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Kunst

Farenholtz: "Die documenta ist besser als ihr Ruf"

10. August 2022

Halbzeit in Kassel: Trotz der Antisemitismus-Vorwürfe ist der Andrang bei der documenta groß. Interims-Geschäftsführer Farenholtz zieht eine Zwischenbilanz.

Alexander Farenholtz, Interimsgeschäftsführer der documenta fifteen
Alexander Farenholtz, Interimsgeschäftsführer der documenta fifteenBild: Stefan Dege/DW

DW: Herr Farenholtz, hat die documenta fifteen ein Antisemitismus-Problem oder ein Vermittlungsproblem? Oder beides?

Alexander Farenholtz: Ich würde nie öffentlich sagen, dieses oder jenes ist antisemitisch und anderes nicht, dazu fehlt mir die fachliche Kompetenz. Deswegen fand ich es gut, dass die Gesellschafter (Land Hessen und Stadt Kassel/Anm. d. Red.) gesagt haben, das Thema ziehen wir an uns - und zwar mit Hilfe eines Expertengremiums. Die documenta ist nicht neutral, wenn es um Konflikte geht. Aber es ist ihr vollkommen fremd, menschenverachtenden Positionen Platz einzuräumen. Das ist weder die Haltung dieser documenta noch ihrer Kuratoren.

Wie genau sieht Ihre Zusammenarbeit mit dem Kuratorenkollektiv Ruangrupa aus?

Es ist ein herzliches Verhältnis. Man hat mich mit offenen Armen empfangen, und das hat mir den Einstieg natürlich erleichtert.

Die Leute von Ruangrupa sind Tag und Nacht auf dem Ausstellungsgelände unterwegs, sie sind in der Stadt gut vernetzt. Zugleich haben sie keine große Neigung, sich auf Pressekonferenzen oder in Presseerklärungen zu präsentieren. Daher meine ich: Die Sprache der Kuratoren ist ihre Ausstellung und nicht das, was drumherum passiert. Das gilt für diese documenta besonders.

Mirwan Andan (li.) und Reza Afisina vom documenta-Kuratorenkollektiv RuangrupaBild: Stefan Dege/DW

Wie kriegen Sie die Probleme der documenta in den Griff?

Was ausgestellt wird, auch was in der Ausstellung in den letzten Wochen und Monaten öffentlich diskutiert wurde, müssen die Kuratorinnen und Kuratoren selbst in die Hand nehmen. Und das tun sie auch. Genau das geschieht.

Was genau geschieht?

Es gäbe beliebig viele Themen, die man auf dieser documenta kontrovers diskutieren könnte. Dann stehen wir vor der Frage, ob wir den Zugang zu diesen Ausstellungsbeiträgen besser erklären müssen, kontextualisieren - oder eben nicht. Vor dieser Entscheidung stehen die Kuratorinnen und Kuratoren, und das entscheiden sie. Ob und welcher externen Expertise sie sich dabei bedienen oder nicht, das muss ihnen weiterhin vorbehalten bleiben.

Ich könnte mir vorstellen, dass das gelingen kann im Gespräch mit den Experten, die [vom Aufsichtsrat der documenta / Anm. d. Red.] berufen wurden. Aber das ist nicht die einzige Möglichkeit, sich zusätzliche Ratschläge zu holen.

Kontextualisierung, wenn Ruangrupa es wünscht 

Haben die Kuratoren bisher zu wenig erklärt, sprich: kontextualisiert? Viele Dinge sind interpretationsfähig und können in die falsche Richtung interpretiert werden.

Ich finde, dafür sind die Kuratoren da, das zu festzustellen, sicher nicht der Geschäftsführer. Es kann ja auch die Absicht sein, sich gegen Kontextualisierung zu entscheiden. Auch das ist kuratorische Freiheit. Insofern liegt diese Entscheidung bei den Kuratoren.

documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann trat zurück. Für sie übernahm Alexander Farenholtz Bild: Swen Pförtner/dpa/picture alliance

Bei manchen Kritikern hat man den Eindruck, sie kritisieren, ohne überhaupt irgendwas gesehen zu haben?

