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Digitale Verhütung: Auf den Schleim kommt es an

Katharina Peetz
31. August 2018

Immer mehr Frauen steigen um auf natürliche Verhütung. Verschiedene Apps und Geräte sollen dabei unterstützen. Aber viele Anwendungen bieten keinen sicheren Schutz.

Sexualität Partnerschaft Symbolbild
Bild: picture-alliance/blickwinkel

"Ich möchte einfach frei sein und meinen Körper besser kennenlernen." Vor etwas mehr als einem Jahr hat sich die 27-jährige Anne deshalb gegen die Anti-Baby-Pille und für die natürliche Verhütung entschieden. Zur Unterstützung benutzt sie einen so genannten Zyklus-Computer – er soll es ihr erleichtern, durch morgendliches Temperaturmessen zu erkennen, ob sie gerade fruchtbar ist oder nicht.  

Nicht nur Zyklus-Computer, sondern auch Apps, Computerchips für die Vagina oder digitale Mess-Armbänder gibt es in verschiedensten Ausführungen zu kaufen. Welche Daten nach welcher Methode erhoben und ausgewertet werden, variiert dabei stark – und entsprechend unterschiedlich geeignet sind die digitalen Hilfsmittel für die natürliche Verhütung.

Anhaltendes Interesse an hormonfreier Verhütung

Grundsätzlich baut die natürliche Verhütung darauf, dass Frauen nicht an allen Tagen in ihrem Zyklus schwanger werden können. Fruchtbar sind sie nur am Tag des Eisprungs, sowie einige Tage davor und einige Tage danach.

Grob lassen sich die digitalen Anwendungen, die bei der Bestimmung der fruchtbaren Tage helfen sollen, in drei verschiedene Methoden einteilen: rein kalenderbasiert, temperaturbasiert oder auf Basis der sogenannten symptothermalen Methode. Dabei wird neben der Temperatur auch die Beschaffenheit des Zervixschleims, der am Gebärmutterhals gebildet wird, berücksichtigt.

Das Interesse an hormonfreier Verhütung hält an, beobachtet Gabrielle Stöcker von der Beratungsstelle Pro Familia in Köln. Immer mehr Frauen interessieren sich dabei für digitale Hilfsmittel, erzählt die Gynäkologin. Aber es gebe auch Fälle von Frauen in der Schwangerschaftskonfliktberatung, die mit vermeintlichen Verhütungs-Apps ungewollt schwanger wurden, berichtet Stöcker. 

Kalenderbasierte Methode ungeeignet

Experten sind sich einig: Wenn eine App allein mathematisch anhand des Zeitpunkts der letzten Menstruation den nächsten Eisprung und damit die fruchtbaren Tage prognostiziert, ist sie für die Verhütung ungeeignet.

Denn der Zyklus einer Frau variiert stark und wird auch von verschiedenen äußeren Faktoren beeinflusst. "Das ist ungefähr so, wie wenn Sie das Wetter prognostizieren. Nur weil letztes Jahr im August Sonnenschein war, können Sie nicht sagen, dass auch dieses Jahr im August wieder Sonnenschein sein wird", sagt Petra Frank-Herrmann. Sie ist Gynäkologin am Universitätsklinikum Heidelberg und forscht als Teil der "Sektion Natürliche Fertilität" schon seit vielen Jahren zu natürlicher Verhütung und digitalen Hilfsmitteln.

Problematisch sei vor allem auch, dass diese Apps von Beginn an Prognosen erstellten, ohne die individuellen Zyklusschwankungen in einer Art Lernphase zu berücksichtigen. Auch Stiftung Warentest hat in einem Test im November 2017 die meisten Apps als "mangelhaft" bewertet, weil viele rein rechnerisch den Eisprung bestimmen.

Temperatur-Methode allein reicht auch nicht aus

Temperatur-Apps und -Computer ermitteln die fruchtbaren Tage anhand der Basaltemperatur, auch Aufwachtemperatur genannt. Diese steigt an, wenn der Eisprung vorbei ist. "Es ist sicher besser als nur das Rechnen, die Nutzerin hat zumindest einen Anhaltspunkt", sagt Gabrielle Stöcker von Pro Familia in Köln. 

Aber der Temperaturwert sei eben nur ein Symptom. Damit lässt sich das Ende des Eisprungs bestimmen – wann die fruchtbare Zeit beginnt, kann aber wieder nur prognostiziert werden. Christian Albring vom Berufsverband der Frauenärzte erklärt: "Wenn der Eisprung sich durch irgendwelche inneren oder äußeren Einflüsse verfrüht, kann dieser Computer nicht darauf reagieren, weil der Temperaturanstieg immer erst nach dem Eisprung erfolgt." 

