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Politik

Diesel-Strom als "Luxus": Drohende Energiekrise in Nahost

Kersten Knipp | Cathrin Schaer
6. April 2022

Durch den Krieg in der Ukraine steigen die Energiepreise weltweit. In Krisenländern wie Libanon und Irak dürften sich viele Bürger künftig noch weniger den lebensnotwendigen Strom aus Diesel-Generatoren leisten können.

Irak | Dieselgenerator in Baghdad
Gegen den Strommangel: Diesel-Generator in Bagdad Bild: Ali Al Saadi/AFP/Getty Images

Auch in diesem Sommer dürfte es wieder heiß werden in Bagdad. Auf bis zu 55 Grad könnten die Temperaturen steigen, weiß der irakische Journalist Kholoud Ramezi aus langjähriger Erfahrung. Dabei könnte die ohnehin schwer erträgliche Hitze die Bevölkerung dieses Jahr vor noch größere Probleme stellen als ohnehin schon. Denn der Preis für Diesel ist in den vergangenen Wochen enorm gestiegen. Und Diesel ist der wichtigste Treibstoff, um privat betriebene Stromnetze zu betreiben, an denen zu großen Teilen wiederum die Klimaanlagen hängen. Ohne deren Einsatz wäre die Sommerhitze für viele Iraker kaum erträglich. Doch Strom ist teuer. Viel davon zu haben, gilt in einem Land wie dem Irak fast schon als Luxus.

Stromversorgung per Diesel

Der Strompreis werde sehr hoch sein, befürchtet Ramezi. Im Irak wird der Strompreis in Ampere gemessen. Die Einheit gibt eigentlich die Stromstärke an. Die Möglichkeit, Hausgeräte mit Strom zu versorgen, hängt von der Ampere-Höhe ab. Er selbst habe sich für eine 10-Ampere-Stufe entschieden, sagt Ramezi. "Im März vergangenen Jahres habe ich für ein Ampere rund 10 US-Dollar (rund 9,10 Euro, Red.) bezahlt. Im März dieses Jahres waren es 16 US-Dollar. Es würde mich nicht wundern, wenn die Preise pro Einheit auf 25 US-Dollar steigen."

Im Irak wird der Strom auf zweierlei Weise in die Haushalte gebracht. Ein Großteil kommt aus dem nationalen Stromnetz. Dieses ist allerdings konstant überlastet. Meist versorgt es die Bevölkerung nur zwischen zwei und fünf Stunden pro Tag. "In der heißesten Zeit des Sommers sind es aufgrund der hohen Belastung sogar noch weniger Stunden", klagt Ramezi. Parallel dazu gibt es lokale, meist von privaten Generatoren versorgte Netze, die die Stromausfälle des regulären Netzes kompensieren und einzelne Viertel oder Nachbarschaftsquartiere versorgen. "Ich selbst nutze dieses private Netz mehr als das nationale Netz", berichtet der Journalist. "Iraker, die einen Generator betreiben, werden leider mehr bezahlen."

Das aber können sich längst nicht alle leisten. "Einkommensschwache Familien entscheiden sich vielleicht für sechs oder vielleicht auch nur drei Ampere." Mit sechs Ampere könne man Kühlschrank und Licht, aber keine Klimaanlage betreiben, so Ramezi. Drei Ampere wiederum reichten gerade, um einen Ventilator zu betreiben. "Für Menschen, die sich keinen Strom leisten können, wird es dieses Jahr sehr heiß werden. Aber was sollen sie tun? Wenn die Preise steigen, haben sie keine Wahl."

Privater Stromgenerator für 270 Haushalte in BagdadBild: Sabah Arar/AFP/Getty Images

Überhitzte Generatoren

Der Irak ist nur eines von mehreren Ländern im Nahen Osten, die unter gestiegenen und aufgrund des Ukraine-Kriegs weiter steigenden Strompreisen leiden. Auch im Libanon dürften diese den Menschen noch zu schaffen machen. "Bereits jetzt kämpft das Land mit einer Wirtschaftskrise, die man schon fast als wirtschaftlichen Kollaps bezeichnen kann", sagt Anna Fleischer, Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung im Libanon. "Das Problem ist die Hyperinflation. Die libanesische Währung hat über 90 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Viele Menschen haben ihre Arbeit und ihre Einkünfte verloren."

