt.

"Mutige neue Visionen"

"Wir wollen das Fernsehen nicht begraben, sondern neu erfinden", stimmt Jarvis die Teilnehmer ein. Erst als es schon zu spät war, hätten sich Zeitungsverlage aus Verzweiflung Gedanken über neue Möglichkeiten gemacht. Das Fernsehen müsse handeln, bevor die Verzweiflung einsetzt. Das Credo: Jammern und Schimpfen ist verboten. Statt über das alte System herzuziehen, bekommt jeder Teilnehmer fünf Minuten, um für seine neue Idee zu werben.

Jenni Hogan war jahrelang Moderatorin. Sie schlägt ein Nachrichtenspiel vor, bei dem Zuschauer und Moderator interagieren. Fernsehreporter Mark Briggs glaubt an personalisierte Nachrichten und setzt auf günstige Technik für Innovation.

Riyaad Minty hat den Bereich Social Media für den arabischen Sender Al Jazeera aufgebaut. Ihn interessiert, wie Menschen mit Nachrichten interagieren. "Wie kann ich Nachrichten mobiler machen und die Diskussion fördern?", fragt er.

Die Bedeutung des Dialogs mit dem Zuschauer unterstreicht auch Tom Keene, Moderator bei Bloomberg News. Er glaubt sogar, es sei das Einzige, was Zuschauer wollen: "Wir haben das getestet und getestet und getestet. Sie wollen nichts anderes," lautet sein Fazit.

Nachrichten müssen persönlicher werden

Zwei Begriffe tauchen im Sprech-Gewirr immer wieder auf: "Personal" und "Social". Gemeint sind damit auf die Nutzer zugeschnittene Meldungen, die sich leicht im sozialen Netzwerk teilen und diskutieren lassen. Die zwei Dutzend Vorschläge der Teilnehmern reichen von Apps für Handys und andere mobile Geräte über Sendungskonzepte für klassisches Fernsehen bis zu technischen Hilfsmitteln.

TouchCast zum Beispiel ist ein Programm, mit dem ein Reporter auf dem iPad seine eigene Nachrichtensendung produzieren kann - eine Art TV-Nachrichten-Studio für die Aktentasche inklusive Teleprompter für den Reporter. "Das Wissen eines Reporters eignet sich hervorragend für Formate, die wie eine Unterhaltung funktionieren", erklärt Edo Segal, der Touchcast mit entwickelt hat.

Edo Segal stellt die iPad-App TouchCast vorBild: DW/E. Schonfeld

"Wir sagen 'google das' oder 'youtube jenes' oder 'Hast du davon gehört?'", sagt Segal. TouchCast soll diese Sprache in Videoform umsetzen. Web-Inhalte wie Straßenkarten, Videos, Webseiten oder Tweets werden direkt in das Video integriert.

Will der Nutzer genauer hinschauen, kann er klicken und Landkarten oder Webseiten interaktiv nutzen. Die BBC News in Großbritannien setzt das System bereits ein.

Journalismus als Prozess?

Für viel Diskussion sorgt eine weitere Idee, die Vice News seit März dieses Jahres bereits umsetzt. Das Portal ist ein Nachrichten-Ableger der Firma Vice in New York. "Wir tauchen ein und nehmen die Menschen mit, während die Geschichte sich entwickelt, statt ihnen am Ende unsere Schlussfolgerung vor die Füße zu werfen", sagt Jason Mojica, Chefredakteur von Vice News.

Vice wurde vor 20 Jahren als Punk-Magazin gegründet und ist heute bekannt für seine Nah-Dran-Dokumentationen. Mojica ist überzeugt von dem Konzept: "Unsere Journalisten zu beobachten, während sie herausfinden, was zur Hölle eigentlich los ist, ist genauso wichtig wie das, was sie am Ende gefunden haben."

Je nach Einsatz kann das sehr weit gehen, zu weit sagen Kritiker. Für den Beitrag "Inside ISIS" begleitete Vice News Kämpfer der Dschihadisten-Organisation Islamischer Staat (IS oder auch ISIS) und gab ihnen viel Raum für ihre Ansichten. Damit könnte Vice News der IS als Propaganda-Kanal gedient haben, kritisierte eine New-York-Times-Journalistin bei einer Diskussionsrunde.

Nah-Dran-Journalismus fesselt junge Leute

Vice erreicht damit besonders junge Menschen, die sich vom klassischen Fernsehen abwenden, kooperiert aber auch mit Fernsehsendern wie dem US-Kabelsender HBO oder Spiegel TV in Deutschland. Warum sich das Unternehmen mit dem jungen Image den Klotz der alten TV-Welt ans Bein bindet, will Jeff Jarvis wissen. "Warum überfallen Menschen Banken?" kontert Mojica. "Weil da immer noch das Geld lagert. Im Fernsehen gibt es immer noch viel zu holen."

2012 soll Vice 175 Millionen Dollar Umsatz gemacht haben. Glaubt man Gründer Shane Smith, hat die Firma eine Gewinnmarge von 34 Prozent. Sollte Fernsehen morgen verschwinden, bleibt Vice seine Fangemeinde in sozialen Medien.

Allein "Inside ISIS" brachte Vice News in einem Monat dreieinhalb Millionen Aufrufe auf YouTube. Mit über fünf Millionen Abonnenten rangiert Vice unter den ersten Hundert YouTube-Kanälen. Ein starkes Verkaufsargument in Verhandlungen mit Werbetreibenden.

Den Journalismus auf den Kopf stellen

Die City University in New York will das Potential sozialer Gruppen on- und offline besser ausschöpfen und plant sogar einen eigenen Studiengang mit Namen "Social Journalism". Jeff Jarvis geht mit ambitionierten Plänen an den Start. "Wir müssen von der Idee wegkommen, dass wir fertige Inhalte produzieren. Das wäre nicht mehr das Modell, nach dem Informationen nachgefragt werden. Journalismus ist eine Dienstleistung für die Gemeinschaft."

Jason Mojita von Vice News (r.) und Jeff JarvisBild: DW/N. Fertig

Um das zu erreichen, "müssen wir den Journalismus auf den Kopf stellen", ist Jarvis überzeugt. Sozialer Journalismus müsse erst einmal die Gemeinschaft richtig kennen, für die er arbeitet, sagt Jarvis. Erst dann könne man sich daran machen, Inhalte zu produzieren.

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