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Doggerland: Wie versank das Atlantis der Nordsee?

27. November 2020

Lange glaubte die Wissenschaft, ein gewaltiger Tsunami habe Doggerland vor 8200 Jahren vernichtet. Sediment-Analysen sprechen nun für einen späteren Untergang des Landes, das einst England mit dem Rest Europas verband.

Großbritannien Seaham Sturm
Bild: picture-alliance/PA Wire/O. Humphreys

Vor rund 10.000 Jahren, am Ende der letzten Eiszeit, lag der Meeresspiegel im Norden Europas noch etwa 60 Meter unter dem heutigen Normalnull. Die britischen Inseln und das europäische Festland bildeten eine zusammenhängende Landmasse. Größere Flüsse durchzogen diese Landmassen, aber anders als wir es heute kennen: Die Elbe etwa mündete in einem großen Binnensee. Der Rhein floss über weite Strecken von Ost nach West, und bevor er auf Höhe der Bretagne das Meer erreichte, mündete die Themse im Rhein.

Wo heute die Nordsee ist, waren damals fruchtbare Wiesen und Wälder, durch die Jäger und Sammler streiften. Die Küste verlief rund dreihundert Kilometer weiter nördlich von einem etwa 30.000 Quadratkilometer großem Gebiet, das nach einer dort befindlichen Sandbank "Doggerland" genannt wird.

Erste Funde gehen ins Netz

Viel wissen wir bislang noch nicht über das Leben auf dieser inzwischen versunkenen Insel. Immer mal wieder fanden Fischer Knochen von inzwischen ausgestorbenen Landtieren wie Auerochsen und Mammutzähne in ihren Netzen.

1931 entdeckten Fischer in ihrem Schleppnetz eine 21,6 Zentimeter lange prähistorische Harpune aus Knochen mit kunstvollen Verzierungen, die auf 11.740 v. Chr. datiert wurde. 1988 wurde eine steinernes Scheibenbeil aus der Mittleren Steinzeit geborgen. Lange aber blieb das sagenhafte Doggerland ein Mythos.

Systematische Kartierung des Meeresboden

Erst seit rund zwanzig Jahren untersuchen vor allem Forschende aus England mit Spezialschiffen systematisch den Meeresboden nach Spuren. Die meisten Untersuchungen konzentrieren sich auf das Gebiet der Brown Bank, einer etwa 30 Kilometer langen Untiefe zwischen England und den Niederlanden. Heute ist das Meer dort zwischen 18 und 20 Metern tief.

Die Wissenschaftler tragen dort geophysikalische Daten zusammen und analysieren Bohrkerne aus den Sedimentschichten. Mit Hilfe künstlich erzeugter seismischer Wellen konnten die Archäologen der Universität von Bradford die geologische Beschaffenheit des Meeresgrundes ziemlich genau kartografieren.

Paradiesische Zustände

In den Sedimentschichten fanden sie das Erbgut von Tieren und Pflanzen, das auf ausgedehnte Mischwälder und weitläufige Hügellandschaften mit wilden Rindern und Schweinen, Rentieren und anderen Säugetieren schließen lässt. Ideale Bedingungen also für die steinzeitlichen Jäger und Sammler.

Auch viele der heutigen Halligen in der Nordsee ragen kaum aus der Nordsee herausBild: picture alliance/dpa/M. Hitij

Allerdings wurde dieses fruchtbare Land mit der Zeit immer kleiner, denn mit dem Ende der Eiszeit stieg auch der Meeresspiegel, um 35 Meter in zwei Jahrtausenden, also um fast zwei Zentimeter pro Jahr. Allmählich ragten nur noch die höhergelegenen Teile des Doggerlands aus dem Meer. Aber die verbliebene Insel war mit rund 23.000 Quadratkilometern immer noch etwa so groß wie das heutige Mecklenburg-Vorpommern oder Wales.

Todbringende Monsterwellen

Eine apokalyptische Katastrophe weit entfernt vor der norwegischen Küste bereitete dem Idyll ein Ende. Vor etwa 8200 Jahren brachen in mehreren Schritten bei der sogenannten "Storegga-Rutschung" weit unten im Meer gewaltige Teile des Kontinentalhangs ab. Auf einer Länge von rund 290 km stürzten geschätzt 3500 Kubikkilometer Gestein und Geröll in die Tiefe des Meeres. 

Die daraus resultierenden Tsunami rasten mit mindestens zehn bis zwölf Metern Höhe über das Meer. Auf den Shetland-Inseln nördlich von Schottland konnte sogar anhand von Ablagerungen eine mehr als 20 Meter hohe Flutwelle nachgewiesen werden. Und auch in England lässt sich diese Welle noch 40 Kilometer von der heutigen Küste entfernt nachweisen.

Zerstört, aber nicht versunken

Lange war die Wissenschaft davon ausgegangen, dass durch solch einen Tsunami auch die noch aus dem Meer ragende Doggerbank vollständig versank. Laut einer Studie von Forschenden der Universität Bradford  gab es aber nicht den einen, alles vernichtenden Tsunami. 

Vielmehr konnten die Forschenden anhand der Sedimente nachweisen, dass nur der nördliche Teil von Doggerland überspült wurde und dass die zerstörerische Kraft der Fluten vermutlich durch aufragende Hügel oder Wälder abgebremst wurde.

Neues Leben nach der Flut

Zwar wurden große Teile der Wälder zerstört, Menschen und Tiere versanken in den Fluten, das Meerwasser versalzte die Böden und an vielen Stellen blieb eine Sumpflandschaft zurück.

Nachdem sich aber das Wasser zurückgezogen hatte, erholte sich das überspülte Gebiet im Laufe der Jahre wieder, denn in den Sedimentschichten oberhalb der zerstörerischen Tsunamischicht finden sich auch wieder Hinweise auf Pflanzen und Tiere.

Möglicherweise sind die Felsen von Helgoland die letzten Reste vom einstigen DoggerlandBild: picture-alliance/dpa/Vidcom

Einige Jahrhunderte ging das Leben auf der Doggerbank also wahrscheinlich weiter.

Erst 700 Jahre nach der Storegga-Rutschung, um 5500 vor unserer Zeitrechnung, war der Meeresspiegel inzwischen so weit angestiegen, dass sich die Nordsee auch den Rest der Doggerbank holte. Die Insel wurde vollständig überspült und mit ihr versanken auch alle Spuren in der rauhen Nordsee. 

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