Deutschland: Rassismus und Sexismus nehmen zu
3. Juni 2025
Da ist Mahmoud, der verzweifelt eine Wohnung sucht, aber meistens nicht einmal eine Einladung für eine Besichtigung erhält - sein deutscher Freund Stefan für eine angeblich vergebene Wohnung aber schon. Da ist das schwule Ehepaar, dem das Jugendamt ein "krankhaftes, unnatürliches Beziehungsgeflecht" vorwirft. Und da ist die Auszubildende in einer Logistikfirma, die von einem Mitarbeiter mehrfach und massiv sexuell belästigt wird - Beispiele von Menschen, die sich 2024 mit ihren Diskriminierungserfahrungen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewandt haben.
"Diskriminierung ist ein wachsendes Problem in Deutschland. Wir haben ein massives Problem mit Rassismus, Wir haben ein massives Problem mit Sexismus. Und wir haben einen massiven Unwillen, Menschen mit Behinderung die gleiche Teilhabe zukommen zu lassen", sagt Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung.
Sie wertet den Anstieg der Beratungsanfragen aber auch als Vertrauensbeweis in den Rechtsstaat, denn immer mehr Menschen würden "ihre Rechte kennen und sich gegen Diskriminierungen zur Wehr setzen." Vor allem gegen Rassismus: Mehr als 3800 Menschen berichteten im vergangenen Jahr von ihren Erfahrungen damit - beinahe jede zweite Anfrage bei der Antidiskriminierungsstelle.
Rassismus bleibt häufigste Form der Diskriminierung
Ayman Qasarwa ist Geschäftsführer bei DaMOst, dem Dachverband der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland. Im Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle schildert er, wie Betroffene Rassismus erleben: "Besonders migrantische Jugendliche sind in Schulen oft rassistischen Angriffen ausgesetzt, ohne dass es kompetente Ansprechpersonen gibt."
Ziel von rassistischen Anfeindungen seien auch schwarze Frauen und Frauen mit Kopftuch. "Sie werden auf der Straße beschimpft, angespuckt oder angegriffen, manchmal wird ihnen das Kopftuch heruntergerissen". Auch bei der Arbeit erleben diese Frauen Rassismus. "Zum Beispiel hören Ärztinnen im Krankenhaus von Patient*innen: von dieser Frau möchte ich nicht behandelt werden", sagt Qasarwa.
Frauen am Arbeitsplatz: Sexismus und Karrierehindernisse
Dass insbesondere Frauen Zielscheibe von Rassismus werden, ist kein Zufall - denn viele von ihnen werden gleich doppelt diskriminiert. Im Jahr 2024 gingen 2133 Beratungsanfragen zu Diskriminierungen wegen des Geschlechts ein - mehr als doppelt so viele wie noch fünf Jahre zuvor. "Geschlechtsbezogene Diskriminierungen sind in unserer Gesellschaft immer noch tief verankert - und sie nehmen wieder zu", sagt Ferda Ataman.
Hilfe wird dabei vor allem im Arbeitsalltag gesucht. Frauen erleben dort häufig sexuelle Belästigungen: obszöne Gesten, aufdringliche Blicke, sowie unerwünschte Berührungen und E-Mails mit sexuellem Bezug.
Aber auch Nachteile bei Beförderungen, wenn sie schwanger sind oder nach der Elternzeit wieder ins Berufsleben zurückkehren. Oft bekommen sie auch nicht die gleichen Chancen auf einen Job. Insbesondere davon betroffen: muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen, deren Bewerbungen zum Beispiel häufig nicht berücksichtigt werden.
Gleicher Job, weniger Geld: erfolgreiche Klage einer Bürgermeisterin
Und immer noch bekommen Frauen in Deutschland weniger Geld im Job als Männer, im Schnitt 16 Prozent. Hauptgründe der Lohnlücke: Teilzeitarbeit und die Tätigkeit in systemrelevanten, aber weniger gut vergüteten Berufen wie der Pflege.
Doch selbst wenn Frauen den exakt gleichen Job erledigen, kann am Ende des Monats weniger Geld auf dem Gehaltszettel stehen. Wie bei Astrid Siems-Knoblich, die als Bürgermeisterin im baden-württembergischen Müllheim weniger verdiente als ihr Vorgänger und ihr Nachfolger - und erfolgreich dagegen klagte.
"Ich habe das nicht nur für mich gemacht, sondern für alle Frauen, die ebenfalls von einer solchen Diskriminierung betroffen sind", berichtet sie im Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle. "Eine gleiche Bezahlung ist letztendlich ein Grundrecht und niemand sollte in unserem Land davor zurückscheuen, seine Grundrechte einzufordern."
"Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes überfällig"
"Antidiskriminierungspolitik war nie wichtiger. Die Regierung ist gefordert, Diskriminierung entschieden entgegenzutreten und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu reformieren", fordert die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman. "In Deutschland wird Falschparken konsequenter geahndet als andere Menschen zu diskriminieren."
Das Gesetz, im Jahr 2006 verabschiedet und damit fast 20 Jahre alt, sei zwar ein Meilenstein für den Diskriminierungsschutz gewesen, aber seither kein einziges Mal reformiert worden und nicht mehr zeitgemäß, so Ataman. Denn es greift nicht bei Diskriminierungen durch staatliche Stellen: bei Ämtern und Behörden, Justiz, staatlichen Schulen oder der Polizei.
"Momentan haben wir die absurde Situation, dass Menschen im Supermarkt besser vor Diskriminierung geschützt sind als in der Schule oder auf dem Amt." Der Appell der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung lautet deswegen: "Diskriminierung ist nicht nur ein Problem derjenigen, die sie erleben. Diskriminierung schadet der Wirtschaft, gefährdet die Demokratie und unseren Rechtsstaat als Ganzes".