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Die zwei Gesichter des Shimon Peres

9. Juli 2010

Er hat den Friedensnobelpreis gewonnen und gilt vielen als "Visionär": Israels Präsident Shimon Peres. Doch jetzt ist eine Biographie erschienen, die ein deutlich kritischeres Bild des mittlerweile 87-Jährigen zeichnet.

Israels Staatspräsident Shimon Peres (Foto:ap)
Israels Staatspräsident Shimon PeresBild: AP

Der israelische Staatspräsident Shimon Peres genießt weltweit einen ausgesprochen guten Ruf. Er ist ein gern gesehener Gast in den westlichen Hauptstädten, internationale Konferenzen schmücken sich mit seiner Anwesenheit. Selten wird sein Name ohne das Attribut "Friedenspolitiker" genannt. Überall, wo er auftaucht, eilt ihm der Ruf des Visionärs voraus. Wirklich überall? Nein, sagt die israelische Historikerin Tamar Amar-Dahl. In Israel selbst sei Peres weitaus weniger populär als im Ausland. Er sei dort durchaus umstritten. Und das liege daran, dass niemand wisse, wofür er eigentlich stehe. Obwohl er seit der Staatsgründung im Jahr 1948 in der israelischen Politik mitmische, zunächst als Beamter, später als gewählter Politiker, sei für die meisten Israelis unklar, welche Positionen er vertrete. "Bevor ich mit meinem Projekt begann, war auch mir nicht klar, wie er einzuordnen ist", sagte Amar-Dahl.

Eine Peres-Biographie in deutscher Sprache

Bild: Ferdinand Schöningh Verlag

Das Projekt der jungen Historikerin ist eine umfangreiche politische Biographie des israelischen Staatsmannes, die jetzt im Ferdinand-Schöningh-Verlag erschienen ist. "Shimon Peres - Friedenspolitiker und Nationalist" heißt das fast 500 Seiten dicke Werk, an dem die Autorin fünf Jahre lang gearbeitet hat. "Mein Buch ist eine Doktorarbeit", betont sie, es sei eine wissenschaftliche Analyse von Peres Schriften. Dafür hat Amar-Dahl Peres´ zahlreiche Bücher, Artikel und Interviews in ihrem jeweiligen historischen Kontext untersucht. Herausgekommen ist dabei das Bild eines schillernden Politikers, dessen facettenreiches und langes Leben durch eine Konstante geprägt war: den unbedingten Willen, im Zentrum der Politik zu stehen und den zionistischen Staat zu gestalten und abzusichern. Die Arbeit an dem Werk habe ihr nicht immer nur Spaß gemacht, sagt die Historikerin mit einem feinen Lächeln. Letztendlich aber habe es sich gelohnt, denn bislang sei ihr Buch in Deutschland sehr gut aufgenommen worden.

Lob und Kritik

Tamar Amar-Dahl, die Autorin der Peres-BiographieBild: Björn Duddeck

In der Tat kann sich Amar-Dahl über positive Besprechungen ihrer Peres-Biographie freuen. Der deutsche Historiker Hans Mommsen lobt das Buch als ein mutiges Werk, das eine äußerst kritische Bewertung von Peres politischem Wirken liefere. Sein Kollege Michael Stürmer spricht vom scharfsinnigen Buch einer zornigen jungen Frau. Doch es gibt auch kritische Stimmen, die der Autorin vorwerfen, die inner-israelischen Spannungen nicht genug beleuchtet und Peres außenpolitisches Wirken und seine außenpolitische Wirkung nicht genug gewürdigt zu haben. Auch Peres´ persönliches Leben wird nur am Rand gestreift. Amar-Dahl beschränkt sich in ihrer akribischen Untersuchung auf den Politiker Peres und seine für das Selbstverständnis Israels prägende Rolle. Der Staat Israel, so ihr Fazit, ist für ihn, den überzeugten Zionisten, die Antwort auf Antisemitismus und Judenverfolgung. "Ein jüdischer und demokratischer Staat in Eretz Israel, das ist Peres´ Ausgangspunkt und wenn man das versteht, dann versteht man auch, warum Israel es nicht schafft, mit seinem Nachbarn Frieden zu schließen", sagt sie im Interview mit der Deutschen Welle.

