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Diese Fabrik gehört Euch!

Jutta Wasserrab1. Februar 2014

3-D-Drucker oder Laserschneider - für Unternehmer sind das altbekannte Werkzeuge. Doch nun kommen sie unters Volk: In sogenannten Fab Labs kann jeder mit ihnen werkeln. Das könnte die Arbeitswelt auf den Kopf stellen.

Echse 3D Drucker Fab Lab in Aachen (Foto: Jutta Wasserrab)
Bild: Jutta Wasserrab

Gut Ideen haben René Bohne schon eine ganze Menge Lebenserwartung gekostet. "Vor allem am Anfang", sagt er und zieht seelenruhig eine Schublade aus einem Sideboard. Am Anfang hatte er vor lauter Euphorie – und wohl auch, weil er es nicht besser wusste – Material auf den Laser-Cutter gelegt, das da nicht hingehört. Bohne ist Informatiker. Eigentlich ist er in der Welt der Algorithmen zuhause. Nullen und Einsen, die weder rußen, noch stinken oder gar giftig sind.

Seit aber die Welt der Algorithmen in die Welt der Materie geschwappt ist, lernt Bohne im Schnelldurchlauf, wie er tolle Ideen verwirklichen kann, ohne seine Gesundheit zu strapazieren: In der Schublade liegen dünne Lederstücke. Leder ist so ein Material, das eigentlich nicht auf das Präzisionsschneidegerät gehört. Ist nicht giftig, stinkt beim Schneiden aber wie versengte Haut. Nächste Schublade: Plexiglas. Dankbares Material. Zack - dritte Schublade: Folien. "Sind eigentlich aus Vinyl", erklärt Bohne, und Vinyl ist giftig. Die Folie in der Schublade ist vinylfrei. "Teuer und schwer zu kriegen", erklärt Bohne und wechselt zu Schublade vier: Kunstpause, zärtlicher Blick. "Finnpappe", sagt Bohne, "unser Lieblingsmaterial!"

Druckfrisch! Die beiden Kugellager sind aus einem Stück, die Kugeln bewegen sich trotzdemBild: Jutta Wasserrab

Die Macht des 3-D-Drucks

Der Laser-Cutter ist Bohnes heimlicher Star in den zwei kleinen Räumen in der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen. Die Räume als "klein" zu bezeichnen, würde Bohne vermutlich ablehnen, denn gerade hat sich das sogenannten Fab Lab, das Fabrikationslabor räumlich vergrößert. Es herrscht noch Umzugschaos. Große Kartons stehen im Weg. Büroakrobatik vor einer Wand: Eine Mitarbeiterin steigt auf einen Stuhl, befüllt Fächer und Schuber, die an der Wand angebracht sind, steigt ab, dann wieder hoch. Ein paar Mal geht das so.

In Bohnes Büro, das Teil der Werkstatt ist, stehen drei 3-D-Drucker, Drucker aus denen kein Papier fliegt, sondern Plastikteile zum Anfassen. Die Drucker sehen ein wenig aus wie eine Kreuzung aus Motherboard, Holzkiste und Bohrfutter. Schwer zu glauben, dass diese Maschinen demnächst die nächste industrielle Revolution bringen sollen. Bohne allerdings ist überzeugt davon. In schon einem Jahr stünden 3-D-Drucker in jedem Supermarkt und wir stellten uns ein solches Gerät neben PC, Scanner und Papierdrucker auf unseren Schreibtisch.

Und wenn es sich anbietet, dann kaufen wir keine Massenware, sondern drucken einfach aus. Zum Beispiel am Wochenende, wenn der Zögling zwingend eine weitere Ritterfigur braucht, die Geschäfte aber bereits geschlossen haben. Andreas Neef, Geschäftsführer der Kölner Beratung für Zukunftsfragen Z-Punkt, drückt das so aus: "Wir haben verlernt zu warten." Und dieses "kindische Nicht-Warten-Können" präge nun unser Verhalten als Konsument. Insofern könne der 3-D-Drucker in Zukunft schon eine wichtige Rolle spielen, weil er verspricht, Dinge sehr schnell in der Nähe des Verbrauchers herzustellen.

Werden 3D-Drucker bald in jedem Haushalt zu finden sein?

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Schlechte Aussichten für die Logistikbranche

Jan Borchers, der eigentlich Professor ist am Lehrstuhl für Medieninformatik und Mensch-Computer-Interaktion der RWTH hat zusammen mit Bohne das Fab Lab 2009 ins Leben gerufen. Wie diese wichtige Rolle des 3-D-Druckers noch aussehen könnte, von der Neef spricht, davon hat Borchers schon konkrete Vorstellungen: Ein Waschmaschinen-Hersteller beispielsweise könnte in Zukunft seine Ersatzteile nicht mehr um den Globus schicken, sondern dem Händler vor Ort einen Drucker hinstellen, auf dem der die Ersatzteile einfach ausdruckt.

