1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Dirigent Leon Botstein: "Freiheit bedeutet ständige Arbeit"

Anastassia Boutsko
8. Mai 2025

Man müsse ständig davor warnen, wie leicht das Böse akzeptabel und legalisiert werde: Das ist die Botschaft des US-amerikanischen Dirigenten Leon Botstein beim Gedenkkonzert zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Nürnberg.

Leon Botstein mit Dirigentenstab in der Hand
Leon Botstein setzt sich seit Jahrzehnten für vergessene jüdische Komponistinnen und Komponisten einBild: Matt Dine

Während Donald Trump und seine Regierung die Europäer seit Amtsantritt regelmäßig verprellen, kommen jetzt Botschafter eines ganz anderen Amerikas nach Deutschland: das Orchestra Now (TŌN), angesiedelt am Bard College im US-Bundesstaat New York, unter der Leitung des Dirigenten und Musikwissenschaftlers Leon Botstein.

Sie haben Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy und Max Bruch im Gepäck - und eine klare Botschaft: Kultur und Musik sind die wahre tragende Kraft des transatlantischen Bündnisses.  

Konzertort von historischer Bedeutung

Höhepunkt der allerersten Auslandreise des jungen Orchesters ist der Auftritt beim Gedenkkonzert zum 80. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai in der Nürnberger Kongresshalle - einem von den Nazis erbauten Monumentalbau, wo sie ihre Parteitage abhielten. Der Titel: "Verleih uns Frieden!" 

Im TŌN-Orchestra spielen junge US-amerikanische Spitzenmusikerinnen und -musikerBild: David DeNee

Für den Dirigenten und Orchestergründer Leon Botstein, der 1946 in Zürich als Kind jüdischer Migranten aus Polen zur Welt kam, ist die Kongresshalle von historischer Bedeutung. "Sie erinnert an eine Vergangenheit, die man bewältigen kann, ohne sie auszulöschen", sagte er der DW. Für ihn ist ein starkes Zeichen, mit dem TŌN gerade an diesem Ort zu spielen - vor allem mit Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy, der damals verboten war. 

Es wäre heute wie kaum je zuvor wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Nazis "ein moralisch und ethisch verbrecherisches Regime" anführten, sie aber eben "eine legale Regierung Deutschlands bildeten, als die Kongresshalle gebaut wurde", analysiert Leon Botstein. Man müsse ständig davor warnen, "wie leicht es ist, das radikal Böse akzeptabel und legal zu machen". 

Bard: Wo die Freiheit zur Schule geht

Seit 1975  ist Leon Botstein Präsident des Bard College und gehört damit nicht nur zu den Patriarchen, sondern auch zu den treibenden Kräften an der Hochschule - ob als Wissenschaftler, Lehrer, Festivalleiter oder eben als Gründer des "TŌN", des Orchestra Now.

Das Bard College, eine renommierte Ausbildungsstätte in Annandale-on-Hudson unweit von New York, erlangte schon kurz nach seiner Gründung 1860 durch das Ehepaar Bard den Ruf, Keimzelle liberalen Gedankenguts zu sein. Zahlreiche Musiker, Schriftsteller, bildende Künstler, aber auch Politiker und Journalisten haben hier studiert.

Entworfen von Stararchitekt Frank Gehry: "Fisher Center for the Performing Arts" am Bard CollegeBild: Nancy Kenn/Dreamstime/IMAGO

Hannah Arendt gehörte, neben vielen weiteren europäischen Intellektuellen, zu den Bard-Professoren und ist auch auf dem College-Friedhof begraben. Der berühmte kanadisch-US-amerikanische Architekt Frank Gehry entwarf für die von ihm hochgeschätzte Hochschule den neuen Konzertsaal - "Fisher Center at Bard". Und eben ein Zuhause für das TŌN-Orchester.

TŌN gibt den Ton an

Im "TŌN" spielen hochtalentierte junge Musikerinnen und Musiker, die an einem dreijährigen Ausbildungsprogramms des Bard College teilnehmen. Die meisten haben ihre Ausbildung am Konservatorium bereits abgeschlossen, viele haben bereits Stellen in führenden Orchestern der Vereinigten Staaten.

Diese nächste Generation von Musikprofis bekommt im Bard College eine umfassende Aus- beziehungsweise Weiterbildung, zu der neben musikalischen Fächern auch Philosophie, Sozialwissenschaften und einiges mehr gehören - wie etwa die aktuelle Reise nach Europa.

Botstein: "Eine gefährliche Zeit für uns alle"

Zwar ist das Bard College als privat geführte Hochschule nicht direkt von den Launen der Regierung in Washington abhängig, dennoch ist Leon Botstein alarmiert: "Es ist eine gefährliche Zeit für uns alle, für die Demokratie in der Welt und in unserem Land, weil unsere Regierung gegen die Wissenschaft, gegen die Wahrheit ist", sagt er in fast makellosem Deutsch. "Wenn man sich nicht darüber einig ist, wie man eine Lüge von einer Wahrheit unterscheidet, ist man irgendwann in der Situation, dass man gar nicht mehr miteinander reden kann."

Die Trump-Regierung, so Botstein weiter, handele zunehmend autokratisch und bringe die Aufteilung der Gewalten, das Grundprinzip nicht nur der US-amerikanischen Demokratie, in Gefahr. Damit "verstoße Trump gegen Grundprinzipien der Bill of Rights und der Unabhängigkeitserklärung. Der Missbrauch von Macht führt zu Angst, und Angst führt wiederum zu Selbstzensur", analysiert Leon Botstein. "Die Menschen schränken ihre Freiheit selbst ein."

Demokratie als Fleißarbeit

Zumindest eine Teilverantwortung für diese Entwicklung gibt er auch der intellektuellen Elite seines Landes und sich selbst: "Wir waren irgendwie zu faul, die Gefahr wirklich wahrzunehmen und eine richtige Kommunikation mit unseren Mitbürgern aufzubauen." Das zu ändern sei nun Gebot der Stunde.

Symbolischer Ort: Kongresshalle auf ehemaligem NS-Reichsparteitagsgelände in NürnbergBild: Ardan Fuessmann/IMAGO

In Europa und speziell in Deutschland sieht der US-Amerikaner wichtige, ja entscheidende Mitstreiter im Kampf für die Demokratie-Idee weltweit: "Deutschland besitzt sehr viele Möglichkeiten und ist eine zentrale Kraft - etwa beim Kampf um Demokratie und Freiheit in der Ukraine und im Widerstand gegen Putin, Orban oder Erdogan."

Entscheidend dabei sei der Kampf um die eigenen Mitbürger, so der Dirigent: "Man muss verstehen: Autoritäre Herrschaften sind immer irgendwie attraktiv. Demokratie dagegen ist schwierig. Freiheit bedeutet eben eine ständige Arbeit."

Der Musik misst Leon Botstein dabei eine ganz besondere Bedeutung bei. Denn Werke von Beethoven, Bach, Bruckner oder eben Mendelssohn seien keine Unterhaltung - sie seien eine "Anweisung zum freien Denken".

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen