Die Qualen sind endgültig vorbei, die Zeit der Schmerzen ist es ebenso. Dirk Nowitzki hat sich mit einer starken Leistung aus der NBA verabschiedet. Nach mehr als 20 Jahren geht er unter stehen Ovationen und mit Tränen.
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Chen Ying ringt um Aufmerksamkeit. Die Chinesin steht mit ihrem Freund, Xu Wei, in der zweiten Reihe des AT&T Center in San Antonio. Direkt hinter dem Korb, auf den Dirk Nowitzki beim Warmmachen wirft. Ying schreit jedoch nicht, nein, dafür ist sie viel zu höflich. Sie hält ein Plakat mit beiden Händen über ihrem Kopf. Darauf steht in deutscher Sprache: "Lieber Dirk: vielen Dank, dass Sie von 13 bis 30 Jahre bei mir geblieben sind. Liebe aus China." Und ganz unten ist noch die Bitte zu lesen, die Nowitzki ihr und allen anderen Fans jedoch nicht mehr erfüllen wird: "One more year."
Am Abend zuvor hatte er im Rahmen einer emotionalen Feier in der heimischen Halle bekanntgegeben, seine Karriere zu beenden. Ying und Wei waren auch in der Arena von Dallas mit dabei. Sie sind für Nowitzkis letzte NBA-Schritte extra aus ihrer Heimat nach Texas geflogen. "Ich habe den ganzen Abend geweint", sagt Ying. Seit 17 Jahren ist sie Nowitzki-Fan. Auch bei ihrem Idol liefen am Vorabend einige Tränen.
Doch jetzt, rund 20 Stunden später, ist er wieder der konzentrierte Vollblutprofi. Knapp 90 Minuten vor Spielbeginn kommt er in die Halle, läuft sich warm und beginnt mit dem Dehnen. Für ihn Routine - seit mehr als 20 Jahren. Und dennoch sind diese Abläufe an diesem 10. April 2019 hier in San Antonio etwas Besonderes. Dirk Werner Nowitzki bereitet sich zum letzten Mal auf ein NBA-Spiel vor. Es sind nur noch wenige Stunden bis zu seiner Basketball-Rente.
Rhythmisch und rund
Als er sich einwirft, stehen viele Fans an der Seitenlinie, schauen genau zu, filmen, knipsen Fotos. Nowitzki wirkt nicht wie jemand, der die beste Basketball-Liga der Welt bald nur noch als Zuschauer verfolgen wird. Seine Wurfbewegungen wirken rhythmisch und rund. Er trifft vier Würfe nacheinander - von links außen, dann etwas weiter in der Mitte, zentral und von rechts. Es sieht so leicht aus, wie er die orangenen Bälle durch das weiße Netz wirft.
Bei der Vorstellung der Mavericks Starting Five kurz vor Spielbeginn ist es bei den ersten vier Namen ziemlich ruhig in der Halle. Doch dann wird es laut - euphorisch und emotional. Auf dem Videowürfel läuft ein Clip mit den Highlights von Nowitzkis Karriere. Von den Schlachten, die er sich mit den Spurs-Größen Tim Duncan, Manu Ginobili und Tony Parker geliefert hat. Einige gingen als "Texas-Thriller" in die NBA-Geschichte ein. Kein Maverick hatte San Antonio seit der Jahrtausendwende so sehr geärgert, dem Klub so viele Kopfschmerzen bereitet, wie Dallas’ Deutscher mit der Rückennummer 41. Doch der kann gar nicht zum Videowürfel hochschauen, so sehr kämpft er mit den Tränen. Dann holt er einmal tief Luft und winkt dankend ins Publikum. Er bekommt stehende Ovationen - wie schon in so vielen anderen Hallen in dieser Saison.
"Heimspiel" in San Antonio
Das Spiel beginnt. Bei jedem seiner Würfe ist ein Raunen im Publikum hörbar. Und es wird sofort lauter. Das liegt auch an den vielen Mavericks-Fans, die selbstverständlich die rund 450 Kilometer auf dem Highway 35 von Dallas gen Süden gefahren sind. "Es hatte sich fast angehört, wie ein Heimspiel", sagt Nowitzki anschließend. Als er seine ersten Punkte erzielt, ist der Jubel in der Arena fast genauso groß wie bei einem Treffer der Gastgeber. Dabei geht es für die Gastgeber noch um etwas. Mit einem Sieg würden sie in der Tabelle der Western Conference Siebter bleiben, somit Meister Golden State Warriors in der ersten Playoff-Runde aus dem Weg gehen.
Und dementsprechend engagiert treten die Spurs-Profis auf. Sie verteidigen Nowitzki eng, geben ihm keinen Raum. Er muss sich jeden Wurf und jeden Punkt hart erarbeiten. Aber er wollte in seiner Karriere ohnehin nie etwas geschenkt bekommen. Mitunter stehen sogar zwei Spurs-Verteidiger bei ihm, sobald er den Ball bekommt. Mavericks-Besitzer Mark Cuban bezeichnet diese Doppel-Deckung als "großes Kompliment" für Nowitzki.
Letzter Wurf der Karriere passt
Der trifft 49 Sekunden vor Spielende mit einem Sprungwurf zum 92:105. Es sind die Punkte Nummer 31.559 und 31.560 seiner langen Laufbahn - und es ist zugleich die letzte Aktion in der Karriere des Dirk Werner Nowitzki, der sich mit einem beachtlichen Double Double verabschiedet. Neben seinen 20 Zählern gelangen ihm auch noch zehn Rebounds. Dallas verliert schließlich mit 94:105, doch den Mavericks-Fans ist das in diesen Momenten herzlich egal.
Es folgen Umarmungen und Emotionen. Spurs-Trainer Gregg Popovich, der Nowitzki ebenso schätzt, wie der Deutsche ihn, lässt den scheidenden Allstar wissen, dass er immer für ihn da und telefonisch erreichbar sein werde. Von den Rängen hallt es "MVP". Diese drei Buchstaben stehen für "wertvollsten Spieler". Nowitzki gehörte das Gros seiner 21 NBA-Spielzeiten zum Besten, was die Liga zu bieten hatte. Doch die insgesamt 1667 Pflichtspiele seit dem 5. Februar 1999 haben seinen Körper verschlissen. Sein vor einem Jahr operierter linker Knöchel plagt ihn immer noch. Wenn Nowitzki läuft, sieht es unrund, ja fast schmerzhaft aus.
Doch er wird nun genug Zeit haben, um alles auszukurieren. Um 21:19 Uhr Ortszeit klatscht Nowitzki mit den Fans ab und verlässt unter tosendem Applaus die Halle. In der Kabine greift er sich umgehend ein Bier, streift das durchgeschwitzte, blaue Trikot ein letztes Mal von seinem Körper. Andere Athleten heben das Outfit ihres finalen Karriere-Auftritts auf, rahmen es sich ein, hängen es daheim an die Wand. Nowitzki wirft alles einfach weg. Seine NBA-Karriere ist endgültig vorbei. Ein Ausnahmespieler geht, zahlreiche unvergessliche Erinnerungen bleiben.
Dirk Nowitzki: Basketball-Legende und deutscher Weltstar
Vier Jahre nach seinem Karriereende wird Dirk Nowitzki in die Hall of Fame des Basketballs aufgenommen. Der bescheidene 2,13-Meter-Hüne ist ein deutscher Sport-Weltstar, der nicht nur sportliche Verdienste hat.
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Legende!
21 Jahre lang spielt Dirk Nowitzki in der besten Basketball-Liga der Welt bei ein und demselben Klub: den Dallas Mavericks. In seiner Zeit in der NBA prägt und verändert Nowitzki das Basketballspiel. Er ist einer der ersten "Big Men", die regelmäßig und mit hoher Quote aus weiter Distanz treffen. Heute kommt im Grunde kein herausragender NBA-Center oder Power Forward mehr ohne diese Qualität aus.
