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Nach documenta-Eklat: Erste Rückzüge

Torsten Landsberg | Bettina Baumann
7. Juli 2022

Nach dem Antisemitismus-Eklat auf der documenta ziehen sich Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, und die Künstlerin Hito Steyerl von der Kunstschau zurück.

Künstlerin Hito Steyerl blickt in die Kamera, hinter ihr sind leuchtende Bildschirme zu sehen.
Die Medienkünstlerin Hito Steyerl zieht ihren Beitrag von der documenta 15 abBild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

Er war ein externer Berater, sie eine ausstellende Künstlerin: Wie jüngst bekannt wurde, hat Meron Mendel, der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, sein Engagement als Berater der documenta aufgekündigt. In der Folge warf auch die Deutsche Hito Steyerl das Handtuch und bat darum, ihr in Kassel gezeigtes Werk abzubauen. 

Antisemitischer Eklat ist Auslöser für Rückzüge

Nach dem Eklat: Nur noch das Gerüst vom umstrittenen Kunstwerk ist übrigBild: Uwe Zucchi/dpa/picture alliance

Nur wenige Tage nach Eröffnung der documenta hatte das Banner "People's Justice" des indonesischen Kunstkollektivs Taring Padi für einen Eklat bei der documenta 15 gesorgt. Auf dem riesigen Bild waren Figuren zu sehen, die antisemitische Stereotype bedienten, darunter eine Figur mit Schläfenlocke und SS-Signatur auf dem Hut. Die Arbeit war zunächst verdeckt und einen Tag später abgebaut worden. Erste Antisemitismus-Vorwürfe gegen das die documenta 15 kuratierende indonesische Kollektiv Ruangrupa waren bereits zu Jahresbeginn laut geworden.

Wie es dazu kommen konnte und wer die Verantwortung dafür trägt, wird in Deutschland derzeit hitzig diskutiert. Am Donnerstagabend befasste sich auch der Bundestag mit dem Thema und stimmte über zwei Anträge von CDU/CSU und AfD ab. Die CDU/CSU sprach sich in ihrem Antrag unter anderem für die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission aus, die Fehlentscheidungen sowie personelle Verantwortlichkeiten benennen sollte. Außerdem forderte sie, Planungen für die nächste documenta in fünf Jahren zurückzustellen, bis der Skandal aufgearbeitet sei. Der AfD-Antrag beinhaltete Rücktrittsforderungen gegenüber der documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann. Beide Vorlagen wurden mehrheitlich vom Parlament zurückgewiesen. 

Was ist der Appell "Nie wieder!" wert?

Auch die Kulturstaatsministerin ist in die Kritik geratenBild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Gitta Connemann (CDU/CSU-Fraktion) nannte die Darstellungen auf "People's Justice" während der etwa 40-minütigen Debatte "Judenhass in Reinform" und prangerte an, dass "die Ausreden" zeigten, dass "keine Einsicht" vorhanden sei. Es gehe um die Frage, was der Appell "Nie wieder!" im Alltag wert sei. Kulturstaatsministerin Claudia Roth warf sie vor, sie habe sich im Vorfeld der documenta auf öffentliche Äußerungen gestützt, statt selbst zu prüfen. Aus Sicht der CSU-Abgeordneten Dorothee Bär hat der Skandal dem Ansehen der documenta massiv geschadet.

Helge Lindh von der SPD-Fraktion sagte, man müsse sich innerhalb der Kunstfreiheit ansehen, was mit der Menschenwürde passiere. "Von einer funktionierenden Kuratierung kann keine Rede sein", so die Linke-Abgeordnete Petra Sitte. 

documenta-Chefin Schormann bleibt Kulturausschuss fern

Bereits am Mittwoch stand das Thema im Kulturausschuss des Bundestages auf der Tagesordnung. Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Hessens Kunstministerin Angela Dorn, stellvertretende Vorsitzende des documenta-Aufsichtsrats, waren vom Ausschuss ebenso geladen worden wie die in der Kritik stehende documenta-Chefin Sabine Schormann und der Aufsichtsratsvorsitzende, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle - die beiden letzteren ließen sich jedoch entschuldigen.

Versuch der Aufarbeitung nach documenta-Eklat

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Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, sprach von "Judenhass in reinster Form", der auf der Kunstmesse zu sehen sei. Dies sei "unverzeihlich". Die Bedenken des Zentralrats seien bereits im Vorfeld "beschwichtigt, weggebügelt und teils als rassistisch bezeichnet" worden. Er bezeichnete es als "Zumutung", dass Schormann weiter im Amt sei. Auch von Roth habe er sich nicht ernst genommen gefühlt. 

Rückzüge von Meron Mendel und Hito Steyerl

Meron Mendel war als externer Experte hinzugezogen worden, um die Fälle antisemitischer Bilddarstellungen aufzuklären und weiteren Fällen vorzubeugen. Seinen Entschluss, nicht weiter beratend tätig sein zu wollen, begründete Mendel am Freitag zunächst gegenüber dem Wochenmagazin "Der Spiegel": "Es gibt auf der documenta jede Menge Gutes, aber bei der Auseinandersetzung mit dem aktuellen
Antisemitismus-Skandal vermisse ich den ernsthaften Willen, die Vorgänge aufzuarbeiten und in einen ehrlichen Dialog zu treten." 

