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Hat Disney dazugelernt?

9. Dezember 2021

Disney wurde schon oft kulturelle Aneignung vorgeworfen. Für den Film "Encanto" haben die Macher die indigene Zenú-Bevölkerung einbezogen.

Ausschnitt aus "Encanto": Menschen tanzen und lachen im Kreis
Szenenbild aus Disneys "Encanto"Bild: Walt Disney Pictures/Prod.DB/imago images

Die neue Disney-Animation "Encanto" erzählt das zauberhafte Abenteuer einer indigenen Großfamilie. Die Madrigals leben in einer verwunschenen Stadt in den Bergen Kolumbiens. Mit Ausnahme eines Kindes besitzt jedes Familienmitglied eine einzigartige Zauberkraft.

Um der Darstellung der indigenen Familie gerecht zu werden, haben die Filmemacher mit Vertretern der Zenú-Bevölkerung zusammengearbeitet. Was heute selbstverständlich scheint, war nicht immer so. Disney wird immer wieder kulturelle Aneignung und Bedienung rassistischer Narrative vorgeworfen. Eine Analyse von Disneys Filmografie. 

Despektierliche Darstellungen in "Dumbo" (1941)

Eine Gruppe von Krähen sitzt auf einem Ast, eine von ihnen raucht eine Zigarre. Sie lachen, tanzen und singen, dabei machen sie sich lustig über den kleinen Elefanten "Dumbo" mit seinen großen Ohren, der ihnen traurig zuhört. Der Anführer der singenden Krähen-Gruppe heißt Jim Crow. Kein zufälliger Name - in den USA im 19. Jahrhundert stand er für das Stereotyp eines tanzenden, singenden Schwarzen. Eine Bühnenfigur, erschaffen von dem weißen Komiker Thomas D. Rice, der als Blackface auftrat.

Der Filmklassiker "Dumbo" (1941) - 2019 wurde der Stoff auch realverfilmt, mit eher enttäuschenden KritikenBild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

Dass diese Szene so nicht in Ordnung ist, gesteht Disney inzwischen ein: Sie erinnere an rassistische Minstrel-Shows, bei denen weiße Darsteller mit geschwärzten Gesichtern und zerfetzter Kleidung die versklavten Afrikaner auf den Plantagen der Südstaaten imitierten und verspotteten.

Auch der Anfang des Films ist mehr als fragwürdig: Zu sehen sind gesichtslose schwarze Arbeiter, die ein Zirkuszelt aufbauen. Dazu singen sie ein Lied, in dem es heißt: "Wir arbeiten den ganzen Tag, wir arbeiten die ganze Nacht. Wir haben nie lesen und schreiben gelernt. Wir sind fröhliche Hilfsarbeiter." Und weiter: "Wenn andere ins Bett gehen, schuften wir uns ab, bis wir sterben." Eine zynische Darstellung schwarzer Menschen in den USA und eine Verharmlosung der Geschichte der Sklaverei.

"Dumbo" ist nicht der einzige Disney-Film, in dem indigene Menschen oder solche aus anderen Kulturkreisen despektierlich dargestellt werden. Im Filmklassiker "Peter Pan" (1953) etwa sprechen die Ureinwohner Amerikas eine unverständliche Sprache und werden wiederholt als "Rothäute" bezeichnet.

Gründer der Disney Studios: Der US-amerikanische Filmproduzent Walt Disney begann seine Karriere als ReklamezeichnerBild: Imago/ZUMA Press/Globes Photos

Warnhinweis: "Stereotype waren damals falsch und sind es noch heute"

Inzwischen hat Disney vor mehrere alte Filme wie "Dumbo", "Peter Pan" und "Aristocats" Warnhinweise eingebaut: "Dieses Programm enthält negative Darstellungen und/oder eine nicht korrekte Behandlung von Menschen oder Kulturen. Diese Stereotype waren damals falsch und sind es noch heute." Mit diesen Einblendungen sollen Diskussionen angeregt werden, die eine integrative Zukunft ohne Diskriminierung ermöglichen sollen, so der Konzern.

