Wiese: Dialog trotz Differenzen
6. Juni 2018Deutsche Welle: Herr Wiese, wie bewerten Sie Ihren ersten Russlandbesuch?
Dirk Wiese: Es war es ein sehr guter erster Besuch sowohl in Moskau als auch in Sankt Petersburg. Ich habe sehr viele gute Gespräche geführt, sehr viele Eindrücke mitgenommen, ich habe ein hohes Maß an Interesse an meiner Person und auch an der Bundesrepublik Deutschland gemerkt. Ich habe ein hohes Maß an Gastfreundschaft gespürt. Von daher komme ich mit sehr guten Eindrücken von meiner ersten Reise zurück. Ich kann versichern: Das wird in diesem Jahr nicht die letzte Reise gewesen sein.
Was waren Ihre wichtigsten Treffen?
Es waren natürlich Termine im russischen Außenministerium, Gespräche mit Vertretern der russischen Zivilgesellschaft und von Initiativen im sozialen Bereich. Aber eines der wichtigsten Treffen war mit Michail Fedotow, dem Berater des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Menschenrechtsfragen und der Zivilgesellschaft, der ja mein Counterpart beim Petersburger Dialog (dem deutsch-russischen Gesprächsforum, Anm. d. Red.) ist. Wir haben einen sehr guten produktiven Austausch gehabt, um auch den Petersburger Dialog und die dortige Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft voranzubringen. Der Petersburger Dialog findet im Oktober wieder in Moskau statt.
Was haben Sie sich in Ihrer neuen Funktion vorgenommen?
Ich glaube, dass es darauf ankommt, Impulse zu setzen - in einer Zeit, wo es in den deutsch-russischen Beziehungen nicht einfach ist. Umso wichtiger ist es, dass man versucht, die jüngere Generation zusammenzubringen. Da gibt es tolle Möglichkeiten mit dem jetzt folgenden Deutsch-Russischen Kreuzjahr der Hochschul- und Wissenschaftskooperation. Wir wissen, dass es über 1000 Kooperationen im Hochschulbereich gibt.
"Junge Leute zusammenbringen"
Es gibt einen weiteren hochinteressanten Punkt, wo man gerade unsere beiden Länder zusammenbringen kann. 2019 werden ins Pskow die Internationalen Hansetage der Neuzeit stattfinden und ein Jahr später in meiner Heimatstadt Brilon. Wir freuen uns, wenn 14 russische Hansestädte da vertreten sind. Auch da kann man junge Leute zusammenbringen.
Der ukrainisch-russische Konflikt sorgt auch für eine Entfremdung zwischen Russland und Deutschland. Wie kann man sie stoppen?
Das Wichtigste ist reden, reden, reden und versuchen, für die gegenseitigen Argumente Verständnis zu wecken. Ja, es gibt Meinungsverschiedenheiten und Punkte, wo wir definitiv unterschiedlicher Auffassung sind, gerade was die völkerrechtswidrige Annexion der Krim angeht. Aber es gibt auch Punkte, wo wir gemeinsam vorankommen können. Ich erinnere an das Iran-Dossier, aber auch an Punkte im zivilgesellschaftlichen Bereich. Wir haben zum Beispiel gerade das Deutsch-Russische Jahr der Städtepartnerschaften. Solche Großereignisse können dazu beitragen, dass unsere beiden Völker in den Dialog eintreten.
Was halten Sie davon, die G7 wieder um Russland zur G8 zu erweitern?
Ich glaube, dass wir erst einmal versuchen müssen, was Außenminister Heiko Maas vorgebracht hat: Fortschritte im Normandie-Format (Russland, Deutschland, Frankreich und der Ukraine, Anm. d. Red.) zu finden. Möglichkeiten zu finden, in der Ostukraine zu Lösungen zu kommen. Den Genf-Friedensprozess zu Syrien wieder zu aktivieren. Das sind Punkte, wo wir erst einmal Fortschritte sehen müssen, um dann möglicherweise bei gewissen Formaten wieder zu alten Punkten zurückkehren zu können.
"Sanktionen derzeit nicht lockern"
Die deutsche Wirtschaft ist gegen die EU-Sanktionen gegen Russland. Im Koalitionsvertrag steht dazu eine schwammige Formulierung. Laut Kanzlerin müssen die Sanktionen bleiben. Was meinen Sie?
Es gibt eine sehr deutliche Handschrift im Koalitionsvertrag und eine sehr deutliche Festlegung, dass die EU-Sanktionen an die Fortschritte im Friedensprozess gekoppelt sind. Aktuell ist es so, dass nicht einmal der erste Punkt des Minsker Friedensprozesses - ein dauerhafter Waffenstillstand - umgesetzt ist. Darum gibt es nach derzeitigem Stand keine Möglichkeit, diese Sanktionen zu lockern. Es ist wichtig, dass wir mit dem Normandie-Format versuchen, hier wieder Bewegung reinzubringen.
Bald startet die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland. Diskutiert wird ein Boykott der Spiele durch westliche Politiker. Was raten Sie der Kanzlerin oder den Ministern in ihrem Kabinett?
Ich glaube, dass gerade ein Ereignis wie die Fußball-WM tolle Möglichkeiten bietet, miteinander ins Gespräch zu kommen. Ich war in Sankt Petersburg, wo es ein Turnier der Nationalmannschaften der blinden Fußballer gegeben hat - von Deutschland, Russland und Belgien. Das war ein tolles Sportereignis, wo die deutsche und russische Mannschaft sich auf dem Platz nichts geschenkt haben. Wir haben am Ende eins zu null gewonnen. Ohne die Fußball-WM wären auch solche Ereignisse nicht möglich.
"WM schafft tolle Möglichkeiten"
Die Fußball-WM ist ein sehr guter Rahmen, auch auf soziale Projekte aufmerksam zu machen. Im Mai war in Wolgograd das Spiel der U18-Fußball-Nationalmannschaften Deutschlands und Russlands. Dass junge Menschen an einem solch geschichtsträchtigen Ort gegeneinander spielen, sich friedlich auf dem Platz verstehen und nachher die Hand geben, auch wenn die eine Seite verliert und die eine Seite gewinnt, ist doch eine tolle Möglichkeit, die diese WM letztendlich schafft. Die Bundesregierung wird früh genug entscheiden, wer zu welchem Spiel fährt. Da ich davon ausgehe, dass Deutschland und Russland im WM-Finale gegeneinander spielen, wird sicherlich auch die Bundeskanzlerin die Möglichkeit finden, da zu sein.
Der 34-jährige SPD-Politiker Dirk Wiese ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Von 2017 bis 2018 war er Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Im April 2018 wurde er zum Koordinator für Russland, Zentralasien und die Länder der Östlichen Partnerschaft berufen.
Das Gespräch führte Nikita Jolkver.