"Zack! Ist die ganze Lagerhaltung weg", freut sich Borchers und die Transportkosten spare man sich obendrein. "Ich will jetzt nicht den Teufel an die Wand malen", fügt er noch an, "aber die Logistik-Branche könnte vielleicht mittelfristig einen Einbruch erleiden."

Geräte wie Laser-Cutter, 3-D-Drucker, und Platinenfräsen gibt es in der Industrie schon seit längerem. "Werkzeuge der digitalen Fabrikation", nennt sie Borchers. Neu ist allerdings, dass sie nicht mehr hinter Fabrikmauern versteckt sind.

Jan Borchers, Gründer des Fab Labs in AachenBild: Jan Borchers

Jeden Dienstag verwandelt sich das Fab Lab in Aachen in eine offene Werkstatt, eine offene Hightech-Werkstatt. Dann kommen die Menschen von der Straße, denn das Fab Lab hat eine "klare Mission", wie Borchers sagt: Es soll einer breiten Masse zeigen, was die digitale Fertigung mittlerweile kann. Und die Handwerker, Hobbybastler, Rentner, Kinder - kurz alle Fab-Lab-Besucher sollen mit ihrem unverstellten Blick und ihrer unverbogenen Kreativität herausfinden, was mit den Geräten, die aus Dateien Gegenstände machen, letztlich alles möglich ist.

Großer Andrang

Es ist 13 Uhr, Hanna ist im Fab Lab. Sie studiert Produktgestaltung an einer Aachener Fachhochschule und arbeitet mit dem Laser-Cutter an einem Entwurf für eine Tasche. Dicker violetter Filz liegt auf Werkbank und Laserschneider. In manche Teile sind bereits feine, kunstvolle Muster hineingeschnitten. Hanna könnte den Filz bei einem kommerziellen Anbieter zuschneiden lassen und dann auch ihr Ergebnis sehen, sagt sie. "Aber es ist besser, es selbst auszuprobieren, hier zu sein", fügt sie hinzu. Und billiger. Hier muss Hanna nur ihr Material mitbringen. Der Rest ist kostenlos.

Hanna wirkt ein wenig unruhig. Die Zeit hängt ihr im Nacken. Nach einer Stunde muss sie ihren Platz für den nächsten Besucher räumen. Der Andrang auf das Fab Lab ist auch noch nach vier Jahren immens. "Das kriegen wir nicht ohne Terminverwaltung abgehandelt", sagt Bohne. "Das ist wie in einer Arztpraxis mit Warteliste." Oft sind drei Wochen im voraus alle Termine vergeben. In der Anfangszeit kamen die Leute aus ganz Deutschland, weil das Fab Lab in Aachen das einzige Deutschlands war. Seit es aber eine Handvoll Fab Labs in Deutschland gibt, kommen die Besucher hauptsächlich aus der Region.

Plastiksalat - wenn der 3-D-Drucker die Daten einmal nicht verarbeitet bekommtBild: Jutta Wasserrab

Die Fab-Lab-Idee kommt eigentlich aus den USA. Sie entstand am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston. Der Mathematiker und Physiker Neil Gershenfeld hielt es für eine fatale Fehlentwicklung, dass Handwerkskunst und Produktion seit der Renaissance getrennt sind – mit dem Ergebnis, dass wir seit der industriellen Revolution ungelernte Arbeit haben. Diesen Zustand will Gershenfeld überwinden - mit Fab Labs.

Konsumenten an die Werkbank

Für Gershenfeld stand fest: 20.000 Dollar genügen, um einen privaten Maschinenpark aufzubauen, der sich mit einem professionellen durchaus messen kann. Die Menschen müssen ihrer Kreativität dann nur noch freien Lauf lassen. Mit seiner Idee traf Gershenfeld offensichtlich den Nerv der Zeit. Fab Labs gibt es mittlerweile in vielen Ländern der Erde.

"Immer weniger Menschen erleben das Glück, eine Sache bis zum Ende zu machen", sagt Neef. Was in der normalen Arbeitswelt aufgrund der Arbeitsteilung nicht mehr möglich ist, erlaubten die Fab Labs. Dort träfen sich Menschen auch, um praktisches Wissen weiterzugeben, etwas, das in der normalen Arbeitswelt verloren gegangen sei. Und anders als in einer Töpferwerkstatt oder einer Hobbyschreinerei könnten Laien in einem Fab Lab mithilfe der IT Dinge zaubern "von hoher Qualität", sagt Borchers.