Doch reicht ein Hinweis zu Beginn eines Filmes aus? Nein, sagt Keala Kelly. Die Filmemacherin lebt auf Hawaii und ist Kānaka Maoli, Ureinwohnerin der pazifischen Inselkette: "Ein solcher Warnhinweis ist eigentlich ein Freifahrtschein für Disney, die rassistischen Darstellungen aus der Vergangenheit aufzufrischen und beizubehalten. Der Konzern ist nicht bereit, Goldgruben wie Peter Pan aufzugeben. Denn es ist nicht nur der Film, der Milliardengewinne einbringt. Es ist das Merchandising und die ständigen Neuauflagen dieser Filme." Das Traurige dabei sei, dass die Menschen, deren Kultur Disney porträtiert, sich "am wenigsten wehren können, weil sie am meisten marginalisiert sind und eine Geschichte der Kolonialisierung hinter sich haben", so Keala Kelly.

Szene aus dem Film "Peter Pan" von 1953Bild: Mary Evans Picture Library/picture alliance

Kulturelle Aneignung - damals und heute

Von "kultureller Aneignung" spricht man, wenn Bestandteile einer Kultur - etwa geistiges Eigentum, kulturelle Ausdrucksformen, Artefakte, Geschichte oder Wissensformen - von Mitgliedern einer anderen Kultur übernommen und dabei aus dem Kontext gerissen werden. Und zwar deshalb, damit sie dem eigenen Geschmack entsprechen oder um daraus Kapital zu schlagen. In der Disney-Filmografie finden sich mehrere Beispiele, wo Elemente einer bestimmten Kultur aufgenommen und zu Unterhaltungszwecken verändert wurden. So hat etwa der Film "Pocahontas" kaum noch etwas mit der Ursprungsgeschichte gemein: Aus einem zehn Jahre alten Mädchen machte Disney eine attraktive, leicht bekleidete Frau, die sich in John Smith, einen englischen Abenteurer und Kolonialisten, verliebt.

Aber nicht nur in alten Filmen wird Disney kulturelle Aneignung nachgesagt, auch neuere Werke werden kritisiert - etwa der Film "Vaiana" (2016, Originaltitel: "Moana"), der die Geschichte eines Inselvolks im Pazifik erzählt. Einer der Kritikpunkte: Disney habe sich bei der Kultur mehrerer pazifischer Völker bedient und einen Mix daraus gemacht: "Sie versuchen, unsere Kultur auszulöschen, indem sie sie kommerzialisieren. Wenn Disney nach Kolumbien ("Encanto") oder Norwegen ("Die Eiskönigin") nach Hawaii oder in den Pazifik ("Vaiana", "Lilo & Stitch") kommt, wird die dortige Kultur aus dem Kontext gerissen und demontiert, das ist wie Rosinenpicken", sagt die Filmemacherin Keala Kelly. "Sie kommen, machen eine Autopsie, ziehen das Organ heraus, das sie brauchen, und transplantieren es in ihre Frankenstein-Version von uns. Dann verfüttern sie es dem Publikum mit diesen niedlichen kleinen Kinderfiguren. Das ist eine industrialisierte Auslöschung von Völkern und Kulturen."

Szenenbild aus "Vaiana" (2016)Bild: Walt Disney

Kulturelle Aneignung sei das Gegenteil von kultureller Wertschätzung. "Es sind die Ureinwohner Hawaiis, die obdachlos sind, die früher sterben, die marginalisiert sind", so Keala Kelly. Disney schaffe lieber eine Phantasie über diese Ureinwohner als die Realität zu zeigen - denn diese klinge bei weitem nicht so schön: "Die Realität ist, dass wir nicht amerikanisch sein wollten und wollen. Dass wir das US-Militär nicht auf unserer Insel haben wollen. Und dass wir nicht wollen, dass Disney unsere Pilgerstätten instrumentalisiert." Keala Kelly möchte den "falschen Narrativen" entgegenwirken, sagt sie. Doch so einfach sei das nicht: "Ich werde wahrscheinlich nie eine erfolgreichere Filmemacherin sein. Aber ich kann nicht tatenlos zusehen, wie diese industrialisierten Narrative meine Kultur so vergewaltigen."

