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Nowitzki: Weltstar mit Tiefenwirkung

4. Februar 2019

Seit 20 Jahren spielt Dirk Nowitzki in der NBA. Nur wenige seiner Landsleute ahnen, wie sehr der Basketball-Profi der Dallas Mavericks in den USA verehrt wird - und wie er den Basketball dort geprägt und verändert hat.

USA Dirk Nowitzki, deutscher Basketballspieler | Dallas Mavericks vs. Boston Celtics
Umjubelter Abschied: Dirk Nowitzki spielt zum wahrscheinlich letzten Mal in Boston und wird von den Celtic-Fans gefeiertBild: picture-alliance/AP Photo/E. Amendola

Noch 1,1 Sekunden zu spielen, Einwurf Dallas, Dirk Nowitzki eilt nach vorne, die Fans feuern ihn an, er bekommt den Ball und wirft. Daneben. Die Menge raunt enttäuscht und applaudiert frenetisch. Nowitzki lacht und klatscht seinerseits. Das Auswärtsspiel der Dallas Mavericks in Boston Anfang Januar war längst entschieden - zugunsten der Celtics. Klar, auch deshalb hätten die Heimfans dem Gegner den Korb gegönnt. Aber "Dirkules", der "Germanator" oder das "German Wunderkind" ist eben nicht irgendwer.

Vor genau 20 Jahren, am 5. Februar 1998, bestritt Dirk Nowitzki sein erstes NBA-Spiel. Die verkürzte Saison in der nordamerikanischen Profiliga hatte damals wegen eines Spielerstreiks mit einigen Monaten Verspätung begonnen, aber dem schlaksigen 20-Jährigen aus Würzburg genügte das, um als Kandidat für den Titel des besten Liganeulings (Rookie of the Year) gehandelt zu werden. In seiner zweiten Saison konkurrierte er um den Titel des Spielers mit dem größten Entwicklungssprung (Most Improved Player). Ein Jahr später wurde er zum ersten Mal erfolgreichster Korbschütze der Dallas Mavericks und blieb es auch in den folgenden 13 Jahren.

Vom "Wunderkind" zu "Saint Dirk"

Spätestens in der Saison 2005/2006 war Nowitzki endgültig ein Superstar. Als erster Europäer und dritter Nicht-US-Amerikaner nach dem Nigerianer Hakeem Olajuwon und Steve Nash aus Kanada wurde er zum MVP, dem besten Spieler der Liga, gewählt. Der Höhepunkt seiner Karriere aber war der Titelgewinn 2011 - gegen die damalige Übermannschaft der Miami Heat mit den Superstars LeBron James, Chris Bosh und Dwyane Wade.

Am Ziel der Träume: Dirk Nowitzki nach dem Titelgewinn mit den Dallas Mavericks im Jahr 2011Bild: picture-alliance/dpa

Nowitzki wurde zum wichtigsten Spieler der Finalserie gewählt. Seitdem nennt man ihn in Dallas auch "Saint Dirk", der Heilige Dirk. Der ehemalige NBA-Spieler Brian Scalabrine und heutige Kommentator der Boston Celtics schwärmt: "Das war die beste Vorstellung, die ich je in einer Finalserie gesehen habe."

Mancher Experte würde entgegnen, dass auch Michael Jordan in mindestens einer seiner sechs Finalserien Großartiges geleistet hat, oder LeBron James 2016. Und genau zwischen diesen Basketball-Titanen tummelt sich Dirk Nowitzki in der ewigen Scorer-Liste der NBA als einer von nur sieben Spielern mit mehr als 30.000 Karrierepunkten.

Eine Klasse für sich

Was den 2,13 Meter großen Nowitzki schon zu Beginn seiner Karriere besonders machte, fasst Deutschlands Rekordnationalspieler Patrick Femerling so zusammen: "Er ist ein Außenspieler im Körper eines Großen." Nowitzki kann dank seines guten Wurfes von überall punkten, erzielt zahlreiche Drei-Punkte-Würfe, ist aber auch in unmittelbarer Korbnähe erfolgreich. "Das alles", sagt Femerling, "schafft er mit minimalistischem Aufwand: eine Wurftäuschung, ein, zwei Dribblings - das ist supereffizient."

Teamkameraden in der Nationalmannschaft: Patrick Femerling (l.) und Dirk Nowitzki (r.) Bild: Getty Images/AFP/A. Messinis

Nowitzkis Markenzeichen ist eine Wurfvariante, bei der er aus der Drehung heraus auf einem Bein von Korb und Verteidiger wegspringt. Auch seinen 30.000sten Punkt (s.u.) erzielte er mit einem solchen "einbeinigen Fade-Away", der auch "Flamingo-Shot" heißt. Wenn andere Spieler ihn imitieren, nennen Reporter ihn aber auch schon einmal schlicht "Dirk".