Das wirke sich auch auf die Stromversorgung aus. "Teilweise erhalten wir aus dem nationalen Netz am Tag nur für ein, zwei Stunden Strom", so Fleischer im DW-Gespräch. Das habe dazu geführt, dass die ohnehin bereits weit verbreitete Selbstversorgung mit Generatoren noch mehr zugenommen habe. Teils liefen die Generatoren bis zu 22 oder 23 Stunden am Tag. "Aber einen solchen Generator kann man nicht den ganzen Tag laufen lassen, sonst überhitzt er", so die deutsche Stiftungs-Vertreterin. Das habe viele Stromausfälle zur Folge. "Wenn nun auch noch die Dieselpreise steigen, kann man sich ausmalen, dass viele sich das irgendwann nicht mehr leisten können, die Generatoren am Laufen zu halten."

Belasten dürfte die Energiekrise im Libanon vor allem ältere und schwächere Menschen, erwartet Anna Fleischer. "Das sind etwa jene, die in Krankenhäusern behandelt werden, in Pflegeeinrichtungen leben oder für die es gesundheitlich einfach erforderlich ist, nicht in der Hitze der Stadt zu sitzen."

Improvisierter Kreislauf: Stromleitung in Beirut Bild: Joseph Eid/AFP

Tonnenpreis verdoppelt

Die Hintergründe der schon vor dem Ukraine-Krieg schwelenden Energiekrisen im Libanon und im Irak unterschieden sich, sagt der Politologe Anas Abdoun, Analyst bei dem Energie-Beratungsunternehmen Stratas Advisors. "Der Libanon importiert seinen gesamten Kraftstoffbedarf. Der Irak hingegen produziert zwar Diesel, doch die Menge reicht nicht aus, um den Bedarf seiner eigenen Bevölkerung zu decken." Das liege im Wesentlichen daran, dass die lokalen Raffinerien aufgrund mangelnder Wartung nicht mit voller Kapazität arbeiteten, so Anas Abdoun. Zwar seien die Preise subventioniert, dadurch allerdings trotzdem nicht von den Weltmarktpreisen abgekoppelt. "Das bedeutet, dass der Preis an der Zapfsäule trotz staatlicher Subventionen steigt", so Abdoun im DW-Gespräch.

Über die Dimensionen der Krise für den Libanon weist auf Twitter der Ökonom Mike Azar, Gründer des Blogs "Finance 4 Lebanon", hin. Ende vergangenen Jahres habe die Tonne Diesel im Libanon 600 Dollar (547 Euro) gekostet. Jetzt koste sie 1300 Dollar (1185 Euro). Derzeit stiegen die meisten Importpreise, kritisiert er, nicht nur der Preis für Diesel. Zudem sehe sich der Libanon angesichts der steigenden Rohstoffpreise angesichts seiner Abhängigkeit von Importen einem enormen Risiko gegenüber. "Das Risiko ist allgemein bekannt. Die aufeinanderfolgenden Regierungen haben nichts getan, um das Land darauf vorzubereiten."

Zuspitzung befürchtet

Könnte die Krise sich auch politisch in Form weiterer Proteste äußern? Das lasse sich seriös natürlich nicht vorhersagen, sagt Anna Fleischer von der Böll-Stiftung. "Man kann aber annehmen, dass sie sich in weiten Teilen der Region zuspitzt, besonders hier im Libanon." Das politische und soziale Klima ist dort angesichts der schon länger andauernden politischen und wirtschaftlichen Krise stark angespannt.

Auch im Irak könnte es wieder Proteste geben, erwartet der Analyst Anas Abdoun: "Die Menschen in Basra zum Beispiel haben während der heißen Sommermonate, wenn die Temperatur auf 60 Grad steigt und die Luftfeuchtigkeit 80 Prozent beträgt, wiederholt gegen Bundes- und Provinzregierung demonstriert. Schon in der Vergangenheit habe dies in Basra und anderswo im Irak mehrfach zu Toten und Verletzten geführt. Es sei daher auch jetzt nicht auszuschließen, dass die sich verschärfende Energiekrise und daraus folgende neue soziale Härten den politischen Unmut und die Wut vieler Iraker erneut eskalieren lassen könnten.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika