Schleswig-Holstein will weg von Big Tech
20. Juni 2025
Ohne die Programme von Microsoft läuft in Europas Behörden und Unternehmen kaum ein PC. Die Daten werden in Clouds gespeichert, die ebenfalls meist von Microsoft, Amazon oder Google bereitgestellt werden. Europa hängt am Tropf der großen US-Tech-Konzerne, die zusammen auch "Big Tech" genannte werden. "Es gibt eine riesige Abhängigkeit", sagt Jan Penfrat.
"Wir verfügen kaum über Alternativen. Im Prinzip können die großen Tech-Konzerne heute entscheiden, wie unser digitales Leben aussieht, was wir auf unseren Geräten tun können und was nicht", so der Experte von European Digital Rights (EDRi), einer internationalen Vereinigung von Bürgerrechtsorganisationen, die sich für mehr Datenschutz und Freiheit der Bürger in der Informationsgesellschaft einsetzt.
Schleswig-Holstein will digitale Souveränität
Das Bundesland Schleswig-Holstein will nun digital souverän werden. Dafür sollen IT-Lösungen von heimischen Unternehmen genutzt werden, statt weiter abhängig von wenigen großen US-Konzernen zu bleiben. Auch weil die Nutzenden keinen Einfluss auf die Gestaltung der Technologien der US-Konzerne hätten, so Dirk Schrödter, der Digitalisierungsminister von Schleswig-Holstein, gegenüber der DW.
Anders sieht das bei heimischen Angeboten aus, vor allem, wenn es sich um Open-Source-Lösungen handelt, bei denen der Quellcode offen liegt. Hier könnten spezielle Anforderungen der Verwaltung leichter integriert werden.
"Wir in Schleswig-Holstein sind auf dem besten Weg, in Bezug auf unsere Office-Anwendung bis zum September 2025 einen großen Schritt in die Unabhängigkeit gemacht zu haben", sagt Schrödter.
Bis Herbst sollen auf den PCs im norddeutschen Bundesland nicht mehr Anwendungen von Microsoft Office laufen, sondern Open-Source-Anwendungen wie Libre Office. Statt Outlook und Microsoft Exchange sollen Open-Source-Lösungen wie Open Exchange und Thunderbird genutzt werden.
Europa hängt am Tropf der Big Tech
Wie groß die Abhängigkeit von den Big Tech in Europa ist, zeigt allein der Blick auf die Cloud-Anbieter. Hier teilen sich die drei US-Unternehmen Amazon, Microsoft und Google fast 70 Prozent des europäischen Cloud Computing Marktes. Dagegen hat Europas größter Cloud Anbieter nur einen Marktanteil von zwei Prozent, heißt es in einem Report der Bertelsmann Stiftung.
Die Abhängigkeit von Monopolisten ist das eine - kritisch ist inzwischen außerdem, dass die Daten in der Hand von US-Konzernen nicht unbedingt sicher vor der amerikanischen Regierung sind. US-Behörden können über den CLOUD Act (Clarifying Lawful Overseas Use of Data Act) oder den FISA (Foreign Intelligence Surveillance Act) Daten anfordern, US-Konzerne müssen dem im Zweifel nachkommen - unabhängig davon, wo die Daten gespeichert sind.
Hohe Lizenzgebühren der Monopolisten
Neben dem politischen Ziel der Unabhängigkeit geht es aber auch um sehr viel Geld. "Jedes Jahr fließen aus den EU-Mitgliedstaaten Dutzende von Milliarden Euro in die Taschen von Big-Tech-Konzernen, um unsere öffentlichen Behörden mit Software auszustatten," beklagt Jan Penfrat.
Dieses Geld könne stattdessen in Alternativen investiert werden, wenn Regierungen bereit wären, die öffentliche Verwaltung beispielsweise auf Open-Source-Software umzustellen, so Penfrat.
In Schleswig-Holstein hat man genau das im Blick. Die Umstellung auf Open-Source sei gleichzeitig eine Förderung der heimischen IT-Unternehmen, so Minister Schrödter. Außerdem mache die Stärkung der heimischen Digitalwirtschaft den Standort für Fachkräfte attraktiver.