Petra Frank-Herrmann hat die Wirksamkeit von Temperatur-Computern in ihrer Forschungsgruppe getestet und sagt: "Diesen Temperatur-Computern geben wir eine mittlere Sicherheit." Es gibt auch viele Apps, bei denen Frauen ihre Temperatur selbst messen und die Daten in die App eintragen. Zu den neueren Entwicklungen gehören Computerchips, die über Nacht vaginal getragen werden und dadurch einfacher die Temperaturwerte ermitteln sollen.

Um die Basaltemperatur zu messen, ist ein spezielles Thermometer nötig, das zwei Nachkommastellen anzeigt.Bild: picture-alliance/BSIP/A. S.

Neben der Temperaturmessung gibt es außerdem Computer, die die Hormonwerte im Urin oder Speichel messen. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung eignen sich diese Hormon-Computer aber vor allem für Paare mit Kinderwunsch und nicht für die Verhütung.

Maximale Sicherheit mit der symptothermalen Methode

Als gute und sichere Art der natürlichen Verhütung gilt die symptothermale Methode. Dafür berücksichtigt die Frau sowohl ihre Basaltemperatur als auch ihren Zervixschleim. Das ist ein Schleim den der Gebärmutterhals (Cervix uteri) absondert. Anhand des Zervixschleims, zum Beispiel daran wie flüssig oder durchsichtig er ist, kann eine Frau den Beginn der fruchtbaren Tage erkennen.

"Wenn man heute sehr sicher verhüten will, also an die Sicherheit von Pille oder Spirale herankommen will, dann führt im Augenblick noch kein Weg daran vorbei, dass man sowohl Zervixschleim als auch Temperatur berücksichtigt und aber auch ein bestimmtes Methoden-Regelwerk", sagt Petra Frank-Herrmann vom Universitätsklinikum Heidelberg. Diese Methode ist in den 60er Jahren entwickelt worden und kann ganz analog mit Büchern oder speziellen Schulungen erlernt werden. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärungliegt die Versagerrate zwischen 0,4 und 2,6 Prozent.

Einige digitale Anwendungen basieren auf dieser Methode: Sie berücksichtigen die beiden Komponenten, Temperatur und Zervixschleim. Die Daten werden in der App erfasst und anhand von Algorithmen in fruchtbare oder unfruchtbare Tage übersetzt.

"Die Apps sind einfach eine Form der Modernisierung", sagt Claudia Schumann von der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe. "Statt wie früher mit Block und Stift, macht man es jetzt digital." Die Voraussetzung ist, dass die Frau einen gut beobachtbaren Zyklus hat. Außerdem muss die natürliche Verhütung zum Lebensstil passen: Wer Schichtdienst hat, viel durch verschiedene Zeitzonen reist oder zum Beispiel wegen kleiner Kinder nachts immer wieder aufstehen muss, könne keine verlässlichen Ergebnisse bei der Temperaturmessung erreichen, erklärt Schumann.

Eine Voraussetzung für die natürliche Verhütung ist ein regelmäßiger Schlafrhythmus. Bild: picture alliance/dpa Themendienst/J. Kalaene

Keine aussagekräftigen Studien zur Sicherheit

Ein Problem bleibt: Bisher fehlen aussagekräftige Studien, die die Sicherheit der diversen Apps und Computer belegen.

Für eine solche Sicherheitsstudie müssen die Daten von einigen hundert Frauen über ein Jahr lang erfasst werden – und zwar nicht von den Herstellern selbst, sondern zum Beispiel von Universitäten oder anderen Forschungsinstituten, erklärt Petra Frank-Herrmann: "Man muss genau gucken, wie bestimmen die Anwendungen den Anfang und das Ende des fruchtbaren Fensters."

Ein weiterer Aspekt, der bei der digitalen Verhütung zu bedenken ist: Datenschutz. "Oft werden bei den Apps auch sehr intime Daten abgefragt, zum Beispiel, ob Geschlechtsverkehr stattgefunden hat oder wie die Stimmung ist", erläutert Gabrielle Stöcker von Pro Familia. Deshalb sei es wichtig zu wissen, was mit den Daten passiert, ob sie zum Beispiel auch an Drittanbieter weitergegeben und für zielgerichtete Werbung verwendet werden.

Dass Frauen in den nächsten Jahren sinnvolle Unterstützung bei der natürlichen Verhütung durch digitale Hilfsmittel bekommen können, glaube sie schon, sagt Petra Frank-Herrmann. Aber Grundlage sei immer, dass die Frauen lernten, ihren Körper selbst zu beobachten.

Dass sie für die Veränderungen in ihrem Zyklus besser sensibilisiert ist, ist für die 27-jährige Anne der Hauptvorteil an der natürlichen Verhütung. Sie lebt seit zwei Jahren in einer festen Beziehung und hat die Entscheidung für die natürliche Verhütung zusammen mit ihrem Partner getroffen. Eine Schulung, in der man lernt, wie man den Zervixschleim untersucht, könnte sie sich als zusätzliche Sicherheit gut vorstellen. Sie sagt aber auch: "Wenn ich doch schwanger werden würde, wäre es keine Katastrophe." 

 

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