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Digitalisieren wir unsere Jobs weg?

Rolf Wenkel
25. Oktober 2016

Wer Ängste schürt, macht Auflage. "Zerstören Roboter das deutsche Jobwunder?", fragt denn auch so mancher Sensationsjournalist. Aber ist das wirklich so? Denn die Arbeit ist noch nie ausgegangen - sie verändert sich nur.

Symbolbild Digitaler Arbeitsplatz
Bild: Colourbox

Die Angst vor Veränderungen im Arbeitsleben ist nicht neu. Anfang des 19. Jahrhunderts sorgten sich englische Textilarbeiter um die Auswirkungen der industriellen Revolution, was in der gezielten Zerstörung von Maschinen gipfelte. Auch der britische Ökonom  John Maynard Keynes warnte in den 1930er Jahren vor "technologischer Arbeitslosigkeit", die sich weit verbreiten werde.

In seinem Buch "Das Ende der Arbeit" hat der amerikanische Ökonom und Soziologe Jeremy Rifkin 1995 gezeigt, dass durch den Produktivitätszuwachs von 1975 bis 1995 zahllose Fabrikarbeitsplätze verschwunden sind - obwohl die Wirtschaft im gleichen Zeitraum weiter gewachsen ist. Anhand weltweiter Wirtschaftsdaten sagte Rifikin voraus, 2020 würden nur noch zwei Prozent der Weltbevölkerung in der Produktion arbeiten.

Und heute? Heute wird erneut Angst geschürt, und die Schuldigen heißen diesmal Digitalisierung, Industrie 4.0, das Internet der Dinge, Plattformökonomie - sie alle werden uns die Arbeit streitig machen, heißt es. "Zerstören Roboter das deutsche Jobwunder?" fragte die "Bild"-Zeitung neulich. Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2013 sagt, in den USA seien 47 Prozent aller Jobs durch den technischen Wandel bedroht. Experten haben das auf Deutschland übertragen und kommen auf 42 Prozent.

Gruselnachrichten

"Es herrscht ein Wettbewerb, wer die schrecklichsten Gruselnachrichten verbreitet", urteilt Hilmar Schneider, Direktor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Horrorzahlen, nach denen bis zu 60  Prozent aller Jobs in Deutschland bedroht seien, kann er nicht nachvollziehen. "Da werden nur Bruttozahlen genannt", sagt Schneider zur DW. "Verschwiegen wird aber, dass im gleichen Zeitraum auch neue Arbeitsplätze entstehen. Im Grunde ist das Arbeitsleben immer besser geworden. Warum sollte das jetzt anders sein?"

Auch eine Studie der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kommt zu weitaus weniger spektakulären Ergebnissen. Eine Analyse unter 21 OECD-Ländern ergab, dass im Schnitt nur neun Prozent der Jobs in diesen Ländern automatisierbar sind. Allerdings gibt es relativ große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Österreich und Deutschland führen diese Liste mit einem Automatisierungsrisiko von zwölf Prozent an, in Ländern wie Korea, Estland oder Finnland sind diese Werte etwa halb so hoch.

Nicht nur die Digitalisierung führt zu Veränderungen in der Arbeitswelt - in Deutschland spielen auch die demografische Entwicklung und der Wandel der Bedürfnisse eine Rolle. So ist in der Literatur relativ unstrittig, welche Branchen profitieren und welche schrumpfen werden: Einfache industrielle Produktionstätigkeiten werden genauso verschwinden wie stark routinelastige Bürotätigkeiten, zum Beispiel in Banken, Verwaltungen und Versicherungen.

Jobs mit human touch gefragt

Dort, wo es um Kreativität, Kommunikation und Interaktion geht, ist der Arbeitskräftebedarf am größten: Forschung und Entwicklung, Bildung, Marketing, Medien und IT, Gesundheit, Pflege, Therapie, Wellness, Tourismus, Gastronomie. Fazit: Die Arbeit geht uns nicht aus - sie verändert sich nur.

Neben Industrie 4.0 taucht immer öfter das Wort "Plattformökonomie" auf. Einzelpersonen bieten ihre Dienstleistungen im Rahmen eines professionell organisierten Internet-Portals an. Beispiele wie Uber zeigen, dass es ganzen Branchen an den Kragen gehen kann, Airbnb ist auf einen Schlag zum weltweit größten Anbieter von Unterkünften geworden, ohne ein einziges Hotelbett zu besitzen. Trotzdem kann dieser Gigant den gesamten Markt für Mietwohnungen in Schieflage bringen.

