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Digitale Katatrophenhilfe

Daniela Späth5. Dezember 2013

Zerstörte Straßen oder eingestürzte Häuser: Bei Unglücken sammeln Plattformen wie Ushahidi wichtige Infos aus sozialen Netzwerken. Eine Software sortiert für die Helfer tausende Tweets und Posts.

Die Philippinen nach Taifun Haiyan am 23. November 2013 (Foto: picuture alliance/dpa
Die Philippinen nach Taifun Haiyan am 23. November 2013Bild: picture-alliance/dpa

Eine Viertel Million Tweets gab es innerhalb der ersten drei Tage nach dem Taifun Haiyan: Durch diese Flut an Kurznachrichten musste sich Patrick Meier vom Qatar Computing Research Institute (QCRI) und sein Team wühlen, um die wichtigsten Informationen auf der Open-Source-Plattform Ushahidi zu veröffentlichen. Ushahidi ist eine Art Schnittstelle, auf der nicht nur Informationen aus klassischen Medien, sondern auch aus E-Mails, Twitter-, Facebook- und SMS-Nachrichten gebündelt werden können. Eingestürzte Gebäude, zerstörte Straßen oder Essenausgabestellen - all dies kann auf der Karte abgebildet werden.

Um bei den Datenmengen den Überblick zu behalten, helfen Ehrenamtliche bei der Auswertung: Sie bestimmen die GPS-Koordinaten des gemeldeten Geschehens, verorten sie auf einer Karte und kümmern sich darum, dass die Karte immer auf dem aktuellsten Stand bleibt. Ohne die zahlreichen Freiwilligen weltweit, den sogenannten "Digital Humanitarians", wäre es laut Patrick Meier nicht möglich, solch ein detailliertes Bild der Lage vor Ort zu erstellen.

Patrick Meier über die freiwilligen Helfer

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Hilfsorganisationen vor Ort können mithilfe dieser Karten einen Überblick darüber bekommen, wo noch Hilfe benötigt wird. Zumindest theoretisch. Denn nicht alle trauen den sogenannten Crisis-Mapping-Tools wie Ushahidi. "Nur weil jemand mehrfach irgendwo in einem Tweet um Hilfe ruft, heißt es noch lange nicht, dass es nicht woanders Menschen gibt, die die Hilfe viel dringender brauchen", sagt Christian Hörl, stellvertretender Leiter für internationale Zusammenarbeit des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Trotzdem seien Plattformen wie Ushahidi für das DRK zumindest ein Anhaltspunkt. "Wir verlassen uns dann aber doch mehr auf die eigenen Erkundungen vor Ort", sagt Hörl.

Ushahidi für Wahlen in Kenia entwickelt

Ushahidi (Swahili für "Aussage" oder "Zeuge") stammt von einem Technologieunternehmen aus Kenia. Die Open-Source-Software kann frei heruntergeladen und für eigene Zwecke angepasst werden. Zum ersten Mal wurde Ushahidi während der Unruhen bei den kenianischen Wahlen 2008 eingesetzt. Ein Jahr später folgte eine Karte zur Wahl in Indien. Al-Jazeera experimentierte im gleichen Jahr mit dem Karten-Tool, um die Unruhen am Gazastreifen zu dokumentieren.

Mittlerweile hat sich Ushahidi auch als Tool für humanitäre Katastrophenhilfe etabliert. Für diesen Zweck wurde es erstmals nach dem Erdbeben in Haiti 2010 eingesetzt. Patrick Meier, der damals für die Crisis-Mapping-Abteilung von Ushahidi zuständig war, baute mit rund 300 Freiwilligen die Plattform auf. Schnell wurden große Organisationen auf Ushahidi aufmerksam: Das Welternährungsprogramm (WFP) bat um Hilfe, um die GPS-Koordinaten von Vertriebenenlager festzustellen. Und auch das Rote Kreuz, die US-Küstenwache und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) nutzten es für ihre Zwecke. Sogar das DRK griff damals auf die Plattform zurück: "In Haiti gab es von staatlicher Seite nicht viele gute Informationen. Da haben Crisis-Mapping-Tools wie Ushahidi einen Mehrwert geliefert", sagt Hörl. Auf den Philippinen hingegen seien Hörl und seine Kollegen nicht unbedingt auf Ushahidi angewiesen, da die offiziellen Stellen sehr gute Bilder und Karten zur Verfügung stellen.