Peres und mit ihm die gesamte politische Elite Israels strebe das Ziel an, das Land der Urväter in Besitz zu nehmen, das ganze Land, vom Mittelmeer bis zum Jordan. Eretz Israel, also das Land Israel, könne nicht mit den Palästinensern geteilt werden. Sie könnten allenfalls als Minderheit im jüdischen Staat geduldet werden. In ihrem Buch heißt es: "Peres vertritt eine Exklusivhaltung: Der Judenstaat sei alleine für die Juden vorgesehen, wobei die Integration der arabischen Minderheit als ausgeschlossen, ja als unvorstellbar, gilt. Im Gegenteil. Die Militärregierung soll nicht nur dafür sorgen, dass diese Minderheit fern der Mehrheitsgesellschaft am Rande lebt. Sie soll diese Trennung richtiggehend symbolisieren: Demokratie für Juden, Militärregierung für Araber."

Mehr als sechzig Jahre in der Politik

Yassir Arafat, Schimon Peres und Jitzhak Rabin bei der Verleihung des Friedensnobelpreises 1994Bild: picture alliance/dpa

Seit der israelischen Staatsgründung 1948 ist Shimon Peres politisch aktiv. Als Mitglied der verschiedenen Inkarnationen der Arbeitspartei, als Parteivorsitzender, als Vertrauter von Israels Staatsgründer und erstem Ministerpräsident David Ben Gurion, als Generaldirektor im Verteidigungsministerium, als Waffenbeschaffer und Vater des israelischen Atomprogramms, als Minister in verschiedenen Ressorts, als Ministerpräsident und seit 2007 als Staatsoberhaupt Israels. Er ist ein unermüdlicher Politiker, der die Oppositionsarbeit verachtet und zu jeder Zeit politische Teilhabe anstrebt. Ein Stehaufmännchen, das nach jeder demütigenden Wahlniederlage – bis zu seinem zweiten Anlauf als Staatspräsident konnte Peres keine einzige Wahl für sich entscheiden – aufstand und erneut antrat. Er ist ein leidenschaftlicher Leser und Liebhaber der Künste. Wie ein Getriebener reiste er während seiner langen Laufbahn als aktiver Politiker durch die Welt. In Israel sagte man ihm nach, dass er kaum ein Wochenende in der Heimat verbringe. Stets sei er unterwegs, private und politische Kontakte seien für ihn dasselbe.

Im Ausland bekannt wurde Peres vor allem durch den Oslo-Friedensprozess, als dessen Architekt er gilt. Im Jahr 1994 wurde er, zusammen mit dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin und PLO-Chef Yassir Arafat dafür mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

"Tatsächlich versteht er sich als Friedenspolitiker", unterstreicht Amar-Dahl im Interview. Peres sei der Architekt des Oslo-Friedensprozesses und er versuche, sein Konzept vom Frieden durchzusetzen. Dieses Konzept aber könne nicht aufgehen, weil es die Rechte der Palästinenser negiere. "Peres´ Blick ist ausschließlich auf die Sicherheitsinteressen Israels gerichtet", so Amar-Dahl. In ihrem Buch urteilt sie noch schärfer: "Der Architekt von Oslo festigt die israelische Herrschaft in den Palästinensergebieten durch den Friedensprozess. Gleichzeitig gelingt es ihm, sich weltweit Anerkennung zu verschaffen, Israels Image aufzupolieren und Israel einige Jahre Friedenseuphorie zu bescheren. Mit diesem Handeln ist dem israelischen Nationalismus gedient, nicht jedoch der Versöhnung mit den Palästinensern".

Amar-Dahls Biographie ist ein lesenwertes Buch, das eine Fülle von Material über den letzten israelischen Politiker der Gründergeneration bereithält. Darüber hinaus macht es viele aktuelle Entwicklungen in der israelischen Gesellschaft verständlich und beleuchtet, warum der Friedensprozess seit Jahren feststeckt.

Tamar Amar-Dahl: Shimon Peres – Friedenspolitiker und Nationalist

Ferdinand Schöningh-Verlag, 2010, 471 Seiten, Euro 39,90

Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Thomas Latschan