Hakuna Matata

Wenn der Profit vielversprechend ist, ergreift Disney auch juristische Schritte: Die Marke "Hakuna Matata" zum Beispiel meldete der Konzern bereits 1994 an, als der erste "König der Löwen"-Film in die Kinos kam. Das US-Patent- und Markenamt gewährte die Eintragung der Marke im Jahr 2003 - und Disney druckte den Spruch auf T-Shirts. Der Aktivist Shelton Mpala startete daraufhin eine Petition und beschuldigte den Konzern, mit einer fremden Kultur Geld zu machen.

Disney hat diese Fehler mit der Zeit erkannt. Der Konzern versucht nun vermehrt, authentische Geschichten zu erzählen und nicht über, sondern mit den Menschen aus anderen Kulturen zu sprechen und zusammenzuarbeiten. So gründete Disney etwa die Plattform "Stories Matter", auf der das Unternehmen nicht nur über die neue Herangehensweise beim Filmemachen spricht, sondern auch über die alten Fehler.

Neuausrichtung von Disney

Das Ende der 1990er-Jahre kann man als eine Art Neustart bei Disney bezeichnen. Es war die Zeit, in der eine Menge Veränderungen im Konzern vorgenommen wurden, inklusive der Neubesetzung nahezu der gesamten Chefetage. Authentische Geschichten müssen erzählt werden - aber vor allem müssen sie richtig erzählt werden. Jüngstes Beispiel ist "Die Eiskönigin II": Bevor dieser Film zustande kam, sah sich Disney gezwungen, eine Abmachung mit Vertretern der Sámi-Bevölkerung zu unterzeichnen, deren Kultur als Grundlage für beide Filme diente.

Auch mit "Encanto" beweist Disney, dass der Konzern aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat und sich seiner Verantwortung bewusst ist. Um eine authentische Darstellung der Zenú zu schaffen, haben die Macher von "Encanto" eng mit Zenú-Künstlern und -Handwerkern zusammengearbeitet: "Meine Aufgabe war es, das Wissen darüber beizusteuern, wie man im Volk der Zenú das Süßgras bearbeitet", sagt Reinel Mendoza. "Und ich sollte die Geschichte des 'sombreros vueltiao' erzählen: wie man ihn herstellt, was die Flecken darauf in den einzeln Familien bedeuten und wie Flora und Fauna unsere Vorfahren bei der Arbeit inspiriert haben. Es war eine wichtige und sehr erfreuliche Aufgabe."

"Encanto" ist im Kino und ab dem 24. Dezember auf Disney+ zu sehenBild: Walt Disney Pictures/Prod.DB/imago images

Die von Reinel Mendoza gewebten Hüte sind traditionelle Handwerksprodukte der Zenú-Völker an der Karibikküste Kolumbiens. In den indigenen Gemeinschaften des Landes wurden und werden mehrere ähnliche Hutarten geflochten - der "sombrero vueltiao" ist zum Symbol der kolumbianischen Identität geworden. 

"Es wird nicht die ganze Geschichte erzählt"

Für die Filmemacherin Keala Kelly ist eine solche Zusammenarbeit dennoch nicht ausreichend. Es werde nämlich nie die ganze Geschichte der Völker erzählt, sondern nur das Gute sei gewinnbringend für Disney: "In Kolumbien werden so viele indigene Menschen ermordet, weil sie für ihre Rechte eintreten. Glauben Sie, dass dies auch in 'Encanto' zu sehen sein wird?" Was Disney und Hollywood machen, nennt die Filmemacherin "Whitewashing". Alles werde verändert und neu arrangiert, um ein Märchen erzählen zu können, so Keala Kelly. "Das ist das amerikanische Narrativ über indigene Völker: verfälschte, verwässerte, schuldfreie kulturelle Unterhaltung." 

Die Diskussion wird anhalten - und das ist auch notwendig. Disney ist sicherlich auf dem richtigen Weg. Ob es ausreicht, ist eine Frage der Perspektive. Disney ist ein Konzern mit einer enormen Wirkkraft, denn die Geschichten, die wir konsumieren, prägen unsere Wahrnehmung. Bleibt zu hoffen, dass Disney sich dieser Verantwortung bewusst ist. 

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