Experten für Präsidentschaftsrhetorik sind ratlos: Was ist von Donald Trumps Vereidigungsrede zu erwarten? Nur darin sind sie sich sicher: Dass diese Rede noch lange in Erinnerung bleibt - nicht unbedingt wegen Trump.
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Vereidigungsreden sind die traditionsreichsten, straff strukturiertesten und allgemein sehr fest vorgeschriebenen Beiträge zur US-amerikanischen Redekunst. Wer denkt, sie sind dem künftigen US-Präsidenten ein Gräuel im Vergleich zu seinem eigenen Verhalten am Rednerpult während und nach seinem gesamten Wahlkampf, der liegt richtig.
Denn Donald Trump vermied vorgeschriebene Reden und bevorzugte es stattdessen, auf seinen Kundgebungen spontan Bemerkungen zu machen oder feuerte lieber schroffe Salven über Twitter ab.
Bruch mit der politischen Tradition
"Trumps bisherige Rednerleistungen suggerieren, dass er von den Konventionen der Präsidentschaftsreden entweder nichts weiß oder sich nicht dafür interessiert, weder als Kandidat noch in der derzeitigen Vereidigungssituation", sagte Paul Stob, der zur US-amerikanischen Rhetoriktradition an der Vanderbilt Universität forscht.
Stobs Kollegin Jennifer Mercieca, eine Expertin für politische Rhetorik an der Texas A&M Universität, argumentiert anders: Trump missachte nicht nur willentlich politische Rednertradition - er habe sein politisches Ansehen darauf aufgebaut mit den Konventionen zu brechen.
"Er hat während seiner gesamten Kampagne behauptet, dass er sagt, was er denkt, nicht was ihm vorgegeben wurde, per Umfragen getestet oder von Politikberatern geschrieben wurde", analysiert sie per E-Mail. "Dieser Anspruch auf Authentizität ist sein Beweis kein korrupter Politiker zu sein."
Präsidiale Grundvoraussetzungen
Auch wenn diese Vorgehensweise für Trump während dem Wahlkampf funktioniert haben mag, wird sie bei der Vereidigung ein Problem für ihn werden, schreibt Mercieca weiter. "Wie soll jemand, der behauptet, dass improvisierte Reden das einzig Wahre seien, eine vorgeschriebene Rede halten? Und: Wie soll jemand überhaupt eine improvisierte Vereidigungsrede halten?"
Um eine erfolgreiche Vereidigungsrede zu halten, sagen die Experten, müsste Präsident Trump mindestens drei Grundvoraussetzungen erfüllen: Die US-Amerikaner als ein Volk beschreiben, dass bestimmte Werte vertritt, seine politischen Prinzipien überzeugend erklären und zeigen, dass er verstanden hat, was es heißt, die Präsidialmacht übertragen zu bekommen, mitsamt ihren Einschränkungen. Und er müsste darstellen, dass er gewillt ist, die Verfassung zu wahren und zu verteidigen.
Trumps kontroverses Kabinett
"You're hired!" Frei nach dem Slogan, der Donald Trump einst zur Fernsehprominenz verhalf, füllt der designierte US-Präsident derzeit die Ministerposten in seinem Kabinett. Seine Auswahl ist - wie erwartet - umstritten.
Bild: Reuters/C. Allegri
Der zukünftige Vize: Mike Pence
Der designierte Vizepräsident hat als einer von wenigen im künftigen Kabinett Politik-Erfahrung: Pence saß zwölf Jahre im Repräsentantenhaus, bevor er 2013 Gouverneur des US-Bundesstaates Indiana wurde. Der Anwalt und frühere Talkshow-Moderator ist erzkonservativ, lehnt Abtreibung und Homo-Ehen ab. Er sei "Christ, Konservativer und Republikaner, in dieser Reihenfolge", sagt er von sich selbst.
