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DOK Leipzig: Widerstand im Ostblock

6. Oktober 2023

Vom Volksaufstand in der DDR 1953 bis zu den blutigen Unabhängigkeitskämpfen in den baltischen Staaten nach 1990: Das Filmfestival DOK Leipzig zeigt ein Stück Dokumentarfilmgeschichte, das bis heute nachhallt.

Menschen, einige mit Fahnen, stehen am Straßenrand
Menschenkette am 23.08.1989: Demonstration der baltischen Staaten für Unabhängigkeit von der SowjetunionBild: Lehtikuva Oy cx8908119/dpa/picture-alliance

"Europe, don't make concessions to the Soviet Imperialism" ("Europa, mach keine Zugeständnisse an den sowjetischen Imperialismus") steht auf einem Transparent im Dokumentarfilm "The Baltic Way" von 1990. Es sind jene entscheidenden Jahre, in denen die baltischen Staaten ihre Souveränität von der Sowjetunion erkämpfen. Moskau akzeptierte die Bestrebungen nach Unabhängigkeit der Völker Lettlands, Litauens und Estlands nicht und bezeichnete sie als "nationalistische Hysterie". Die Führung in Moskau stellte - nicht zum letzten Mal bei einem Land, das nach Souveränität strebt - die "Lebensfähigkeit" in Frage.  

"Viele Menschen, die damals auf die Straße gegangen sind, sagten, dass sie ein starkes Freiheitsgefühl verspürten", erinnert sich die lettische Regisseurin Laila Pakalnina, damals Absolventin der Filmakademie. Ihren Abschlussfilm "The Cathedral", der auf der diesjährigen DOK Leipzig gezeigt wird, drehte sie in den für Lettland entscheidenden Tagen - im Januar 1991. Sie und ihr Team begleiteten die Menschen, die sich in einer Kathedrale in Riga aufgehalten hatten - neben medizinischem Personal, auch Menschen, die aus dem ganzen Land für die Unabhängigkeitsdemonstrationen in die Hauptstadt gekommen waren und Unterschlupf in der Kathedrale gefunden haben.

Während der Dreharbeiten fand sogar eine Hochzeit statt, die Laila Pakalnina spontan filmte. Der Kurzfilm endet mit der traurigen Realität jener Zeit - der Kameramann, der die Hochzeit filmte, wird am darauffolgenden Tag auf den Straßen Rigas erschossen.

"Wir haben entschieden, keinen Sprechertext im Film zu haben. Die Bilder sollten für sich sprechen", sagt Laila Pakalnina und erklärt den Grund: "Damals, in den Zeiten des Sozialismus, wurden die Dokumentarfilme immer von einem Sprechertext begleitet. Das Regime wollte, dass alle das Gleiche verstehen, das Gleiche denken. Für die Regierung war es damals der einzig richtige Weg zu denken, so wurde also alles erklärt, wie man es zu verstehen hat. Ich mache meine Filme seitdem immer nur ohne Sprechertext."

Die lettische Regisseurin Laila Pakalnina ("The Cathedral")Bild: Laila Pakalnina

DOK Leipzig und der Blick auf den Widerstand

Dokumentarische Filme, die den Widerstand der Menschen gegen die Sowjetmacht und die kommunistischen Regime abbilden, werden dieses Jahr auf der DOK Leipzig in der Kategorie "Retrospektive" gezeigt. Neben Laila Pakalninas Film "The Cathedral", kann das Publikum weitere Filme sehen: "Birth of Solidarity" (1981), "Confusion" über die Ereignisse in der Tschechoslowakei 1968, "Ungarn in Flammen" (1957) und viele mehr.

"Die Aktualität dieses Themas ist ja eigentlich ungebrochen, es gibt immer noch viele Aufstände in der Welt, die sich gegen autoritäre, diktatorische Staaten erheben und die um ihre Freiheit kämpfen müssen", sagen die Kuratoren der Retrospektive Andreas Kötzing und Katharina Franck.

