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Kunst

Documenta-Leiter warnt vor Nationalismus

Ulrike Sommer
7. April 2017

Warum findet Deutschlands bedeutendste Kunstausstellung in Athen und Kassel statt? Im DW-Interview erklärt Adam Szymczyk, welche Bedeutung Ausstellungsorte haben, und warum sie auch politische Statements sind.

Adam Szymczyk Documenta 14 22.11.2013
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Warum haben Sie sich für zwei Ausstellungsorte entschieden: Athen und Kassel? Wofür zwei Blickwinkel auf ein und dieselbe Schau?

Adam Szymczyk: Wir leben in einer Welt, die zunehmend komplexer wird. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, den einen Blickwinkel aufzugeben, von dem aus wir bisher die Dinge betrachtet haben. Natürlich ist Kassel traditionell die Heimat der documenta - und das seit 60 Jahren. Sie eröffnet eine schöne Perspektive auf diese Stadt und auf Deutschland. Aber die Aufgabe des künstlerischen Leiters ist es, mit etwas anderem zu kommen und eine neue Perspektive anzubieten. Ich denke, dass die Doppelung der Perspektive sehr produktiv sein kann. Zunächst ist das eine Art Verlagerung der Ausstellung, die es erlaubt, Bedeutungen von einem Ort aus zu erzeugen, der üblicherweise nicht als wichtige Basis für zeitgenössische Kunst angesehen wird. Wir versuchen nicht, Athen zu einem Ziel für Liebhaber zeitgenössischer Kunst zu machen, sondern von einem Ort aus zu denken und zu arbeiten, der zum Synonym für eine sehr harte Wirklichkeit wurde: also die soziale und ökonomische Krise, die Griechenland spätestens seit 2008 durchmacht - auch wenn die Wurzeln dieser Krise vermutlich tiefer liegen.

Steht jede Ausstellung für sich alleine? Oder sollte man sich beide ansehen?

Athen first, Kassel second: 160 Künstler werden zwei Ausstellungen kreierenBild: picture alliance/dpa/S. Hoppe

Es ist wie beim Jazz: Man braucht zwei Herangehensweisen. Wenn Du ein Stück nur einmal spielst, dann reicht das selten aus. Vor allem, wenn man etwas anderes ausprobieren will - dann spielt man es noch ein zweites Mal. Wir haben die Künstler eingeladen, Werke sowohl für Athen als auch für Kassel zu kreieren. Man könnte also sagen, dass wir es hier mit einem großen, mit sich ringenden Orchester zu tun haben, das in zwei Konzerthallen spielt. Bevor es losgeht, kann ich unser Vorhaben nur in Metaphern beschreiben. Aber ich glaube, es ist wichtig, die Documenta sowohl in Athen als auch in Kassel zu sehen.

Wie wird die Documenta - und mit ihr die Künstler - die derzeit komplexe Situation in Griechenland reflektieren?

Ich glaube, dass man dieser Komplexität nur durch ein sehr komplexes Statement vieler verschiedener Einzelpersonen begegnen kann. Dazu gehören die Künstler der Documenta 14, aber auch weitere Personen, die daran teilnehmen, zum Beispiel die Redaktion und Autoren des Magazins "South as a State of Mind". Wir haben auch öffentliche Veranstaltungen unter dem Titel "The Parliament of Bodies", die wir im vergangenen September initiiert haben und in beiden Städten weiterführen werden. 

Athen gilt als die Wiege der Demokratie und der europäischen Kultur. Jetzt ist die Stadt das Zentrum der Krise. Inwieweit ist Europa Teil der Documenta?

Nicht alle Athener zeigen sich begeistert von der deutschen KunstausstellungBild: DW

Das Tolle daran, in Europa zu leben und zu arbeiten, ist die Freizügigkeit von Menschen und Ideen. Das möchte die Bewegung der Documenta über Grenzen hinweg zeigen. Wir unterstützen keinerlei Ideen von Vorherrschaft oder Nationalstaat. Im Gegenteil, wir betrachten den Nationalstaat als ein sehr mächtiges und gefährliches Konzept, das derzeit zu einer Wiederbelebung virulenter Nationalisten führt, so wie wir es im Moment innerhalb und außerhalb Europas beobachten können.

In Athen werden Sie beschuldigt, die griechische Tragödie auszunutzen. Was antworten Sie auf diesen Vorwurf?