Bild: Reuter/S. Morgan
Außenpolitik: Rex Tillerson
Diplomatische Erfahrungen kann Trumps Wunschkandidat für den Posten des Außenministers nicht vorweisen. Der Vorstandschef von ExxonMobil hat jedoch hervorragende Kontakte nach Russland, gilt als Freund von Präsident Wladimir Putin. Möglicherweise fiel die Wahl Trumps deshalb auf Tillerson. Prominenten Republikanern ist der 64-Jährige jedoch gerade wegen seiner Russland-Beziehungen suspekt.
Bild: Getty Images/AFP/N. Balout
Justiz: Jeff Sessions
Der Senator von Alabama unterstützte Trumps Kandidatur als einer der Ersten im Kongress. Der Jurist ist für strenge Einwanderungsregeln. Rassismusvorwürfe kosteten ihn vor 30 Jahren einen potenziellen Posten als Bundesrichter. Einem Kollegen gegenüber soll er gescherzt haben, der rassistische Ku Klux Klan wäre "okay, bis ich herausfand, dass die Gras rauchen".
Bild: Getty Images/AFP/J. Samad
Verteidigung: James Mattis
Der zukünftige Verteidungsminister erlangte in seiner 44-jährigen Militärkarriere den Spitznamen "Mad Dog". Er war eine Schlüsselfigur sowohl im Irak- als auch im Afghanistan-Krieg und von 2011 bis 2013 für das Zentralkommando der US-Streitkräfte verantwortlich. Seine Ernennung hängt von der Erlaubnis des Senats ab, ohne die er als pensionierter Militär sieben Jahre für den Posten gesperrt ist.
Bild: picture alliance/AP Photo
Heimatschutz: John Kelly
Der von Trump ausgesuchte Heimatschutzminister John Kelly ging Anfang des Jahres mit der längsten Dienstzeit eines Marine-Generals in der Geschichte der USA in den Ruhestand. Als Leiter des Südkommandos war er auch für das umstrittene Gefangenenlager auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay zuständig. Sein ältester Sohn ist im Afghanistan-Einsatz gefallen.
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Balce Ceneta
Wohnungsbau und Stadtentwicklung: Ben Carson
Der Neurochirurg aus Michigan betrat die politische Bühne erstmals als Trumps Konkurrent bei den Vorwahlen. Dort fiel der Mediziner mit kontroversen Aussagen zu Klimawandel und Evolutionstheorie auf. Über die Gesundheitsreform sagte er: "Obamacare ist, denke ich, das Schlimmste, was diesem Land seit der Sklaverei passiert ist."
Bild: Getty Images/C. Somodevilla
Bildung: Betsy DeVos
Betsy DeVos ist Befürworterin des privatisierten Schulsystems. Mit ihrer Stiftung "American Federation for Children" engagiert sie sich für eine marktwirtschaftlich orientierte Finanzierung von öffentlichen Schulen. Als überzeugte Konservative spendete die Schwiegertochter des Milliardärs Richard DeVos seit Jahren Teile ihres Vermögens den Republikanern.
Bild: Picture-Alliance/AP Photo/C. Kaster
Handel: Wilbur Ross
Als Investor und Bankier hat der künftige Handelsminister Milliarden damit verdient, kollabierende Firmen in der Stahl- und Kohlewirtschaft umzustrukturieren. Während der Finanzkrise investierte er in angeschlagene europäische Banken. Der 79-Jährige machte für Trump Wahlkampf und ist überzeugt, dass die USA ein "radikaleres, neues Regierungskonzept" brauchen.
Bild: picture-alliance/newscom/J. Angelillo
Finanzen: Steven Mnuchin
Auch der designierte Finanzminister erlebte die Finanzkrise mit: Der Börsenmakler arbeitete bei Goldman Sachs. Die Investmentbank überlebte nur durch ein finanzielles Rettungspaket der US-Regierung. Mit seinem millionenschweren Umsatz aus Investmentfonds finanzierte er unter anderem Hollywood-Filme. Trumps geplante Steuersenkungen befürwortet er ebenso wie die Teilprivatisierung der Infrastruktur.
