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Dokumentation: Vielfalt in der Einheit

27. April 2006

Nachfolgend zitieren wir Ausschnitte aus dem Positionspapier "Diversity within Unity" des Communitarion Network von Amitai Etzioni.

(…)

Wir sehen mit zunehmender Besorgnis, daß sehr große Teile der Bevölkerung freier Gesellschaften sich durch massive Einwanderung und durch die innerhalb ihrer Staatsgrenzen wachsende Zahl von Minderheiten bedroht fühlen, die aus verschiedenen Kulturen stammen, unterschiedlichen Lebensgewohnheiten folgen und besondere Sitten und Loyalitäten besitzen.

Wir sind beunruhigt durch Gewalt auf den Straßen, verbale Haßausbrüche und zunehmende Unterstützung unterschiedlicher extremistischer Parteien. Dies sind falsche Reaktionen auf Bedrohungen, die die Menschen als gegen ihr Identitätsgefühl, ihre Selbstbestimmung und Kultur gerichtet empfinden, Bedrohungen, die an der Spitze von Besorgnissen stehen, die von der Globalisierung, von neuen Kommunikationstechniken und vom schrittweisen Verlust nationaler Souveränität ausgelöst werden. Wenn man nun die Gefühle von Millionen von Bürgern schroff zurückweist, indem man sie als diskriminierend, ausgrenzend, scheinheilig und noch stärker verunglimpft, dann ist das eine bequeme politische Einstellung, aber keine, die wirklich um eine Lösung dieses Problems bemüht ist. (…)

Die uns gestellte Herausforderung lautet also, gerechte und in der Praxis vernünftige Wege zu finden, auf diese Besorgnisse konstruktiv einzugehen. Zugleich sollten wir sicherstellen, daß diese Gefühle keinen antisozialen, haßerfüllten oder gar gewalttätigen Ausdruck finden. (…)

Der von uns bevorzugte Ansatz ist Vielfalt in der Einheit. Er geht davon aus, daß alle Mitglieder einer bestehenden Gesellschaft jene Grundwerte und Sitten, die man als das grundlegende gemeinsame Rahmenwerk der Gesellschaft betrachtet, vollständig anerkennen. Gleichwohl bewahrt jede Gruppe der Gesellschaft die Freiheit, ihre besondere Subkultur aufrecht zu erhalten, also jene Grundsätze ("policies"), Lebensgewohnheiten und Sitten, die nicht mit dem wesentlichen Kern der gemeinsamen Werte in Konflikt geraten, ferner ein beträchtliches Maß an Loyalität ihrem Herkunftsland gegenüber, solange sie nicht die Loyalität gegenüber der Gesellschaft, in der sie leben, übersteigt, wenn es zu einem Loyalitätskonflikt kommt. Achtung gegenüber dem Ganzen und Achtung gegenüber allen ist Grundsatz unserer Position.

Wir stellen fest, daß solche Vielfalt in der Einheit die Gesellschaft als Ganze und ihre Kultur eher bereichert als bedroht, wie das in Bereichen offenbar wird, die von der Musik bis hin zu Essensgewohnheiten reichen und, höchst bedeutsam, sie bereichert die Welt der Ideen, denen wir begegnen, und erweitert unser Verständnis der vielgestaltigen Welt um uns herum.

Wir stellen weiterhin fest, daß in jeder Gesellschaft die grundlegende gemeinsame Kernidentität und Kultur sich mit der Zeit verändert hat und sich in Zukunft weiter verändern wird. Daher steht Minderheiten, die meinen, dieses Kernstück spiegele nicht die ihnen am Herzen liegenden Werte, durchaus frei, es aktiv zu verändern - und zwar auf dem Wege demokratischer und gesellschaftlicher Prozesse, die hierfür in allen freien Gesellschaften zur Verfügung stehen.

Die Einheit, von der wir sprechen, ist keine durch Regierungsorder oder Ausführungsbestimmungen - auch nicht durch Polizeimaßnahmen - auferlegte Einheit, sondern eine Einheit, die aus der Erziehung innerhalb der Bürgerschaft erwächst, aus dem Dienst am Gemeinwohl, an der Geschichte der Nation, den gemeinsamen Werten, gemeinschaftlichen Erfahrungen, funktionsstarken politischen Einrichtungen und Dialogen über Gemeinsamkeiten und Erfordernisse einer Bevölkerung, die zusammen lebt und sich den gleichen Herausforderungen in derselben Ecke der Welt gegenüber sieht.

Eine solche Vielfalt in der Einheit erlaubt es, die Grundrechte, die demokratische Lebensform und die Grundwerte vollständig zu achten ebenso wie jene Werte der Minderheiten, die damit nicht in Konflikt geraten.

Die Frage, welche Elemente in welche Kategorie gehören - in den Bereich der Einheit oder der Vielfalt - kann für viele Schlüsselprobleme leicht entschieden werden. Grundrechte müssen von jedem und allen respektiert werden. So kann z.B. die Diskriminierung von Frauen nicht geduldet werden, ganz gleich von welchen kulturellen oder religiösen Werten eine Gruppe geprägt ist. Die Achtung vor dem Gesetz und der öffentlichen Ordnung ist von entscheidender Bedeutung. Demokratische Institutionen sind keine Option unter anderen. Niemand, der in einem bestimmten Land die Staatsbürgerschaft und die Mitgliedschaft in einer bestehenden Gesellschaft zu erlangen sucht, kann sich der kollektiven Verantwortung entziehen, die die Gesellschaft gegenüber ihren Handlungen in der Vergangenheit und gegenüber anderen Gesellschaften besitzt, die sie durch Verträge oder sonstwie übernommen hat. (…)

Die Herausforderung für das DWU-Modell besteht in der Frage, wie der Bereich der Einheit - wie weitgehend sie auch immer neu formuliert erscheinen mag - genügend tragfähig erhalten werden kann, ohne den legitimen Anspruch der Vielfalt zu verletzen. (…)

Der DWU-Ansatz ist noch im Entwicklungsstadium. Er beansprucht nicht, alle - auch nicht die meisten - der Antworten zur Überbrückung der Spaltungen bereit zu haben, die sich zwischen der Vielzahl der Einwanderer und den Mehrheiten in den freien Gesellschaften, in denen sie leben, aufgetan haben. (…)