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Flamingo Fadeaway als Markenzeichen
Berühmt ist Nowitzki vor allem für seinen "Flamingo Fadeaway", einen Sprungwurf im Zurückfallen auf einem Bein, der es den Gegnern so gut wie unmöglich macht, ihn zu blocken. Oft ist sieht das weniger spektakulär aus als die Slam Dunks seiner Kollegen, ist aber effektiv. Nowitzki erzielt 31.560 Karrierepunkte und ist damit hinter Michael Jordan sechstbester Korbjäger der NBA-Historie.
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The "German Wunderkind"
1998 wagt Nowitzki den großen Schritt in die beste Basketball-Liga der Welt und wird von den Mavericks unter Vertrag genommen. Mavs-Coach Don Nelson muss beim Draft tricksen, um zu verhindern, dass die Boston Celtics vor ihm zugreifen. Der Plan geht auf und der Deutsche landet in Texas, wo er die nächsten 21 Jahre bleiben und zum "German Wunderkind" und "Dunkin Deutschman" werden soll.
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Ein Titel für die Ewigkeit
2011 gewinnt Dirk Nowitzki den NBA-Titel mit den Mavericks, die zuvor nie Meister waren. Durch einen Gehaltsverzicht ermöglicht er zu Saisonbeginn die Verpflichtung weiterer Stars, wodurch das Team ausgeglichener und besser wird. In der Finalserie gewinnt Dallas gegen die Miami Heat mit LeBron James, auch wenn Nowitzki zeitweise durch Fieber gehandicapt wird.
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Ein deutscher Weltstar
Den NBA-Titel hat zuvor noch nie ein Deutscher gewonnen. Spätestens jetzt darf Nowitzki zu den deutschen Weltstars des Sports gezählt werden, in einer Reihe mit Max Schmeling, Franz Beckenbauer und Michael Schumacher. Als erster Europäer wird er zum besten NBA-Basketballer der Saison gewählt, zu Deutschlands Sportler des Jahres sowieso.
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Ende eines langen Weges
Auch nach der Meisterschaft spielt Nowitzki einige Jahre auf höchsten Niveau, im Herbst seiner Karriere ist er aber immer häufiger verletzt. In der Saison 2018/2019 reift schließlich der Entschluss, nach 21 Jahren aufzuhören. Wochenlang gibt es Spekulationen über sein bevorstehendes Karriereende. Öffentlich bekannt macht Nowitzki seine Entscheidung zunächst aber nicht.
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Emotionaler Abschied
Das passiert erst nach dem letzten Saisonspiel der Mavericks in eigener Halle. Alleine im Rampenlicht, wo er sich stets unwohl gefühlt hat, verkündet er: "Das war mein letztes Heimspiel." Zum Abschied sind auch die NBA-Legenden gekommen, die früher Nowitzkis Vorbilder waren. Larry Bird, Scottie Pippen, Shawn Kemp und Detlef Schrempf erweisen Nowitzki, der sie mittlerweile alle überragt, die Ehre.
Bild: picture-alliance/AP Images/T. Gutierrez
Herausragendes Talent
Nowitzki wächst in Würzburg als Sohn einer Basketball-Nationalspielerin und eines Zweitliga-Handballers auf und beginnt mit 13 Jahren mit dem Basketball. Schnell wird sein herausragendes Talent klar. Bereits mit 16 spielt er mit der DJK Würzburg in der 2. Liga, steigt später in die Bundesliga auf. Er arbeitet damals bereits einige Jahre mit seinem Mentor Holger Geschwindner zusammen.
Bild: picture-alliance/ASA
Mentor, Trainer, Berater, Freund
Geschwindner, Ex-Basketball-Nationalspieler und mehrfach deutscher Meister, sieht Nowitzki erstmals 1995 als Jugendlichen, erkennt sein Talent und überzeugt den späteren NBA-Star davon, ganz auf Basketball zu setzen. Seitdem arbeiten sie zusammen - teilweise mit ungewöhnlichen Trainingsmethoden. Geschwindner kommt auch immer wieder als Individualtrainer zu Nowitzki nach Dallas.
