Diktatoren mit Westbildung
16. April 2013Der junge Nordkoreaner war still und unauffällig. Die deutsche Sprache lag ihm nicht wirklich. Meistens soll er Jogginganzüge getragen haben. Die anderen Schüler fanden ihn seltsam. Sein Name: Un Pak. Angeblich Sohn eines nordkoreanischen Botschaftsmitarbeiters. 1997, zu Beginn der 6. Klasse, kam er an die Schweizer Liebefeld-Steinhölzli-Schule in der Nähe von Bern.
Joao Micaelo war Schulkamerad und einer der wenigen Freunde des jungen Nordkoreaners. Eines Tages, erzählte Micaelo dem Schweizer "Tagesanzeiger", habe Un Pak ihm ein Geständnis gemacht: "Ich bin in Wahrheit nicht der Sohn des Botschafters, ich bin der Sohn des Präsidenten". Dazu habe Un Pak ihm ein Foto von sich mit dem damaligen nordkoreanischen Staatspräsidenten Kim Jong Il gezeigt.
Pure Angeberei, glaubte Micaelo. Inzwischen aber ist er sich sicher, dass sein Schulfreund mittlerweile der heutige Diktator Nordkoreas, Kim Jong Un, ist. Eine offizielle Bestätigung von nordkoreanischer Seite gibt es nicht.
Die Schweizer "Sonntagszeitung" beauftragte 2012 einen Anthropologen mit einer Gesichtsanalyse. Der Wissenschaftler Raoul Perrot verglich ein Schulfoto von Un Pak mit einem aktuellen Bild des Diktators. Das Ergebnis: eine Übereinstimmung von 95 Prozent. "Für mich", erklärte der Anthropologe, "ist es damit eine Tatsache: der Schüler Un Pak ist identisch mit Kim Jong Un."
Bis 2001 blieb der junge Nordkoreaner an der Schweizer Schule. Dann verschwand er. Als die ersten Gerüchte über den Schweiz-Aufenthalt des Nachwuchs-Diktators aufkamen, da hofften viele Beobachter, dass sich die Jahre im Westen vielleicht positiv auf die demokratische Gesinnung Kims ausgewirkt hätten. Bisher aber sieht es nicht so aus. Kim mag zwar Vergnügungsparks a la Disneyland, das Wichtigste ist aber auch für ihn der Machterhalt. Und zwar um jeden Preis.
Demokratie: Nein Danke
"Diktatorensöhne", erklärt der Politikwissenschaftler Günter Meyer, "kommen nicht in den Westen, um Demokratie zu lernen". Stattdessen ginge es darum, die Lebensverhältnisse im Westen kennenzulernen und eine gute Ausbildung zu bekommen. Nach Abschluss ihrer Ausbildung würden sie in ihre alten Strukturen zurückkehren. "Sie sind eingebettet in eine Machtstruktur, der sie nicht entkommen können." Wer Demokratisierungstendenzen nachgebe, der gefährde den eigenen Machterhalt und den des eigenen Clans.
Johann Benos ist Professor für Psychiatrie und Autor. In seinem Buch "20 europäische Diktatoren" hat er den Werdegang von Gewaltherrschern verglichen. Die zentrale Prägung, sagt Benos, finde in der Familie statt. "Die wichtigste Rolle spielt das Verhalten des Vaters". In der Regel seien Diktatoren "gezüchtigt, verprügelt und misshandelt" worden. "Die haben die Brutalität des Vaters erlebt, die haben sie auf der einen Seite verabscheut und auf der anderen Seite nachgemacht." Auch eine humanistische Bildungseinrichtung könne da nicht mehr viel korrigieren.
Vom Hoffnungsträger zum Autokraten
Ein weiteres Beispiel ist Syriens Diktator Baschar al-Assad. Auch er verbrachte einen Teil seiner Jugend im Ausland. Anderthalb Jahre studierte Assad in London Medizin. Als er die Macht in Syrien übernahm, hofften Beobachter auf einen Reformschub durch den westlich erzogenen Doktor. "Er wurde als der große demokratiebringende, liberale Herrscher angesehen", erinnert sich der Politikwissenschaftler und Nahostexperte Günter Meyer. "Aber er musste dann sehr schnell einsehen, dass er auch durch den Druck der Machtverhältnisse innerhalb seines Clans und durch den Druck der Geheimdienste überhaupt keine Möglichkeit hatte, daraus auszubrechen, wenn er nicht seine eigene Macht oder die des Assad-Clans gefährden wollte." Und so habe Assad schließlich die autoritäre Politik seines Vaters weitergeführt.
Die Hoffnung auf einen Demokratieexport durch die Ausbildung von Diktatorensöhnen ist also trügerisch. Saif al-Islam Gaddafi, Sohn des gestürzten libyschen Diktators Gaddafi, schrieb sogar eine verheißungsvolle Dissertation an der renommierten London School of Economics. Der Titel: "Die Rolle der Zivilgesellschaft für die Demokratisierung globaler Regierungsinstitutionen." Doch als es in Libyen um den Machterhalt seines Vaters und den seines Clans ging, vergaß Saif al-Islam alle demokratietheoretischen Überlegungen und griff zur Waffe. Seit 2011 sitzt er in Libyen in Haft. Der Internationale Strafgerichtshof fordert wegen Kriegsverbrechen seine Auslieferung.
Die Wirtschaft profitiert
Wirtschaftlich aber, so glaubt Günter Meyer, lohnt es sich, die Sprösslinge von Diktatoren auszubilden. "Da werden Beziehungen aufgebaut, davon profitiert auch die deutsche Wirtschaft sehr stark, was die Vergabe von Aufträgen betrifft."
Dass von Europa lernen nicht unbedingt human regieren lernen heißt, zeigte schon vor Jahrzehnten Kambodschas Diktator Pol Pot. Der Massenmörder studierte an der Pariser Eliteuniversität Sorbonne.
Doch nicht bei allen ausländischen Studenten bleibt der Aufenthalt in Europa in Sachen Demokratieförderung so folgenlos, sagt Meyer: "Zahlreiche Studierende aus den arabischen Ländern haben maßgeblich zu den Liberalisierungs- und Säkularisierungsmaßnahmen in ihrer Heimat beigetragen."