Bei aller Kritik mahnte Meron Mendel immer wieder an, die documenta nicht als Ganzes für antisemitisch zu erklären Bild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Er sei bisher nicht zur Begutachtung von Kunstwerken auf der documenta eingeladen worden, so Mendel, auch habe die documenta bisher nicht, wie angekündigt, ein Gremium von Antisemitismus-Experten einberufen. Daher habe er der documenta-Leitung Anfang der Woche mitgeteilt, dass er als Berater nicht mehr zur Verfügung stehe.

In der Folge zog sich auch die in Berlin lebende Künstlerin Hito Steyerl, deren Werk zu jenem nur weniger auf der diesjährigen Schau vertretenen Stars der Kunstwelt gehört, von der documenta zurück. Der "Spiegel" zitiert am 08.07.2022 aus einer Mail Steyerls an das documenta-Team sowie Leiterin Sabine Schormann: "Ich bitte das Produktionsteam, meine Arbeit abzubauen, die Projektoren abzuschalten, die Pflanzen zu retten und alle Beschilderungen zu entfernen." Sie bemängelt, dass keine Verantwortung für die gezeigten antisemitischen Inhalte übernommen worden sei. 

Bildsprache von Kolonialisten importiert?

Mit Ade Darmawan vom indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa äußerte sich erstmals ein Mitglied der Kuratoren-Gruppe persönlich zu den Vorwürfen. Im Kulturausschuss entschuldigte sich Darmawan "für den Schmerz und die Angst", die das Kunstwerk "People's Justice" hervorgerufen hätten.

Er versuchte sich auch an einer Erklärung zum historischen Ursprung des Bildes. Dessen Bildsprache entspreche einer in der Zeit des Kolonialismus aus Europa nach Indonesien importierten antisemitischen Idee, deren Merkmale dort auf die chinesische Minderheit angewandt und damit in einen anderen kulturellen Kontext übertragen worden seien. Das Bild war 2002 entstanden, rund vier Jahre nach dem Ende der Suharto-Diktatur.

Es sei die einzig richtige Konsequenz gewesen, das Kunstwerk abzuhängen, sagte Darmawan. Den Boykott israelischer Künstlerinnen und Künstler, wie ihn die umstrittene BDS-Bewegung fordert, lehne Ruangrupa ab. Entgegen anderslautender Kritik seien auf der documenta durchaus jüdische und israelische Künstlerinnen und Künstler vertreten, die jedoch nicht über ihre Herkunft definiert werden wollten.

Antisemitische Bildsprache: Wie bedeutend ist der kulturelle Kontext?Bild: Uwe Zucchi/dpa/picture alliance

Kulturstaatsministerin Claudia Roth sprach von einem "Wortbruch", da ihr vor der Eröffnung der Weltkunstschau durch documenta-Chefin Schormann garantiert worden sei, dass es keinen Antisemitismus geben werde. Roth hatte sich zuletzt für eine Reform der documenta ausgesprochen. Der Bund könnte seine Förderung einstellen, sofern ihm nicht mehr Einfluss auf die Ausstellung zugebilligt wird.

Taring Padi: Zweifel an aufrichtiger Entschuldigung

Die Gruppe Taring Padi hatte sich im Juni in einem Statement entschuldigt, was allerdings neue Kritik hervorgerufen hatte. Unter anderem schrieb das Kollektiv: "Wir haben aus unserem Fehler gelernt und erkennen jetzt, dass unsere Bildsprache im historischen Kontext Deutschlands eine spezifische Bedeutung bekommen hat." Daraufhin waren Zweifel an der Aufrichtigkeit der Entschuldigung aufgekommen, da antisemitische Motive grundsätzlich keinen Platz auf der documenta haben sollten.

Taring Padi hat die eigenen Arbeiten der vergangenen 22 Jahre auf der documenta als Retrospektive installiert. In einem früheren Schwimmbad thematisiert die Gruppe auf wandfüllenden Gemälden und bedruckten Fahnen mit Figuren und Objekten das vom späteren Diktator Haji Mohamed Suharto verantwortete Massaker in Indonesien, dem hunderttausende Menschen zum Opfer fielen. Vor dem Gebäude und in anderen Teilen der Stadt steht eine Armee von lebensgroßen Figuren aus bemalter Pappe.

Anfang 2019 hatte die documenta mitgeteilt, dass das zehnköpfige Kollektiv Ruangrupa (übersetzt "Raum der Kunst") aus der indonesischen Hauptstadt Jakarta die Schau kuratieren würde. Ruangrupa gründete sich im Jahr 2000, betreibt einen Kunstraum in Jakarta-Süd und realisiert Ausstellungen, Festivals, Publikationen und Rundfunkformate.

Aufgrund der aktuellen Entwicklungen wurde dieser Artikel, der erstmals am 7. Juli 2022 erschien, am 8. Juli 2022 überarbeitet. 

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