Europa ohne USA - Chance und Gefahr für die Wirtschaft
3. März 2025
Die überraschende Initiative des US-Präsidenten zur Beendigung des Ukraine-Krieges hat ein seit Trumps erster Amtszeit schwelendes Thema wieder auf die Tagesordnung gebracht: Seine mehr oder weniger deutlich formulierte Drohung, die USA könnten sich aus der NATO und ihren Verpflichtungen zurückziehen und die Europäer stünden dann allein da.
Der britische Premierminister Keir Starmer hat auf diese Sorgen reagiert und eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben seines Landes auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) bis 2027 angekündigt. Aktuell liegen die Verteidigungsausgaben Großbritanniens bei 2,3 Prozent.
Dieser Erhöhung solle ein weiterer Anstieg folgen. Das entspreche der neuen Rolle, die Großbritannien in der internationalen Gemeinschaft einnehmen müsse: "Diese Investition bedeutet, dass Großbritannien seine Position als einer der Anführer der NATO und der kollektiven Verteidigung unseres Kontinents stärken wird."
In Deutschland, wo gerade erst die amtierende Regierung abgewählt worden ist, gibt es noch keine konkreten Entscheidungen. Immerhin hat sich Friedrich Merz (CDU), der wahrscheinlich nächste Bundeskanzler, mit Vertretern der SPD darauf verständigt, die Schuldenbremse lockern zu wollen. Zuvor hatte er dies immer abgelehnt.
Die am Dienstag (4.3.) erzielte Einigung würde eine theoretisch unbegrenzte Kreditaufnahme für Verteidigungsausgaben ermöglichen. Ob der Vorschlag im Bundestag allerdings die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit findet, ist noch offen.
Bedrohung aus dem Osten
Bislang haben sich die europäischen Partner innerhalb der NATO darauf verlassen, dass die USA als der größte und wirtschaftsstärkste Partner die Hauptlast tragen und man einander helfen würde, sich gegen militärische Bedrohungen oder Angriffe zu verteidigen.
Diesseits des Atlantik wird nun überlegt, wie man auf ein mögliches Ende des Nordatlantik-Paktes reagieren soll. Zwar, sagt Rafael Loss, Verteidigungs- und Sicherheitsexperte beim European Council on Foreign Relations (ECFR), sei es aktuell nicht das Problem, dass "russische Truppen morgen vor Berlin stehen". Der DW erklärte er, die eigentliche Gefahr sei, "dass Russland darauf abzielt, NATO und EU zu sprengen, um seine militärische Dominanz auf dem europäischen Kontinent ausspielen zu können."
Der Brüsseler Think Tank Bruegel warnt ebenfalls vor einem möglichen "russischen Angriff auf ein Land der Europäischen Union. Einschätzungen der NATO, Deutschlands, Polens, Dänemarks und der baltischen Staaten gehen davon aus, dass Russland innerhalb von drei bis zehn Jahren angriffsbereit ist." Das geht aus einer aktuellen Einschätzung Bruegels vom 21. Februar hervor.
"Herausforderndes Zahlenspiel"
Der Think Tank zählt auf, was Europa brauchen werde, um bei einem Ausscheiden der USA aus dem transatlantischen Verteidigungspaktes nicht wehrlos dazustehen. Es ginge um den Ersatz für "Kampfbrigaden, Schiffe, Flugzeuge und so weiter", die die Vereinigten Staaten noch zur Verfügung stellen würden. Anderseits gehe es um "Fähigkeiten für Aufklärung, Kommunikation und Führung, die für den Einsatz großer und komplexer Truppenverbände unerlässlich sind."
Das erste, die 'Hardware' also, sei lediglich "ein Zahlenspiel", wenn auch "ein herausforderndes". Das andere aber, die 'Software' sei "für die Europäer schwerer zu ersetzen." Es gehe hier nicht nur um Materialbeschaffung und Ausbildung neuen Personals. Es müssten neue Strukturen geschaffen werden, und das "würde Europa hunderte Milliarden Euro kosten und viele Jahre dauern".
Für den Ukraine-Krieg reicht's noch
Als Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine von einer Zeitenwende sprach, schuf die Bundesregierung zur Finanzierung des Wiederaufbaus der jahrelang vernachlässigten Bundeswehr ein 'Sondervermögen' von 100 Milliarden Euro.
Das sei zwar noch nicht völlig ausgegeben, aber bereits verplant, so Verteidigungsexperte Loss. Außerdem sei es "genutzt worden, drängende Beschaffungen anzustoßen, um gleichzeitig eine graduelle Erhöhung des regulären Verteidigungshaushalts zu ermöglichen. Dies konnte in den vergangen drei Jahren jedoch nicht erreicht werden."
Alles halb so wild, folgt man den Berechnungen von Bruegel: "Aus makroökonomischer Sicht sind die Zahlen gering genug, damit Europa die USA vollständig ersetzen kann." Dazu weisen die Brüsseler Experten darauf hin, dass sich im Jahr 2024 die US-Militärunterstützung für die Ukraine auf 20 Milliarden Euro von insgesamt 42 Milliarden Euro belaufen habe: "Um die USA zu ersetzen, müsste die EU also nur weitere 0,12 Prozent ihres BIP ausgeben - ein machbarer Betrag."
