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Kunst

Documenta: Umstrittenes Werk soll entfernt werden

21. Juni 2022

Die documenta hat ein Werk, das antisemitische Symbole zeigt, jetzt abgedeckt. Kulturstaatsministerin Claudia Roth will, dass es ganz von der Weltkunstschau verschwindet. Was steckt hinter dem Eklat?

Das teilverhüllte Banner von Taring Padi
Schritt für Schritt wird das Banner am Montagabend verhülltBild: Sabine Oelze/DW

Das haushohe Gerüst steht mitten auf dem zentralen Friedrichsplatz in Kassel. Daran hängt ein garagentorgroßes, mit Bildern und Symbolen übersätes Transparent des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi. Am Freitag haben die Künstler es entrollt. Drei Tage später erleben staunende Kasseler und Besucher der Kunstausstellung, wie das dreiteilige Wandbild wegen seiner antisemitischen Bildsprache wieder verhüllt wird. "Sehr traurig, dass vorher nicht genauer hingeguckt worden ist, und dass jetzt das Thema Antisemitismus eine größere Rolle spielt als Kunst, Kultur und Freude an der documenta-Ausstellung", sagt eine Besucherin.

Bei genauerem Hinsehen wären die antijüdischen Motive und Stereotype im Banner von Taring Padi vielleicht aufgefallen: Da ist ein Soldat mit Schweinsnase und rotem Halstuch, auf dem ein Davidstern prangt. Sein Helm trägt den Schriftzug "Mossad" (das ist der Name des israelischen Geheimdienstes). Außerdem sieht man einen Mann mit spitzen Zähnen, Zigarre im Mund und SS-Runen auf dem Helm: Symbolen der SS ("Schutzstaffel"), einer Organisation, die während des Nationalsozialismus in Deutschland maßgeblich an Planung und Durchführung des millionenfachen Mordes an den Juden beteiligt war. SS-Runen zu verbreiten, ist in Deutschland strafrechtlich verboten.

Holocaust-Überlebende an finstere Zeiten erinnert

"Der Jude als Nazi und Schwein, das sind antisemitische Klassiker!", sagte Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in einem Interview mit der Berliner Zeitung. "Die erniedrigende Darstellung jüdischer Menschen auf ausgestellten Zeichnungen", erklärt Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, "ist mit antisemitischen Klischees behaftet, die den Holocaust-Überlebenden sehr bekannt vorkommen und sie an die finsteren Zeiten erinnern, in denen sie mit ähnlichen Zeichnungen ausgestoßen und gejagt wurden."

Ein Mann mit Wolfszähnen und SS-Zeichen auf dem Hut: Ein Detail auf der Banner-Installation von Taring PadiBild: Uwe Zucchi/dpa/picture alliance

Die Banner-Installation "People's Justice" entstand im Jahr 2002, "als Teil einer Kampagne gegen Militarismus und die Gewalt, die wir während der 32-jährigen Militärdiktatur Suhartos in Indonesien erlebt haben und deren Erbe, das sich bis heute auswirkt", erklärte das Künstlerkollektiv. Die Darstellung von Militärfiguren auf dem Banner sei Ausdruck dieser Erfahrungen. "Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik, z.B. für die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert werden, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren."

Künstlerkollektiv Taring Padi entschuldigt sich

Das Banner sei erstmals 2002 auf dem South Australia Art Festival in Adelaide ausgestellt und seither an vielen verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Kontexten gezeigt worden, heißt es, etwa beim Jakarta Street Art Festival (2004), bei einer Retrospektive von Taring Padi in der indonesischen Stadt Yogyakarta (2018) oder auch bei der Polyphonic Southeast Asia Art Ausstellung im chinesischen Nanjing, (2019). In Kassel war "People's Justice" nun erstmals in einem europäischen und deutschen Kontext zu sehen. Das Werk stehe in keiner Weise mit Antisemitismus in Verbindung, erklärt Taring Padi und entschuldigte sich "für die entstandenen Verletzungen".

Soldaten mit Schweinsnase und einem Davidstern auf dem roten HalstuchBild: Uwe Zucchi/dpa/picture alliance

Dennoch fordert Kulturstaatsministerin Claudia Roth die sofortige Entfernung des Bildes von der documenta: "Die bloße Verhüllung und die Erklärung des Künstlerkollektivs Taring Padi dazu waren absolut inakzeptabel", erklärte die Grünen-Politikerin. "Wie ich immer klar gesagt habe: Antisemitismus darf auf dieser Kunstaustellung, wie insgesamt in unserer Gesellschaft, keinen Platz haben. Das gilt auch für Rassismus und jede Form der Menschenfeindlichkeit. Das sind die klaren Grenzen für die Kunstfreiheit."

Antisemitismus sei keine Frage verletzter Gefühle Einzelner. Eine eindeutig antisemitische Bildsprache lasse sich nicht durch einen anderen Kontext erklären oder relativieren. Doch sei das Abhängen des Bildes "nur ein erster Schritt": Es müsse auch geklärt werden, wie es dazu kommen konnte, dass ein Banner mit antisemitischen Bildelementen dort installiert wurde.

Roth fordert weitere Konsequenzen

Die Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, erklärte dazu, die Geschäftsführung lasse sich künstlerische Exponate nicht vorab zur Prüfung vorlegen und dürfe dies auch nicht. Das betreffende Werk sei nicht für die documenta fifteen konzipiert worden, sondern "im Kontext der politischen Protestbewegung Indonesiens" entstanden. Eine Interview-Anfrage der Deutschen Welle blieb bisher unbeantwortet.

Sie erwarte von den documenta-Verantwortlichen und Kuratoren nun "unverzüglich zu überprüfen und sicherzustellen, dass bei der documenta nicht weitere eindeutig antisemitische Bildelemente gezeigt werden", so Kulturstaatsministerin Roth. Ähnlich äußerte sich Hessens Kulturministerin Angela Dorn (Bündnis 90/Die Grünen). Der Berliner Antisemitismusforscher Klaus Holz hatte die Verdeckung des Kunstwerks zuvor als "halbgar" bezeichnet.

Da war es noch unverhüllt. Jetzt soll es ganz weichen - das Banner "People's Justice" von Taring PadiBild: Sabine Oelze/DW

Vor allem aber in den Sozialen Netzwerken hat das Werk "People's Justice" am Montag einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Kritiker der documenta, darunter der Zentralrat der Juden, sehen sich in ihren Antisemitismus-Vorwürfen bestätigt und fordern Konsequenzen.

Aus dem Umfeld der Künstlergruppe hieß es am Dienstag: "Nicht wenige Künstler denken jetzt über Rückzug von der documenta nach." Auf Seiten der documenta-Künstler gibt es offenbar Sympathien mit Taring Padi. Der niederländische documenta-Teilnehmer Reinhard van Hoe, der im Vorfeld der documenta eng mit dem indonesischen Kollektiv zusammengearbeitet hatte, sagte zur Deutschen Welle: "Die Solidarität mit Taring Padi ist groß. Viele Künstler fühlen sich nicht willkommen in Deutschland und von der deutschen Presse zu Unrecht angegriffen. Der Dialog zwischen dem Globalen Süden und dem Norden ist nicht gescheitert – er hat noch gar nicht begonnen."

Doch dieser ursprüngliche Schwerpunkt der documenta ist derzeit in den Hintergrund getreten. Die Diskussion um die antisemitischen Motive in Kunstwerken dominiert die öffentliche Debatte in Deutschland - weil Deutschland wegen seiner Verantwortung für den Holocaust eine historische Verantwortung trägt.

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