Bild: picture-alliance/AP Photo/C. Kaster
Arbeit: Andy Puzder
Der designierte Arbeitsminister hat Ahnung von seinem Metier: Er ist Manager der Fastfood-Ketten "Hardee's" und "Carl's Jr." mit über 3000 Restaurants weltweit. Ein Freund von Arbeitnehmerrechten ist er allerdings nicht: Er argumentierte oft gegen Mindestlohnerhöhungen und kritisierte die arbeitnehmerfreundliche Überstundenregelung der Obama-Regierung.
Bild: picture alliance/dpa/S. Osman
Verkehr: Elaine Chao
Die künftige Verkehrsministerin saß schon in George W. Bushs Kabinett, damals als Arbeitsministerin. Damals geriet sie nach zwei Minenunglücken in die Kritik. Die erste Frau asiatischer Abstammung auf einem Ministerposten war unter anderem Direktorin des US-amerikanischen Freiwilligendienstes, des Friedenskorps.
Bild: picture-alliance/AP Photo/C. Kaster
Gesundheit: Tom Price
Der designierte Gesundheitsminister ist von Beruf orthopädischer Chirurg. 2012 wurde er ins Repräsentantenhaus gewählt, seit einem Jahr leitet er das Haushaltskomitee. Er will öffentliche Gelder für Abtreibungskliniken streichen, die Obamacare-Gesundheitsreform zugunsten eines medizinischen Sparkontos abschaffen - nur die Waffengesetze dürften seiner Meinung nach so bleiben, wie sie sind.
Bild: Reuters/J. Roberts
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"Bislang hatte Trump Schwierigkeiten, eine Vision des Landes als das eines geeinten Volkes zu vermitteln", schreibt Mercieca. "Er hatte Schwierigkeiten, US-amerikanische Werte deutlich zu machen und er hatte Probleme, die US-Amerikaner zu überzeugen, dass er das Amt des Präsidenten begreift und sich an die Einschränkungen der Verfassung hält."
"Keine Ahnung, was passieren wird"
Nach Trumps bisherigem Verhalten, ist es unmöglich, vorherzusehen, was er in seiner Antrittsrede sagen oder tun wird. "Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, was passieren wird", sagt Stob. "Ich erwarte das Unerwartete." Mercieca fügt hinzu: "Trump lässt die Leute gerne im Ungewissen, also wird es vielleicht etwas Interessantes oder Überraschendes in der Rede geben."
Beide Experten sind sich jedoch einig, dass es für Trump schwierig werden wird, das von seinem Team gesetzte Ziel zu erreichen: Das Land zu vereinen.
Einigkeit ist kaum vorhanden
"Trumps Aufforderungen zu Einigkeit werden jenen Amerikanern falsch vorkommen, die sich an seine Attacken auf Präsident Obama für seine Geburtsurkunde erinnern und alle anderen Angriffe während seines Wahlkampfes und seit seinem Wahlsieg", sagt Mercieca. "Es wird wirklich schwer für ihn werden, das zu meistern", stimmt Stob zu.
Doch auch unabhängig von der Antrittsrede Donald Trumps wird der 20. Januar 2017 lange Zeit in Erinnerung bleiben.
Trump will USA als Präsident vereinen
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Ein historischer Moment
"Er wird von dauerhafter Bedeutung sein, weil es eine bemerkenswerte Zeit in der politischen Geschichte der USA ist", führte Stob aus. "Ich denke nicht, dass diese Rede für ihren Inhalt oder ihre Rhetorik bekannt sein wird, sondern weil sie für einen eigenartigen Machtwechsel steht."
"Ich denke der Moment selbst ist historisch wichtig, aber ich bin mir nicht sicher, ob Trump als Ursache oder Auswirkung dessen gesehen werden wird", sagt Mercieca. "Ich sehe es als den Moment, der den Zwiespalt dieses Landes offenbart, in welche Richtung es sich verändern will."