Bild: Norbert Schmidt/picture alliance
Große Ehre Nationalmannschaft
Neben der NBA-Karriere ist Nowitzki (3.v.r.) auch die Nationalmannschaft sehr wichtig. Er macht 153 Länderspiele, gewinnt mit dem DBB-Team 2002 WM-Bronze und 2005 EM-Silber. Seine Rückennummer "14" wird seit 2022 nicht mehr vergeben. Teamkollegen, die er seit der Jugend kennt, wie Desmond Greene (4.v.r.) oder Robert Garrett (r.) sind auch 30 Jahre später noch enge Freunde Nowitzkis.
Bild: Marcus Führer/dpa/picture-alliance
WM-Bronze und Olympiateilnahme
Einen seiner größten Momente als Sportler erlebt Nowitzki bei den Olympischen Spielen 2008. Schon mit der Olympia-Teilnahme erfüllt sich Nowitzki einen Kindheitstraum. Dann aber darf er die deutsche Mannschaft bei der Eröffnungsfeier sogar als Fahnenträger ins Pekinger Stadion führen. "Das treibt mir heute noch Tränen in die Augen", sagt er später. "Diesen Moment werde ich nie vergessen."
Bild: picture-alliance/dpa
Volksnah, bescheiden und freundlich
Trotz aller Erfolge bleibt Dirk Nowitzki bodenständig. Wann immer er kann, geht er auf die Wünsche der Fans ein, steht für Interviews bereit. Dabei ist er stets aufmerksam und freundlich. Von Allüren keine Spur. Sein Privatleben schirmt der Familienvater weitgehend ab. Das Glitzerleben eines Superstars mit öffentlichen Auftritten und Meldungen in den Klatschspalten führt er nicht.
Bild: Reuters/USA Today Sports/EFE/J. Mendez
Drei wichtige Frauen
Dirk Nowitzki heiratet 2012 Jessica Olsson (l.), eine schwedische Galeristin mit kenianischen Wurzeln. Sie wird zur wichtigsten Frau in seinem Leben und zur Mutter seiner drei Kinder Malaika, Max und Morris. Eine große Rolle spielen außerdem Mutter Helga (r.) und Schwester Silke (2.v.r.), beide Ex-Basketball-Nationalspielerinnen. Die Schwester ist Nowitzkis Managerin und Leiterin seiner Stiftung.
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Soziales Engagement
Die Stiftung gründet Nowitzki bereits 2005. Sie setzt sich für die Förderung von Kindern ein, die "von Krankheit, Armut, Missbrauch oder Vernachlässigung betroffen sind". Seit 2013 ist Nowitzki zudem UNICEF-Botschafter. Für sein soziales Engagement erhält der Basketballer 2019 das Bundesverdienstkreuz. 2023 agiert er als eine Art Botschafter der Special Olympics (Foto).
Bild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance
Besondere Ehre
Im Januar 2022 wird Nowitzkis Trikotnummer, die 41, bei den Dallas Mavericks feierlich "in Rente geschickt", unter das Hallendach gezogen und fortan nicht mehr vergeben. Als kleiner Entwurf (l.) wird dabei auch schon das Denkmal präsentiert, das Mavericks-Besitzer Mark Cuban - auch um den bescheidenen Nowitzki zu foppen - als "biggest, most badass statue ever" angekündigt hat.
Bild: LM Otero/AP/picture alliance
Für die Ewigkeit
Die Statue, die Nowitzki bei seinem typischen "Flamingo Fadeaway" zeigt, steht seit Weihnachten 2022 vor der Halle der Mavericks in Dallas. "Loyalty never fades away" (Loyalität vergeht nie) ist auf dem Sockel zu lesen. Hier wird Nowitzki für immer stehenbleiben. Auch seinen Platz in der Basketball-Historie hat er - wie die Aufnahme in die Hall of Fame unterstreicht - auf ewig sicher.