René Bohne wirft den Makerbot an...Bild: Jutta Wasserrab

Im Aachener Fab Lab entstehen Plastikdubletten wertvoller Madonnen aus dem 16. Jahrhundert, Kühlschrank-Ersatzgriffe, Schuhe aus dem Laser-Cutter, Obstschalen mit wildem Geschnörkel – oder Bauteile für den nächsten 3-D-Drucker. "Dazu muss ich kein Künstler sein", sagt Borchers, "ich kann Vorhandenes anpassen." Im Internet gibt es bereits jede Menge Web-Seiten, auf denen man Dateien herunterladen kann. Die könnten dem eigenen Geschmack angepasst werden. Im Fab Lab entsteht zwar bei weitem nicht nur Nützliches und Schönes, aber immer etwas, das man so nirgendwo kaufen kann.

Borchers denkt deshalb schon in größeren Dimensionen. Er sieht eine Veränderung der Massenproduktion, die auf individuelle Wünsche noch wenig Rücksicht nimmt. Die Individualisierung eines Produktes könne kostenlos erfolgen, sagt er: "Dem 3-D-Drucker ist es egal, ob er das Stück jedes Mal etwas anders druckt oder Tausend von derselben Sorte." Die eingestellten Maschinen der Massenproduktion hätten diese Flexibilität nicht.

Ein Fab Lab heißt geben und nehmen

Einen kleinen Haken gibt es allerdings schon noch: Die Graphikprogramme, die man für die Geräte braucht, seien nichts für Laien, sagt Bohne. Zu komplex. Die Geräte stünden eben auch deshalb bei den Informatikern, weil man ihre Software eigentlich auch nur mit Informatik bedienen könne. Das will Borchers ändern, der im Fab Lab auch eine Fundgrube für neue Forschungsaufträge sieht: Er sucht jetzt das "Microsoft Word des 3-D-Drucks", wie er sagt, ein Programm, mit dem auch Laien intuitiv umgehen können.

Borchers weiß auch, dass seine Forschungen das Fab Lab in Zukunft obsolet machen könnten. Je besser die Software, desto mehr Menschen werden sich tatsächlich einen 3-D-Drucker ins Haus stellen, vor allem die immer erschwinglicher werden. Und wer möchte dann noch in ein Fab Lab? Bohne bleibt da pragmatisch: „Wenn das Thema 3-D-Drucker langweilig ist, dann machen wir eben das nächste.“

... nach 15 Minuten ist der Druck fertig!Bild: Jutta Wasserrab

Und falls doch niemand mehr kommt, eine Bedeutung für die Zukunft werden Fab Labs trotzdem haben, glaubt Neef. In seinen Augen steht die nächste Automatisierungswelle an – bei den geistigen Arbeiten. Künstliche Intelligenz werde uns mehr Freizeit bringen, die wir sinnvoll nutzen müssten.

Und da kommen die Fab Labs wieder ins Spiel. Denn sie könnten ein Beispiel sein „für eine Zeit, in der man sich nicht zu einhundert Prozent in der Arbeit befindet, sondern in Bereichen, die zwischen gesellschaftlicher Verantwortung, eigener Freude und wirtschaftlicher Verwertung stehen“.

In der Werkstatt ist der Makerbot Cupcake CNC gerade dabei eine kleine biegbare Echse zu drucken. Der professionelle 3-D-Drucker ist noch in Revision. Man merkt René Bohne an, dass ihn das ein wenig fuchst. Die kleine Holzkiste, in der ein Metallkopf mit Düse gerade eine hauchdünne Plastikwurst Schicht für Schicht ablegt, könnte den Eindruck erwecken, der 3-D-Zauber habe mit Hightech und industrieller Revolution doch herzlich wenig zu tun. Auf der anderen Seite – diese einfachen Holzkisten vermitteln das, was 3-D-Drucker für Bohne schon lange sind – Normalität.

Und eigentlich mag er den Laser-Cutter ja ohnehin lieber. Und der darf heute mal ein wenig aus dem Schatten des professionellen 3-D-Druckers heraustreten, weil der ja wiederum bei der Revision ist. Der 3-D-Drucker kann ja eigentlich nur Plastik. Der Laser-Cutter hingegen kann jede Menge – solange es nicht rußt oder giftig ist. Mittlerweile hat Bohne neben dem Cutter auch eine mannshohe Abluft-Anlage. Bohne mag sie. Denn jetzt muss er für eine gute Idee nicht mehr so viel Lebenszeit opfern.

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