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Digitaler Impfausweis? Bitte warten!

10. Juni 2021

Gesundheitsminister Jens Spahn hat den Startschuss für den digitalen Impfausweis gegeben. Schnell ist das Zertifikat aber nicht verfügbar. Ärzte und Apotheken sind darauf nicht vorbereitet. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

Coronavirus | PK Spahn | Vorstellung Digitaler Impfpass
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn präsentiert in Berlin stolz den digitalen ImpfpassBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Mittwochabend in einer Berliner Apotheke. Es ist längst Feierabend, aber Inhaber Andreas Müller (Name geändert) sitzt noch vor seinem Computer und starrt unzufrieden auf den Bildschirm. "Ich habe eben eine E-Mail vom Apothekenverband bekommen, in der bestätigt wurde, dass wir für die Ausstellung des digitalen Impfzertifikats registriert sind", sagt er. "Das ist aber auch alles, was ich bis jetzt habe und weiß."

Mit einer hilflosen Geste fährt sich Müller durch die Haare. "Am kommenden Montag soll es losgehen, aber ich weiß bis jetzt nicht, wie genau das technisch funktionieren soll, ich habe keine funktionierende Software und ich weiß vor allem nicht, wie ich einen gefälschten Impfausweis erkennen kann." Das sei aber ganz wichtig, denn er könne belangt werden, wenn er ein falsches Zertifikat ausstelle. "Da muss ich mit einer hohen Geldstrafe rechnen."

Hat die Regierung voreilig Erwartungen geweckt?

Eine Reihe Kunden haben bereits bei ihm in der Apotheke gestanden und nachgefragt, ob sie bei ihm das Impfzertifikat bekommen können. Angelockt von der Ankündigung des Bundesgesundheitsministeriums, dass der digitale Impfpass, der ab Juli das Reisen in der Europäischen Union erleichtern soll, in dieser Woche nun auch in Deutschland ausgestellt werde.

Bislang können in Apotheken bereits Schnelltests gemacht werdenBild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Apotheker Müller findet das etwas voreilig. "In unserer Partnerapotheke waren heute 20 Kunden, die wir wieder wegschicken mussten, ohne ihnen sagen zu können, wann wir tatsächlich startbereit sein werden", sagt er. "Das erinnert mich an die Geschichte mit den Masken, die wir kostenlos ausgeben sollten. Da standen wir auch hier und hatten zunächst nichts in der Hand."

Die Verteilung der Impfstoffe an die Arztpraxen laufe ebenfalls nach wie vor nicht rund, weil zu wenig Impfstoff verfügbar sei. "Wenn es nicht so tragisch wäre, müsste man bei dem Chaos nur noch lachen", sagt Müller und schaut verzweifelt.

Jeder Vierte ist in Deutschland vollständig geimpft

Am Tag danach sitzt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in der Bundespressekonferenz und freut sich über weiter deutlich zurückgehende Corona-Infektionszahlen. Die seien auch darauf zurückzuführen, dass es "eine einzigartige Testinfrastruktur" in Deutschland gebe und dass inzwischen 47 Prozent der Bürger einmal geimpft seien, sagt er und fügt hinzu: "Fast jeder vierte Bürger ist bereits vollständig geimpft und mit dem digitalen Impfzertifikat haben wir jetzt ein Werkzeug, das das Impfen noch attraktiver macht."

Die Testläufe in ausgewählten Impfzentren seien erfolgreich abgeschlossen worden, nun könne der "CovPass" bundesweit angewendet werden. Ab Juli soll der Digital-Pass dann auch für das grenzüberschreitende Reisen in der EU genutzt werden können. "Das Ziel ist, dass auch in Helsinki, Amsterdam und Mallorca dieses Impfzertifikat gelesen werden kann", sagt Spahn. "Damit setzen wir als Europäische Union auch Standards für den internationalen Reiseverkehr."

Eine Million EU-Bürger haben den "CovPass" bereits

Damit das klappt, müssen sich die Mitgliedsländer an ein sogenanntes Gateway anschließen. Unter Federführung der EU-Kommission wurde es mithilfe der deutschen Konzerne SAP und Telekom entwickelt und dient als Schnittstelle der unterschiedlichen nationalen Digitalsysteme. So kann sichergestellt werden, dass beispielsweise ein Kontrolleur am Flughafen in Rom den QR-Code, den eine geimpfte Touristin aus Köln vorzeigt, tatsächlich auch dieser Reisenden zuordnen kann.

Reisen wird mit dem digitalen Impfzertifikat deutlich einfacherBild: Weber/Eibner-Pressefotopicture alliance

Einige Länder in der Europäischen Union geben ihr digitales Zertifikat bereits aus und rund eine Million EU-Bürger besitzen es bereits. In Deutschland aber läuft die Digitalisierung nur langsam an. Das muss auch Gesundheitsminister Spahn einräumen. "Man muss bei diesem Thema ein klares Erwartungsmanagement machen", betont er.