Ich finde nicht, dass wir die Krise ausbeuten. Wir haben nie behauptet, dass Athen wegen der wirtschaftlichen Krise interessant ist. Und auch die Art und Weise, wie wir uns der Stadt nähern, gibt keinen Anlass für den klischeehaften Vorwurf, wir würden die griechische Misere ausnutzen. Wir haben versucht, sehr verantwortungsvoll zu sein und sowohl die aktuelle politische Situation also auch den historischen Hintergrund Griechenlands zu verstehen.

Was kann die hunderttägige Ausstellung ihrer Meinung nach bewirken?

Zum einen können wir grundsätzlich nicht viel ausrichten. Die Documenta ist eine relativ gut finanzierte Kunstausstellung, deren finanzielle Mittel jedoch nicht ausreichen, um die Realität zu verändern. Wir können versuchen, einige Prozesse zu initiieren und einige Richtungen anzustoßen hinsichtlich der Frage, welche Rolle zeitgenössische Kultur bei der Rekonstruktion, beim Schutz der Demokratie spielen könnte.

Hauptquartier der Documenta im Parko Eleftherias. Unter der Militärdiktatur ein Folterzentrum, jetzt Ort für VeranstaltungenBild: DW/A. Kasiske

Zum anderen aber denke ich, dass die Documenta gewisse Spuren hinterlassen wird. Diese Spuren sind die Körper der Menschen, die die Kunstausstellung erlebt haben, ob als Unterstützer oder als Gegner. Das ganze Kraftfeld rund um die Diskussion zu Athen als Ausstellungsort, die Kritik, Bewunderung, Hass und so weiter - das verändert die Realität.

Wir werden definitiv keine megalomanen Ruinen eines Events zurücklassen, denn wir bauen dort nichts Überdimensionales, was danach leer steht. Im Gegenteil: wir versuchen, einigen Orten, die mit der Krise kämpfen, mehr Leben einzuhauchen. Und wir versuchen, mit öffentlichen Institutionen in Athen zusammenzuarbeiten, damit man sieht, dass sie erstens wichtig sind und zweitens trotz der Krise etwas produzieren. Und dass das Orte sind, die man in Athen besuchen sollte und nicht nur diesen Felsen hinauf und wieder hinuntersteigen.

Glauben Sie, dass die Documenta durch Athen als Ausstellungsort in Zukunft offener sein wird?

Ich finde, die Documenta ist bereits ein sehr offenes Format, das es jedem Kurator ermöglicht zu experimentieren und die Agenda in seine jeweilige Richtung zu bestimmen. Okwui Enwezor schuf fünf Plattformen an verschiedenen Orten der Welt, wie beispielsweise in Lagos, Neu-Delhi und St. Lucia. Seine fünfte Plattform war die Ausstellung in Kassel. Weitere Veranstaltungsorte waren in der Vergangenheit Kairo, Alexandria, Banff und natürlich auch Kabul, wie bei der vergangenen Edition der Documenta. Carolyn Christov-Bakargiev hat diese Außenposten etabliert, um gewisse Aspekte ihres Programms zu realisieren oder Ideen zu testen. Oder um eine Ausstellung bewusst an einem vom Krieg zerstörten Ort zu zeigen.

68 Ruinenblöcke des griechischen Künstlers Andreas Angelidakis Bild: picture alliance/dpa/A. Angelopoulou

Wir möchten noch etwas Anderes erreichen. Wir haben 160 zeitgenössische Künstler eingeladen, Kunstwerke in Athen und Kassel zu schaffen. Das gab es bei einer Documenta bisher noch nicht, und ich glaube auch nicht, dass es das noch einmal geben wird. Nicht, dass ich ein Patent für dieses Projekt hätte, aber es so noch einmal zu wiederholen, würde keinen Sinn machen. Die Wahrnehmung der Ausstellung wird sich nach dieser Ausgabe ändern.

Das Interview führte Ulrike Sommer

Der polnische Kunstkritiker und Kurator Adam Szymczyk ist künstlerischer Leiter der Documenta 14, eine der weltweit bedeutendsten Ausstellungen für zeitgenössische Kunst. Sie findet in diesem Jahr vom 8. April bis zum 16. Juli in Athen und vom 10. Juni bis zum 17. September in Kassel statt.

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