"Diese Aufstände sind mit dem Ende des Kalten Krieges nicht verschwunden. Wir hätten dieses Programm fortsetzen können bis zu den Revolutionen in den nordafrikanischen Staaten oder dem Maidan. Wie viel aktueller könnte es im Moment tatsächlich sein, wenn man auf die Situation in der Ukraine schaut. Und ich könnte mir ehrlich gesagt gar nichts Besseres wünschen, als dass wir mit dieser Retrospektive auch eine Diskussion anregen, die die Menschen zum Hinterfragen und Reflektieren der jetzigen politischen Verhältnisse anregt", sagt Co-Kurator Andreas Kötzing (Hannah-Arendt Institut Dresden). "Jeder und jede kann etwas entdecken, egal aus welcher Generation und mit welchem Wissensbackground", sagt Katharina Franck (Cinémathèque Leipzig). 

Auch für die Regisseurin Laila Pakalnina haben die Dokumentarfilme von damals einen lauten Nachhall: "Es ist wichtig, die Filme vom Ende der 1980-er, Anfang der 1990-er Jahre zu sehen, weil sich die Geschichte leider wiederholt. Heute wie damals haben wir diesen großen, gefährlichen Nachbarn, der jetzt Menschen in der Ukraine tötet."

Das Lenin-Denkmal im Zentrum von Riga wurde am 23. August 1991 abgebautBild: Gunars Janaitis/Latvian Institute/dpa/picture alliance

DOK Leipzig versus DOK Leipzig: eine Selbstreflexion

Das Festival in Leipzig wurde 1955 gegründet und ist laut eigenen Angaben das älteste Dokumentarfilmfestival der Welt. Inzwischen ist Leipzig zu einem der wichtigsten Treffpunkte für die internationale Dokumentarfilmszene geworden. Doch die Geschichte des Festivals kennt auch schwierige Zeiten - die die aktuelle Retrospektive nicht auslässt.

"Es gab starke Wellenbewegungen, was die Freiheiten des Festivals betraf, welche Filme gezeigt und welche Gäste eingeladen werden durften. Klar war immer, dass es eine politische Stoßrichtung in Leipzig gab, man hat sich sehr stark gegen die Unterdrückung von Menschen engagiert, Filme über den Vietnamkrieg und später über die Militärdiktaturen in Lateinamerika wurden gezeigt", sagt Co-Kurator Andreas Kötzing.

Allerdings habe es natürlich Themen gegeben, die nicht zur Sprache gebracht werden durften, wie etwa solche, die sich mit der Kulturpolitik in den östlichen Staaten beschäftigten. "Soziales Engagement für unterdrückte Völker in der Welt hieß primär Engagement gegen den Imperialismus, gegen das, was in den westlichen Staaten passiert, man konnte sich sehr viel schwerer mit den Staaten und den Völkern solidarisieren, die in den sozialistischen Ländern unterdrückt wurden oder gar Bezüge zu Unruhen dort nehmen. Das war stark tabuisiert." Die Retrospektive sei auch eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Leipziger Festivalgeschichte.

Die DOK Leipzig startet am 8. Oktober 2023Bild: DOK Leipzig 2023/Viktoria Conzelmann

Die diesjährige Retrospektive zeigt eben genau jene Filme, die damals unter schwierigen Bedingungen entstanden und oftmals nicht gezeigt werden durften. Filme, die ganz subtil an der Zensur vorbei dieses Thema irgendwie in ihre Filme zu integrieren versuchten, obwohl sie sich der Gefahr bewusst waren ("Die Streichholzballade", 1953). Filme, die gedreht wurden, ohne jemals zu wissen, ob und wann sie gezeigt werden dürfen. Filmrollen, die in den Westen geschmuggelt wurden, und Kameraleute, die in die USA ausgewandert sind ("Ungarn in Flammen", 1957) - es ist ein Blick auf eine nicht so lang vergangene Zeit, deren Folgen bis heute spürbar sind: der Kampf gegen die kommunistischen Diktaturen und totalitären Regime.

Das Filmfestival DOK Leipzig findet vom 8. bis zum 15. Oktober 2023 statt. 

 

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