"Darin sehe ich auch große Chancen", sagt Oliver Suchy, Leiter des Projekts "Arbeit der Zukunft" beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes. " Wenn wir zum Beispiel an Uber, diesen Fahrdienstvermittler denken, warum soll nicht auch eine Kommune selber eine Plattform gründen und Mobilität ins Zentrum setzen und dort Angebote machen, die die Bürgerinnen und Bürger gut Nutzen können? Hier ist viel im Fluss und vieles möglich", so Suchy zur DW. 

Hilmar Schneider, Institut zur Zukunft der Arbeit Bild: picture-alliance/dpa

Paradies mit Schattenseiten

Während Suchy die Plattformökonomie eher als Chance begreift, sehen andere diese Entwicklung mit Sorge. Sie sehen die Gefahr, dass das Paradies der totalen Markttransparenz auch seine Schattenseiten hat - und mit großen sozialen Verwerfungen einhergehen kann. Da geht es um Lohndumping, Outsourcing, Deregulierung, erodierende Tarifbindung, um Scheinselbständige oder Solo-Selbständige, die weniger als den Mindestlohn verdienen und die nichts für ihre Altersvorsorge tun können. Und es geht darum, dass die Gewerkschaften in dieser atomisierten Form des Wirtschaftens keinen Fuß mehr in die Tür bekommen.

Auch Oliver Suchy sieht einen großen Regelungsbedarf für die Plattformökonomie. "Erstens gibt es in Europa und auch in Deutschland eine große Debatte, dass wir uns mit den Wirkungsmechanismen von Plattformen beschäftigen müssen. Da wird ja auch Arbeit über Plattformen angeboten, aber es gelten nur die allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Plattform. Angeblich sind alle selbstständig. So funktioniert das nicht. Und die EU und auch die Bundesregierung haben erkannt, dass hier Regelungsbedarf besteht. Auch hier müssen gute Bedingungen geschaffen werden für gute Arbeit."

Unterschätzen die Gewerkschaften die Gefahr der Plattformökonomie? Professor Hilmar Schneider vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit hat da eine plausible Theorie. Die Plattformökonomie verändert nicht nur Produktionsprozesse, sondern krempelt auch die traditionellen Marktbeziehungen zwischen Produzenten und Konsumenten völlig um. "Und in dem Augenblick, wo das passiert, werden im Grunde auch überkommene Firmenstrukturen in Frage gestellt", sagt Schneider.

Keine Angst vor dem Wandel in der Arbeitswelt: Oliver SuchyBild: DGB/Steinle

Kein Land für alte Gewerkschaften

Und alles, was Arbeitsverhältnisse prekär oder komfortabel mache, seien Dinge, die aus dem Arbeitsrecht kämen. "Das Arbeitsrecht ist aber sehr stark an die Existenz von Firmen gegründet. Die Juristen versuchen verzweifelt das Arbeitsrecht in diese neue Welt hinein zu retten,  was meines Erachtens aber zum großen Teil zum Scheitern verurteilt ist."

Den Gewerkschaften jedenfalls sagt Hilmar Schneider große Probleme voraus: "Sie werden in dieser Welt entweder gar nicht mehr gebraucht oder müssen ihr Profil komplett umstellen, denn sie müssen sich dann zu einer Organisationsform wandeln, die die Interessen von Selbstständigen wahrnimmt. Das ist, glaube ich, ein Kulturschock, den die Gewerkschaften erst noch verdauen müssen."

Indes: Oliver Suchy vom Deutschen Gewerkschaftsbund sieht die Folgen des digitalen Wirtschaftens weitaus weniger dramatisch. Für ihn ist viel entscheidender, dass Menschen, die den Wandel der Arbeitswelt erfolgreich bewältigen wollen, auch die Chance dazu bekommen - durch Qualifizierung und Weiterbildung. "Wir haben momentan Weiterbildung ohne System. Wir reden schon seit 20 Jahren über lebenslanges Lernen oder lebensbegleitendes. Es tut sich aber viel zu wenig. Hier müssen wir technische Möglichkeiten nutzen und wir müssen richtig investieren."

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