NATO ohne USA - das wird teuer
Zur Unterstützung der Ukraine sollte es also reichen - doch was passiert, wenn sich die USA ganz aus der NATO zurückziehen? Das würde sehr, sehr viel mehr Geld kosten. Und dabei, so die Bruegel-Ökonomen, dürfe nicht vergessen werden, dass "die deutschen militärischen Fähigkeiten weit hinter den erforderlichen und den Verbündeten zugesagten Fähigkeiten" zurückblieben. "Deutschlands Zusage, die NATO mit zwei Divisionen - in der Regel rund 40.000 Soldaten - zu versorgen, steht vor erheblichen Rückschlägen. Dies muss sich ändern, denn angesichts seiner Größe müsste Deutschlands Beitrag sicherlich bei fast 100.000 zusätzlichen Soldaten liegen."
Da stellt sich natürlich die Frage nach der Finanzierbarkeit. Jack Allen-Reynolds, stellvertretender Chefökonom für die Eurozone beim Online-Dienst Capital Economics rechnet damit, dass die "europäischen Verteidigungsausgaben deutlich angehoben werden" müssen. Seinen Berechnungen zufolge sei "kurzfristig eine Erhöhung um etwa 250 Milliarden Euro jährlich, und damit auf etwa 3,5 Prozent des BIP, gerechtfertigt."
Fantasie ist gefragt
Er hat sich auch Gedanken darüber gemacht, wo das ganze Geld herkommen könnte. Eine Möglichkeit: Eine Umwidmung der Europäischen Investitionsbank oder stattdessen die Gründung einer "Wiederaufrüstungsbank". Diese könnte "es den europäischen Regierungen ermöglichen, den Verteidigungssektor mit minimalen Auswirkungen auf die nationalen Haushalte substanziell zu unterstützen."
Alternativ könnte die EIB auch Kredite an Rüstungsunternehmen vergeben oder "Anleihen ausgeben, die speziell für Verteidigungsprojekte vorgesehen sind." Damit würde nicht direkt Militärpersonal oder -ausrüstung finanziert, sondern würden "europäische Rüstungsunternehmen finanziert, um die Versorgung mit Militärgütern in Europa zu steigern".
Der einfachste Weg, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, sei aber, "wenn die EU ein neues Programm gemeinsamer Kreditaufnahme auflegen würde, das mit dem 750 Milliarden Euro schweren Pandemie-Wiederaufbaufonds NextGenerationEU vergleichbar wäre". Das wäre genau das, was viele in Berlin und auch der vermutlich neue Bundeskanzler immer abgelehnt haben: Eurobonds.
Doch Allen-Reynolds verteidigt seine Idee: "Dies wäre ein relativ kostengünstiger Weg für die EU, Zugang zu den Märkten zu erhalten, da sie von einem AAA-Kreditrating profitieren und es den finanziell stärker eingeschränkten Regierungen ermöglichen würde, Kredite in ihren eigenen Bilanzen zu vermeiden."
Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, hat am Dienstag (4.3.) einen Plan vorgelegt, mit dem europaweit "nahezu 800 Milliarden Euro" für die Verteidigung mobilisiert werden sollen. Der Plan sieht u.a. eine Lockerung der Schuldenregeln vor. Derzeit ist aber unklar, wie schnell er umgesetzt werden kann.
Das Gute im Schlechten
Wenn man sich an den Börsen umschaut, haben die düsteren Aussichten auf die veränderte Sicherheitslage durchaus auch eine positive Seite: Viele Anleger trennen sich von ihren Autopapieren, verunsichert von den wiederholt ausgestoßenen Drohungen des US-Präsidenten, hohe Einfuhrzölle für europäische Autos einzuführen. Dafür investieren einige von ihnen nun in Rüstungswerte - offenbar Papiere mit "Fantasie".
Doch auch wirtschaftlich könnte es positive Auswirkungen geben, meint Bruegel: "Aus makroökonomischer Sicht sollte eine schuldenfinanzierte Erhöhung der Verteidigungsausgaben die europäische Wirtschaftstätigkeit ankurbeln." Außerdem bestehe die Hoffnung, "dass Verteidigungsausgaben durch Innovationen auch einen positiven Beitrag zum langfristigen Wachstum leisten können."
"Zu einem gewissen Grad, ja", gibt ECFR-Experte Rafael Loss der DW gegenüber zu: "Ein Aufwuchs der Bundeswehr wird auch mit positiven Effekten für ihre Standorte und die Rüstungsindustrie einhergehen und damit für die lokale Wirtschaft und Beschäftigte. Wenn Arbeitsplätze bei Zulieferern der Automobilindustrie dadurch erhalten werden können, dass die Produktion auf Rüstungsgüter umgestellt wird, ist das sicherlich zu begrüßen." Doch der Experte warnt vor übertriebener Hoffnung: "Überbewerten sollte man die Effekte aber nicht."
Dieser Artikel wurde am 3.3.2025 veröffentlicht und am 5.3.2025 aktualisiert.