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Gesellschaft

Schulen in USA: Wenn Sexualität Tabu wird

20. März 2022

Schulen in den USA sind zunehmend Schauplatz politisch aufgeladener Kulturkämpfe. In Florida soll nun verboten werden, Kinder unter zehn Jahren über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität zu unterrichten.

USA | Florida | Don't say gay Bill | Protest
Eine Pride-Flagge weht im Wind, als Schüler in Florida gegen das "Don't Say Gay"-Gesetz protestierenBild: Ivy Ceballo/ZUMAPRESS/picture alliance

Vergangene Woche hat der Senat des US-Bundesstaats Florida ein umstrittenes Gesetz verabschiedet: Es verbietet den lehrplanmäßigen Unterricht über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität bei Kindern vom Kindergarten bis zur dritten Klasse. Auch gegenüber älteren Kindern und Jugendlichen sollen Lehrer nicht in einer "dem Alter von Schülern unangemessenen Art" über diese Themen sprechen.

Das Gesetz liegt nun dem republikanischen Gouverneur Ron DeSantis zur Unterzeichnung vor - und der hat bereits signalisiert, es unterschreiben zu wollen. Die Republikaner wollen, so sagen sie, Kinder auf diese Weise vor Themen schützen, die sie nicht verarbeiten könnten - und sie wollen die Rechte von Eltern stärken. Diese können Schulen nämlich jetzt auch verklagen, wenn die sich nicht an "Parental Rights in Education" halten - so passenderweise der Name des neuen Gesetzes.

Marginalisierung der LGBTQ-Community befürchtet

Bekannter ist es allerdings unter dem Namen "Don't Say Gay". Gegner und Aktivisten haben es so betitelt. Denn es gibt viel Gegenwind - unter anderem auch von US-Präsident Joe Biden höchstpersönlich, der das Gesetz "hasserfüllt" nannte. Brandon Wolf von Equality Florida, einer Nichtregierungsorganisation, die sich für die Rechte von lesbischen, schwulen, bisexuellen, Transgender- und queeren Menschen einsetzt, kritisiert im DW-Gespräch: "Es ist immer angemessen, die Existenz und den Wert von LGBTQ-Familien anzuerkennen - und dass wir ein normaler, gesunder Teil der Gesellschaft sind." 

US-Präsident Biden besucht eine Grundschule - die Demokraten stehen für eine liberalere Sexualerziehung von KindernBild: Adam Schultz/White House/ZUMA Wire/IMAGO

Dabei geht es um viel mehr als nur fehlende Wertschätzung. Viele Menschen sorgen sich, dass die Tabuisierung alternativer Genderidentitäten und nicht-heterosexueller Orientierungen zu noch mehr Diskriminierung und Gewalt führt. Auch deshalb fanden sich jüngst Tausende Schüler und Mitglieder der LGBTQ-Community zu Protesten zusammen.

"Sexualerziehung schon im Kindergarten sinnvoll"

Beunruhigt ist auch Eva Goldfarb, Professorin für öffentliche Gesundheit an der Montclair State University in New Jersey. Goldfarb arbeitet seit 25 Jahren im Bereich Sexualerziehung, hat Lehrkräfte überall in den USA geschult und ist Koautorin eines nationalen Standardprogramms zur Sexualerziehung in den USA.

"In alters- und entwicklungsgerechter Form sollten Sexualerziehung und auch die Diskussion über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität sehr früh beginnen, auch schon im Kindergarten", betont die Expertin. "Kinder sind von Natur aus neugierig und fangen an, Fragen zu stellen, etwa wenn sie eine Schwangere sehen. Und was ist, wenn sie selbst zwei Mütter haben, zwei Väter oder etwa einen schwulen Bruder? Die Aufgabe von Erziehern und Lehrkräften ist doch, ihnen dabei zu helfen, diese Dinge zu verstehen, so dass sie ihnen keine Angst machen und kein Tabu sind."

Eva Goldfarb, Expertin für SexualerziehungBild: Privat

Laut Goldfarb legt eine solche Früherziehung der Grundstein dafür, mit älteren Jugendlichen später in komplexere Diskussionen einsteigen zu können. "Bei anderen Schulfächern ist es doch nicht anders. Niemand käme auf die Idee zu sagen, dass wir in der achten Klasse plötzlich Algebra unterrichten, ohne vorher mathematisches Basiswissen vermittelt zu haben."

Auch Sklaverei und Rassismus sollen kein Thema sein

Die Frage, wie Lehrkräfte über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität sprechen sollen, wird nicht nur in Florida viel diskutiert - ähnliche Gesetzentwürfe gibt es auch in anderen Bundesstaaten. In Arizona sollen Lehrer dazu verpflichtet werden, Eltern zu informieren, wenn ihre Kinder das Thema Genderidentität aufwerfen. In Indiana sollen Schulen Eltern um ihre Zustimmung bitten müssen, wenn sie über sexuelle Orientierung sprechen wollen. Und in Oklahoma wurde ein Gesetzentwurf eingereicht, der Bücher dazu aus Schulbibliotheken verbannen soll.