Große Datenmengen rollen auf die Freiwilligen zu

Ushahidi ist jedoch nur eine Plattform unter vielen. Die Ärzte ohne Grenzen arbeiten auf den Philippinen mit den Karten des Humanitarian OpenStreetMap Teams (HOT). Auch Google ist mit einer eigenen Karte vertreten (Google Crisis Mapping), weitere Karten liefert die Organisation Crisis Mappers. Um den Überblick zu bewahren, kümmern sich Mitarbeiter des Amtes für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (OCHA) darum, die Informationen der vielen Karten zu einem einheitlichen Bild zusammenzufügen.

Auch Google stellt eine Karte mit seinen Informationen über den Taifun zur Verfügung

Eine Reihe von Tools unterstützen die Freiwilligen bei ihrer Arbeit, wie zum Beispiel MicroMappers. Unter den Begriff fallen mehrere kleine Programme - sogenannte "Clickers"- mit denen Freiwillige per Mausklick Multimedia-Inhalte analysieren und bewerten können. Außerdem ist MicroMappers darauf spezialisiert, Tweets anhand ihrer Relevanz zu erkennen. Dadurch reduziert sich der Anteil der Tweets, der manuell ausgewertet muss, auf rund 80 Prozent.

Patrick Meier über große Datenmengen

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Aber nicht nur die Größe der Daten bereitet Meier und seinen Kollegen Kopfzerbrechen. Sondern sie fragen sich auch, inwiefern man den Daten glauben kann. Mit dem Indraprastha Institute of Information Technology in Delhi arbeitet Meier deshalb gerade an einer Open-Source-Lösung. Es soll eine Art "Glaubwürdigkeits"-Plugin für Twitter entstehen, das automatisch Tweets nach ihrer Plausibilität bewertet und sortiert.

Videoanalysen als Frühwarnsystem

Auch Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Intelligente Analyse- und Informationssysteme (IAIS) in Sankt Augustin bei Bonn beschäftigen sich mit der Nutzung großer Datenmengen für das Katastrophenmanagement. In einem ihrer Projekte analysierten sie Videoaufnahmen der Loveparade in Duisburg 2010, bei der 21 Menschen im Gedränge ums Leben kamen. "Mithilfe unserer Analyseverfahren konnten wir Menschendichten und Bewegungsströme auf neue Art ermitteln, die sich über die Zeit verändert haben", sagt Hendrik Stange vom Fraunhofer IAIS. Mit diesem System lassen sich Bewegungsmuster der Menschen in nahezu Echtzeit analysieren, sodass sich das Verhalten von Gruppen in kritischen Situationen erkennen und voraussagen lässt.

Ähnlich wie Daten aus sozialen Netzwerken, hält auch die Analyse von Videodaten einige Tücken parat: "Wenn die Wissenschaftler die Welt gestalten könnten, wäre alles sehr systematisch, weil Computermodelle damit sehr gut umgehen können. Zum Beispiel, wenn die Kameras immer in der 90-Grad-Vogelperspektive nach unten blicken", sagt Stange. Das sei in der Regel aber nicht der Fall. So entstünden unterschiedliche Blickwinkel auf die Realität. "Die Herausforderung liegt in der automatisierten Analyse und Verschmelzung der verschiedenen Daten zu einem ganzheitlichen, verlässlichen Lagebild", ergänzt Stange. Genau daran forscht das IAIS gemeinsam mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BKK) im EU-Projekt INSIGHT.

Datensicherheit und Privatsphäre

Patrick Meier über Datensicherheit

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Die Analyse der Daten allein reicht jedoch nicht aus. Es muss auch jemanden geben, der weiß, wie man mit der Interpretation der Daten umzugehen hat. Deshalb setzt das IAIS auf "Lernspiele", die Entscheidern und Einsatzkräften aufzeigen sollen, wie sie in Krisensituationen richtig reagieren.

"Mithilfe von Serious Gaming-Ansätzen kann man die Menschen trainieren. Denn es ist gar nicht so einfach, in einer Krisensituation die richtige Entscheidung zu treffen, wenn man sie selbst noch nicht durchgespielt hat", sagt Stange. Denn trotz der ganzen Technik - am Ende steht immer der Mensch, der eine Entscheidung fällen muss.

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