Das kommt vor. Das gilt auch für geschriebene Kommentare oder für Äußerungen von Politikern. Da hat man das Gefühl, sie haben die Ausstellung noch gar nicht gesehen.

Manchmal rede ich mir dann ein, dass Leute, die die documenta besonders heftig kritisieren, das tun, weil sie die documenta eigentlich mögen und sie davor schützen wollen, dass es ihr in Zukunft schlechter geht. Das mag etwas naiv wirken, aber es ist auch ein bisschen Selbstschutz.

"Ich bin ein hoffnungsloser Optimist"

Vielleicht sind Sie auch nur Optimist?

Hoffnungsloser Optimist, hoffnungslos konfliktscheu. Also alles das, was man in dieser Position vielleicht nicht sein sollte.

Wo reagieren Sie auf Kritik - und wo nicht?

Zu den inhaltlichen Fragen äußere ich mich nicht. Ich ermuntere aber die Kuratoren, das zu tun, und überlasse es ihnen, wie sie es tun. Anders sieht das aus bei Fragen, die die Organisation betreffen. Ich kümmere mich um den Rahmen, den Apparat, in dem ganz viele Menschen arbeiten. Das ist meine Rolle als Geschäftsführer.

Wie kann es sein, dass ein Kuratoren-Team aus dem globalen Süden es so schwer hat, hier seine Kunst zu präsentieren und derart angegangen wird?

Ich betreibe keine Medienschelte. Ich kann Ihnen das nicht erklären. Das hier ist die große Kunstausstellung in Deutschland. Und deswegen verhalte ich mich gegenüber denen, die über sie entscheiden, auch so, wie ich das schon damals bei Jan Hoet eben auch gemacht habe (Alexander Farenholtz war 1992 Geschäftsführer der documenta 9 und ließ Kurator Jan Hoet bei der Ausstellung frei walten / Anm. d. Red.). Das können Sie für eine überholte Sichtweise halten. Aber wenn man das anders hätte haben wollen, dann hätte man sich für jemand anderen entscheiden müssen.

Ein großes Banner von Taring Padi mit antisemitischer Bildsprache löste Proteste aus und wurde wieder abgebaut Bild: Uwe Zucchi/dpa/picture alliance

Sie haben Ihre Besucherzahlen veröffentlicht. Gute Zahlen. Welche Zwischenbilanz ziehen Sie ganz persönlich?

Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die mir vertrauen. Ich freue mich, dass die Besucherzahlen stimmen. Mir ist schon klar, und das weiß ich aus persönlichen Gesprächen, dass viele Menschen aus der jüdischen Community durch die Vorgänge, die hier stattgefunden haben, verstört und auch verletzt wurden. Die möchte ich besonders einladen: Kommt her, guckt Euch die documenta fifteen an!

Für den Erfolg einer documenta spielt die Mund-zu-Mund-Propaganda eine ganz große Rolle. Da gibt es die Realität in den Medien und in der Politik. Das andere ist die Wirklichkeit auf dem Gelände, die sich dann im Gespräch mit Nachbarn und Freunden vervielfältigt.

Soll heißen, die documenta fifteen ist besser als ihr Ruf?

Die documenta ist besser als ihr Ruf. Auf jeden Fall aber ist sie vielfältiger. Was über sie geschrieben wird, ist ja nur ein kleiner Teil dessen, was die documenta ausmacht.

Alexander Farenholtz amtiert seit 18. Juli 2022 als Interims-Geschäftsführer der Kunstausstellung in Kassel. Der 68-Jährige war von 2002 bis 2020 Verwaltungsdirektor der Kulturstiftung des Bundes und schon einmal Geschäftsführer der documenta, nämlich bei der neunten Ausgabe, die im Jahr 1992 stattfand. Mit Alexander Farenholtz sprachen Sabine Oelze und Stefan Dege.