Das Thema Sexualerziehung ist dabei Teil eines umfassenden politischen Kulturkampfes im Bereich Bildung: Vielerorts steht auch zur Debatte, wie an Schulen über Geschichte, Sklaverei und Rassismus geredet werden darf.

So wurde etwa in Florida ebenfalls erst kürzlich der "Stop Woke Act" verabschiedet. Das Gesetz soll unter anderem verhindern, dass sich Schüler wegen Taten der US-amerikanischen Gründungsväter schämen müssen. Das betrifft etwa die Geschichte der Sklaverei und die Verantwortung der Weißen in den USA. Der "Stop Woke Act" richtet sich auch gegen die sogenannte Critical Race Theory, ein wissenschaftliches Konzept, das Rassismus als strukturelles Problem definiert. 

Ist das amerikanische Gesundheitssystem rassistisch?

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Eltern sollen Lehrpläne mitbestimmen

Kurios ist dabei, dass die Critical Race Theory nie offizieller Teil des schulischen Curriculums in Florida war. Genauso wie die Themen sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität im Kindergarten und Grundschulunterricht kaum auf Lehrplänen standen. Bleibt die Frage: Wogegen wehren sich die konservativen Kräfte im Land eigentlich?

Im Falle Floridas liegt für viele die Vermutung nahe, dass sich Gouverneur DeSantis vor allem innerhalb der republikanischen Partei und bei den Wählern profilieren möchte. Auch Brandon Wolf von Equality Florida ist überzeugt: "All das ist darauf ausgerichtet, dass er 2022 als Gouverneur wiedergewählt wird. Und er will Donald Trump rechts überholen, um bei den Präsidentschaftswahlen 2024 kandidieren zu können."

Eine andere Frage lautet: Wer will und braucht diese Gesetze eigentlich? In einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Ipsos haben sich kürzlich fast zwei Drittel der befragten US-Amerikaner gegen Gesetze wie in Florida ausgesprochen, die den Unterricht über sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität in Grundschulen verbieten.

Demonstration gegen das "Don't Say Gay"-Gesetz in Florida am 12. MärzBild: Martha Asencio-Rhine/AP Photo/picture alliance

Diejenigen, die zu Tausenden gegen "Parental Rights in Education" auf die Straße gegangen sind, darunter auch viele Schüler, wollen das Gesetz nicht. Und deren Eltern, denen mehr Mitsprache versprochen wird? Eva Goldfarb ist überzeugt: "Die meisten Eltern schätzen es, in den Bildungseinrichtungen einen Partner zu haben, der bei der Sexualaufklärung hilft. Und soweit ich weiß, gibt es in den meisten Bundesstaaten schon jetzt die Möglichkeit, Sexualerziehung abzuwählen. Wenn Sie also nicht wollen, dass Ihr Kind am Sexualkundeunterricht teilnimmt, muss es das auch nicht."

In einigen Staaten, zum Beispiel in Arizona, läuft es Goldfarb zufolge sogar schon umgekehrt: Das Kind nimmt nur am Sexualkundeunterricht teil, wenn die Eltern sich aktiv dafür entscheiden.

Politische Grabenkämpfe zulasten der Kinder

Die von Rechten beschworene Bedrohung durch eine angebliche linke Meinungsdiktatur im Bereich Rassismus oder Sexualität hält sich also in Grenzen. Und selbst wenn sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität in Kindergärten und in der Grundschule offen thematisiert werden - die Angst Konservativer, dass das Kinder ermutigt, selbst schwul, lesbisch, transgender oder queer zu werden, ist laut Eva Goldfarb blanker Unsinn. "Es ist wissenschaftlich in keiner Weise belegt, dass das, was man in der Schule lernt, die sexuelle Orientierung oder die Geschlechtsidentität ändern kann. So funktioniert Sexualität nicht. Es werden hier beängstigende Szenarien kreiert, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt."

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Die Wissenschaftlerin findet es im Gegenteil bizarr, in der heutigen Zeit nicht über derartige Themen zu sprechen: "Für die jüngere Generation ist all das doch gar keine große Sache mehr. Und jetzt sagen wir, nein, wir können darüber nicht mehr reden?" 

Während in einigen US-Bundesstaaten der Trend in diese Richtung geht, gibt es allerdings in der polarisierten Gesellschaft der Vereinigten Staaten auch andere Beispiele. So verpflichtet etwa in Colorado seit 2019 ein Gesetz öffentliche Schulen zur "umfassenden Aufklärung über menschliche Sexualität". Ähnliche Regelungen existieren auch in Kalifornien und New Jersey.

Um reale Probleme wie eine hohe Abtreibungsrate und Diskriminierung und Gewalt gegenüber sexuellen Minderheiten zu verringern, hofft Professorin Goldfarb darauf, dass der aktuelle "reaktionäre Tenor" wieder abebbt. Brandon Wolf von Equality Florida ist überzeugt: "Diese Gesetze mögen republikanischen Politikern für einen Moment politische Erfolge bescheren. Aber das ist nicht die Richtung, in die sich das Land langfristig bewegt."

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