"Wichtig ist: Schritt für Schritt werden jetzt Impfzentren sowie Arztpraxen und Apotheken an das System angeschlossen, um europäisch interoperable Impfbescheinigungen ausstellen zu können." Nicht alle aber seien "heute oder morgen" schon dabei. Ziel sei, dass bis Ende Juni der "CovPass" für alle Interessenten zu Verfügung stehe.

Als "Vollversagen" bezeichnet Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, die Kommunikation rund um das Projekt. "Das digitale Impfzertifikat kommt deutlich zu spät, die Umsetzung ist chaotisch, und einen tatsächlichen Nutzen bringt es nicht", so Domscheit-Berg. "Wenn Minister Spahn glaubt, nur weil er eine App in die Kamera halten kann, gäbe es funktionierende Prozesse in Arztpraxen und Apotheken, dann zeigt das, wie wenig er von komplexen IT-Projekten versteht."

Update aus dem App Store für den Impfpass

In der Nacht zum Mittwoch hat die Corona-Warn-App, mit der Kontakte nachverfolgt werden, ein Update bekommen, um den für das Zertifikat benötigten QR-Code verarbeiten zu können. "In den nächsten Stunden und Tagen", wie Minister Spahn sagt, stehe in den App Stores aber auch eine zweite, europaweit gültige Anwendung zur Verfügung, die ohne Tracing, also ohne Kontaktnachverfolgung funktioniert. Auch eine durchgemachte Covid-19-Erkrankung und ein negativer Corona-Test sollen künftig damit nachgewiesen werden können.

Das Update für die Corona-Warn-App kam in der NachtBild: Rüdiger Wölk/imago images

Wer in den nächsten Wochen geimpft wird, kann mit der App einen QR-Code scannen, der nach erfolgter Impfung ausgegeben wird. Für diejenigen, die bereits geimpft sind - und das sind nach Angaben des Robert Koch-Instituts rund 19 Millionen Menschen in Deutschland - muss das Zertifikat nachträglich ausgestellt werden. Viele Bundesländer, so Spahn, hätten bereits damit begonnen, per Post einen QR-Code nach Impfungen in die Impfzentren zu verschicken.

Nicht für alle lohnt sich die Impf-Zertifizierung

Ärzte, die das Zertifikat für ihre Patienten ausstellen, bekommen sechs Euro pro Impfling. Wenn die digitale Praxissoftware PVS genutzt wird, sind es nur zwei Euro. Lukrativer ist die Zertifizierung, wenn der Impfling nicht in der eigenen Praxis geimpft wurde. Dafür gibt es 18 Euro. Diesen Satz bekommen auch die Apotheker. Sie sind es auch, die neben den Impfzentren mit der Dienstleistung beginnen wollen.

Eine vierstellige Zahl von ihnen, so heißt es vom Apothekenverband, werde am Montag damit beginnen, die Impfausweise aus Papier in digitale Zertifikate zu übertragen. Eine Ankündigung, die zeigt, dass Geduld gefragt ist. Insgesamt gibt es in Deutschland rund 20.000 Apotheken.

Die Ärzte warten noch auf die Software

Wann die Arztpraxen einsteigen werden, hängt auch davon ab, wie schnell die Praxissoftware umgestellt werden kann. Die Bundesregierung hat in einer Ausschreibung die PVS-Hersteller aufgefordert, mit dem Software-Update Ende Juni - spätestens jedoch zum 12. Juli - ein entsprechendes Software-Modul bereitzustellen.

In vielen Arztpraxen weiß man davon noch nichts. Der Berliner Allgemeinmediziner Michael Schäfer bezweifelt sogar, dass die Software schon Ende Juni mit dem quartalsüblichen Update vorliegen wird. "Wir haben bis jetzt noch nicht einmal das Update für die Abrechnung der Impfungen bekommen."

Gelber Impfausweis behält seine Gültigkeit

Auch Schäfer kennt noch keine Einzelheiten zum digitalen Impfzertifikat. "Man hört natürlich jeden Tag etwas davon, aber nicht, wie es genau funktionieren soll", sagt er. In seiner Praxis gibt es nach der zweiten Impfung zusätzlich zum Eintrag in den Impfausweis einen Ausdruck, der mit Datumsnennung bescheinigt, ab wann der Betreffende vollständig geimpft ist und keinen Testnachweis mehr benötigt.

Auch der ist aus Papier, aber erspare seinem Besitzer, den gelben WHO-Impfausweis ständig mit sich herumtragen zu müssen, so Schäfer. Wobei festzuhalten ist, dass der Impfausweis aus Papier seine Gültigkeit auch nach der Einführung des digitalen Zertifikats behält. Es gebe ja auch Menschen, so betont Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, die kein Smartphone besitzen würden oder den digitalen Nachweis gar nicht wollten.

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