Europas Basketball-Prophet

Nowitzki hat mit seiner Spielweise den Basketball mitgeprägt, der heute in der NBA gespielt wird. Lange Zeit suchten die Teams für die großen Positionen den nächsten Shaquille O'Neal - einen schweren Center, der die Zone unter dem Korb dominiert. Oder einen Power Forward wie Tim Duncan, der mit seiner Spielintelligenz das ganze Team besser macht.

Heute suchen sie den neuen Dirk Nowitzki: "Er hat das Spiel für Große verändert. Er hat uns die Möglichkeit gegeben, aus der Zone herauszukommen", zitiert das US-Fanportal "Fansided" DeMarcus Cousins. Der 28-jährige Center gilt als einer der talentiertesten Big Men der Liga. Natürlich trifft auch er regelmäßig Dreier, sonst hätte er diesen Ruf nicht. Ligaweit ist der Drei-Punkte-Wurf heute viel wichtiger geworden als er es noch vor 20 Jahren war.

Vielleicht hätte diese Entwicklung auch ohne Nowitzki stattgefunden, sagt Nationalmannschaftskollege Femerling: "Er hat da sicher etwas losgetreten". Ein Zufall wäre es aber wohl nicht, wenn ein Europäer diese Spielweise in die USA gebracht hätte: "Der europäische Basketball war taktisch schon immer vielseitiger."

Superstar ohne Allüren

In den USA wird Nowitzki vor allem deshalb geliebt, weil er viel mehr ist, als ein Ausnahme-Talent. Er gilt als harter Arbeiter, diszipliniert, professionell und wahnsinnig "competitive". Mit ehrgeizig wäre dieses Wort, das so oft fällt im US-Sport, schlecht übersetzt. Denn es geht dabei weniger um Ruhmeshunger als die unbedingte Bereitschaft, Herausforderungen anzunehmen - sei es, die eigene Technik zu verbessern, sich aus einem Rückstand herauszukämpfen oder diesen einen Wurf, den man gerade ausführt, zu versenken. Regelmäßig trainierte Nowitzki nicht nur mit seinem Team, sondern zusätzlich in Einzelschichten mit seinem Jugendtrainer und Mentor Holger Geschwindner, der extra in die USA einflog.

Extraschichten in der Sommerpause: Dirk Nowitzki (r.) mit Mentor Holger Geschwindner (l.)Bild: picture-alliance/dpa

Nowitzki vereint auf sich viele Eigenschaften, die auch andere NBA-Stars zutreffen, aber wohl keiner von ihnen bildet sich so wenig darauf ein wie der Deutsche. "Wenn wir im Sommer zusammen trainiert haben, war er oft eine Stunde länger als andere in der Halle", erinnert sich Patrick Femerling. "Aber er wollte nie etwas Besonderes sein."

So blieb der drei Jahre ältere Femerling auch stets Mannschaftskapitän, obwohl Nowitzki mit ihm im Team war. "Da gab es nie ein Problem", sagt Femerling. "Im Gegenteil: Dass Dirk unser bester Spieler war, hat es gerade so erstrebenswert gemacht, in der Nationalmannschaft zu spielen, denn es ging ihm immer um den Erfolg der Mannschaft."

Fans lieben Nowitzki

Dass es Nowitzki nicht um sich, sondern um den Team-Erfolg geht, hat er auch beim Geld bewiesen: In Dallas hat er über die Jahre freiwillig auf etliche Millionen US-Dollar an Gehalt verzichtet - der "Business Insider" kommt auf theoretische 194 Millionen. Zunächst damit die Mavericks um ihn herum ein konkurrenzfähiges Team zusammenstellen konnten, später weil der Verein kaum noch zahlen konnte, was Nowitzki zugestanden hätte.

Dazu passt, dass Nowitzki in Sozialen Medien Trainings-Videos teilt statt Fotos von protzigen Autos, goldenen Uhren oder Promi-Empfängen. 2017 twitterte er ein Urlaubsfoto von sich auf einem rostigen Hollandrad mit dem Kommentar: "Alle posten derzeit Bilder von ihren Trainingseinheiten! Also: Hier schinde ich mich auf meinem neuen Fahrrad."

Zahllose Internet-Videos dokumentieren Nowitzkis Sinn für Humor, der auch vor ihm selbst keinen Halt macht: Mal tritt er in einem Werbespot mit einer Perücke seiner eigenen Frisur auf, mal brilliert er bei einer Benefiz-Veranstaltung mit Slap-Stick-Einlagen oder er synchronisiert seine eigene Comic-Parodie. All das summiert sich zu einer Beliebtheit, die ihresgleichen sucht und die zeigt, dass Dirk Nowitzki weit mehr ist, als "nur" ein außergewöhnlich guter Basketballer.

 

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.
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