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Film

Sundance: Publikumspreis für "20 Tage in Mariupol"

Christine Lehnen | Marina Baranovska
3. Februar 2023

Die Dokumentation aus der ukrainischen Hafenstadt Mariupol dokumentiert russische Kriegsverbrechen. Ihre Macher standen auf der Abschussliste von Putins Armee. Wir haben mit dem Regisseur gesprochen.

Ein Fotograf mit schusssicherer Weste, auf der "Press" steht, geht durch eine zerstörte, neblige Landschaft
Der Fotograf Evgeniy Maloletka dokumentiert für "20 Tage in Mariupol" die Zerstörung Bild: mstyslav chernov/AP/Sundance Institute

Der Film "20 Tage in Mariupol" ist beim diesjährigen Sundance Film Festival mit dem Publikumspreis für die beste internationale Dokumentation ausgezeichnet worden. Für den Dreh der 94-minütigen Doku begab sich der Kriegsreporter Mstyslaw Tschernow mit dem Fotografen Evgeniy Maloletka und der Produzentin Vasilisa Stepanenko am 24. Februar 2022 in die Hafenstadt Mariupol und dokumentierte 20 Tage lang das Leben in der strategisch wichtigen Stadt, die unter ständigem Beschuss der russischen Armee stand.

"Ziel war es, den Zuschauern zu helfen, das Ausmaß der Zerstörung und des Leidens zu begreifen", berichtet Tschernow der DW im Interview. "Wenn die Leute die Nachrichten sehen, sehen sie höchstens 30 Sekunden, eine Minute oder anderthalb Minuten. Das sind nur Fragmente und sie kennen nicht das ganze Bild."Die Bilder, die die Journalisten der Nachrichtenagentur AP in Mariupol drehten, gingen in verschiedenen Nachrichtensendungen um die ganze Welt. Tschernow und Maloletka wurden im vergangenen Jahr für ihre Arbeit mit dem Freedom of Speech Award der Deutschen Welle ausgezeichnet. In ihrer nun veröffentlichten Dokumentation sind rund ein Jahr nach der russischen Invasion die erschütternden Aufnahmen aus den frühen Tagen des Krieges zu sehen.

Regisseur Mstyslav Tschernow (3. v. r.) mit dem Fotografen Evgeniy Maloletka (3. v. l.) und der Produzentin Vasilisa Stepanenko (2. v. l.) bei der Weltpremiere von "20 Tage in Mariupol"Bild: Chris Pizzello/Invision/AP/picture alliance

Bilder, die einen nicht wieder loslassen

Ein Arzt führt die Journalisten in einem Krankenhaus in den Keller. Dort liegen die Körper derer, die sie nicht retten konnten, notdürftig bedeckt mit blutigen Laken, Beine und Schuhe schauen noch unter dem Stoff hervor. In einem weiteren Kellerraum liegen zwei in bunte Tücher gewickelte Bündel. Der Arzt berichtet, dies seien Kinder, die sie nicht hätten retten können. "Als sie zu uns kamen, waren sie noch am Leben", erzählt er den Reportern. Man gewöhne sich an vieles, aber diese Bilder würden ihn nach Hause begleiten.

Viele der Aufnahmen aus "20 Tage in Mariupol" sind schockierend. Als die russische Armee ein Krankenhaus angreift, muss eine Geburtsstation evakuiert werden. Die Kamera fängt die Bilder einer hochschwangeren Frau ein, die auf einer Liege aus dem Krankenhaus herausbefördert wird. Sie hält die Hand schützend über ihren Bauch, als könne sie damit die russischen Bomben abhalten. Die Zuschauenden erfahren, dass sie und ihr ungeborenes Kind den Angriff nicht überleben werden.

"Es tut weh - aber das ist es, was uns als Menschen ausmacht"

Den Tod der Kinder bezeichnet Tschernow im Interview mit der DW als die schlimmste Erfahrung, die er während der Dreharbeiten machen musste: "An jedem Punkt dieses Weges wurde ich von Emotionen überwältigt", so der Regisseur. "Als ich drehte, habe ich geweint. Als ich geschnitten habe, habe ich geweint. Als ich diesen Film im Kino gesehen habe, habe ich geweint." Diese Gefühle, zeigt er sich überzeugt, seien wichtig: "Es tut immer weh. Aber das ist es, was uns als Menschen ausmacht."

Bei allem Schrecken fängt "20 Tage in Mariupol" auch Momente des Trosts in der belagerten Stadt ein.Bild: mstyslav chernov/AP/Sundance Institute

Die Journalisten dokumentieren auch Plünderungen in einer Stadt, der die Lebensmittel ausgehen. Eine Frau in einer rosafarbenen Mütze weist einen Mann zurecht, der einen gelben Fußball in der Hand hält: "Den hast du doch geklaut! Gib ihn zurück. Was machst du hier überhaupt?"

Tschernow hat schon aus Kriegsgebieten im Irak, Syrien und Afghanistan berichtet. Aus dem Material, das er und seine Kollegen aus Mariupol mitbrachten, entstand der Film "20 Tage in Mariupol", den Tschernow auf der Internetseite des Sundance Festivals als seinen persönlichsten Film bezeichnet. Er möchte nicht nur Zeugnis ablegen, sondern seine Dokumentation auch als Tribut an diejenigen verstehen, die durch den russischen Angriffskrieg ihr Leben verloren haben. Mariupol ist noch immer von den russischen Angreifern besetzt.

"Wir fühlten uns schuldig, dass wir weggegangen sind"

"Als wir am 20. Tag aus der Belagerung ausbrachen, hatte ich ungefähr 30 Stunden Filmmaterial", berichtet Tschernow im DW-Gespräch. Für die Nachrichtenagentur AP versendet habe er nur "vielleicht 30 oder 40 Minuten davon. Wir fühlten uns schuldig, dass wir weggegangen sind. Wir hatten das Gefühl, dass wir mehr tun müssen. Da kam die Idee auf, einen Film zu machen."

Unterwegs mit Polizisten im Nordosten der Ukraine

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Maloletka, Tschernow und Stepanenko verließen Mariupol laut einem Bericht des deutschen Fernsehsenders ARD unter dem Schutz der ukrainischen Armee. Die hatte Hinweise darauf erhalten, dass die Journalisten auf einer Todesliste der russischen Invasoren standen. Ihre Bilder dokumentieren nicht nur russische Kriegsverbrechen wie den Angriff eines Krankenhauses, sondern geben auch einen Einblick in die gefährliche Arbeit eines Kriegsreporters und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

"Es war eine Ehre, diesen Film zu machen"

Als Regisseur Tschernow den Publikumspreis des Sundance Festivals erhielt, bedankte er sich bei einem Publikum, "das nicht weggeschaut hat". Der Preis belege, so Tschernow im Interview mit der DW, "dass der Film vom Publikum angenommen wird, dass sich die Menschen von der Tragödie nicht abgewandt haben, dass dies der breiten Öffentlichkeit nicht egal ist."

Deshalb sei der Publikumspreis wichtiger als jeder andere. "Für uns ist das keine Errungenschaft, für uns ist es eine Ehre, den Menschen alles zu zeigen und für die Geschichte Beweise für mögliche Kriegsverbrechen zu hinterlassen, die die Russische Föderation in der Ukraine begangen hat."

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