Während in dem Bundesland im Norden Deutschlands Open-Source in der Verwaltung Einzug hält, sind in den meisten großen Behörden in Deutschland seit langem Microsoft-Produkte im Einsatz. Und die werden immer teurer. In den letzten zehn Jahren haben sich die Ausgaben des Bundes für Microsoft-Produkte mehr als vervierfacht, so ein Bericht aus Schleswig-Holstein. Sie lagen 2024 bei knapp 200 Millionen Euro. "Eine solche Steigerung ist signifikant und nicht alleine dadurch zu erklären, dass neue Dienste und Arbeitsplätze hinzukommen", so der Bericht. Sie liege eher an der monopolistischen Marktmacht von Microsoft.
München hatte sich 2003 von Microsoft verabschiedet
Um hohe Lizenzgebühren ging es auch vor über 20 Jahren in der Stadt München. Als Microsoft wegen eines Updates seines Betriebssystems Windows die Lizenzgebühren stark erhöhen wollte, beschloss München digital souveräner zu werden. Ab 2003 wurde begonnen, LiMux (die Abkürzung steht für Linux und München, Anm. d. Red.) statt Microsoft zu verwenden, erzählt Laura Dornheim. Sie ist Chief Digital Officer der Stadt München und damit verantwortlich für die rund 1400 IT-Mitarbeitenden.
Dann aber kam 2017 die Kehrtwende zurück zum US-Anbieter. Die Wiedereinführung von Microsoft war ebenfalls ein jahrelanger Prozess, wie Dornheim erzählt. "Bis Ende letzten Jahres hatten wir Libre Office noch parallel laufen." Nicht nur, dass die Umstellung sehr viel gekostet habe, jetzt würde die Stadt München auch wieder hohe Lizenzgebühren an Microsoft zahlen, erzählt Dornheim der DW.
Dabei habe die Kehrtwende von der Kehrtwende nicht unbedingt daran gelegen, dass die Alternativen zu den US-Anbietern nicht gut genug gewesen seien. Es sei auch ganz klar eine politische Entscheidung gewesen, die in einer Zeit gefallen war, als die Partei SPD nicht mehr mit den Grünen, sondern mit der CSU koaliert hatte, so die IT-Verantwortliche.
Natürlich sei vielen der 40.000 Mitarbeitenden der Stadt die Umstellung auf andere Prozesse nicht leicht gefallen - weder die aus dem Jahr 2003, noch die erneute Umstellung ab 2017. Es hätte besser laufen können, glaubt Dornheim: "Kleiner anfangen, gucken, dass einzelne Themen gut funktionieren und sich dann schrittweise einer Gesamtablösung nähern". Eine völlige Abkehr von Open-Source-Lösungen habe es in München aber nicht gegeben.
"Wir haben in der Stadt München die ganz klare Politik, dass Open-Source-Lösungen die Priorität haben, wenn wir neue Tools beschaffen", so Dornheim. "Nur wenn es keine Open-Source Produkte gibt oder aus wirtschaftlichen oder fachlichen Gründen ihr Einsatz nicht möglich ist, und bei vielen Spezialanwendungen ist das leider so, dann kommt proprietäre Software (Software, deren Quellcode nicht öffentlich zugänglich ist und deren Nutzung durch den Hersteller kontrolliert wird, Anm. d. Red.) zum Einsatz."
Die Zeit ist sehr günstig für Open-Source
Auch für Schleswig-Holsteins Digitalminister Schrödter ist digitale Souveränität nicht über Nacht zu erreichen. "Man muss das Paket in handelbare Teilprojekte und Teilpakete packen und dann Stück für Stück Lösungen finden", so Schrödter.
Anders als 2003 in München sei es jetzt aber ein geradezu idealer Zeitpunkt, um digital souverän zu werden, betont er. "Die Zukunft der Verwaltung ist völlig anders als in der Vergangenheit. Umzug in die Cloud, datenbasiertes Arbeiten, Automation", zählt Schrödter auf. "Man müsste ohnehin in Zukunft in anderen Lösungen denken und andere Lösungen einsetzen."