Doping bei den Börsenkursen
10. Juli 2019Die Börsen feiern eine Dauer-Party, während Unternehmen mehr und mehr in Katerstimmung sind. Gewöhnlich läuft das eher umgekehrt: Wenn Stimmungs- und Konjunkturbarometer ankündigen, dass die Gewinne der Unternehmen in Zukunft schwinden könnten, reagieren Investoren und verkaufen entsprechend Aktien. Deswegen haben bislang die Regel oder der Leitspruch gegolten: An den Aktienmärkten wird die Zukunft gehandelt.
Offensichtlich ist dieses Prinzip ausgesetzt. Denn seit Ende des vergangenen Jahres bereits weisen Wirtschaftsdaten und Konjunkturindikatoren nach unten. Im Juni hat der als richtungsweisend geltende Ifo-Geschäftsklimaindex den tiefsten Stand seit 2014 erreicht. Allerdings sind die Kurse am deutschen Aktienmarkt seit Jahresbeginn mit kleinen Unterbrechungen kontinuierlich in die Höhe geklettert. Beim Dax beträgt das Plus seit Jahresbeginn fast 20 Prozent.
Billiges Geld macht alle verrückt
"Wir sehen seit Anfang des Jahres, dass diese Schere auseinander geht zwischen Aktien und Konjunkturdaten. Und ich glaube, dafür gibt es nur eine Erklärung", sagt Carsten Brzeski, der Chefvolkswirt der ING Bank in Deutschland. "Es sind die Notenbanken. Alle hoffen auf die heilende Wirkung der Notenbanker. Sie gehen - wahrscheinlich zurecht - davon aus, dass die noch mal die Zinsen senken und billiges Geld in die Märkte pumpen. Nur so passen schwache Konjunkturdaten zusammen mit steigenden Aktienkursen."
Im zweiten Halbjahr 2018 konnten Volkswirte den wirtschaftlichen Gegenwind noch auf vereinzelte Phänomene und Branchen reduzieren. So hatte beispielsweise die Autoindustrie Probleme damit, auf das neue Abgasprüfverfahren WLTP umzustellen, in Folge sanken die Absätze, weil die Hersteller mit ihrer Produktion nicht mehr hinterherkamen. Oder man zog das Niedrigwasser des Rheins heran, weil wichtige Lieferketten nicht mehr richtig funktionierten. Mittlerweile aber sind die Signale auch aus anderen Bereichen der Wirtschaft ernüchternd.
"Klingt absurd, ist absurd"
Statt eines leichten Wachstums gehen beispielsweise die Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer von einem Rückgang ihrer Geschäfte um rund zwei Prozent in diesem Jahr aus. Die chemische Industrie als drittgrößter Industriezweig des Landes rechnet sogar mit einem Rückgang ihrer Produktion von drei bis vier Prozent. Die Industrieaufträge sind rapide gefallen und die Nachfrage aus dem Ausland, die gerade für die exportorientierte deutsche Wirtschaft zentral ist, hat nachgelassen. Deswegen sind auch die Wachstumsprognosen für die hiesige Wirtschaft reihenweise und ziemlich drastisch gefallen. Vor allem Handelskonflikte fordern ihren Tribut; und die davon betroffene Wachstumslokomotive der Welt, China, verliert an Dampf.
In dieser Woche schließlich ist ein wenig von dieser Realität dann doch auf das Börsenparkett hereingebrochen. Der Chemieriese BASF hat seine Prognosen radikal kappen müssen. Statt einer leichten Steigerung des Vorsteuergewinns gehen die Ludwigshafener nun von einem Einbruch um rund ein Drittel aus. Diese drastische Ankündigung hat zu starken Kursverlusten nicht nur von BASF-Aktien geführt. In diesem Fall haben Investoren also eine Reißleine gezogen.
In der Regel laufen die Dinge an den Aktienmärkten aber derzeit genau umgekehrt. So hat in der ersten Juli-Woche ein Bericht zum US-Arbeitsmarkt positiv überrascht. Eigentlich eine gute Nachricht. Allerdings reagierten Anleger an den Aktienmärkten mit Verkäufen. "Insbesondere der Aktienmarkt braucht derzeit leicht enttäuschende Konjunkturdaten", sagt Folker Hellmeyer, ehemals Chefvolkswirt der Bremer Landesbank, nun Chefanalyst beim Vermögensverwalter Solvecon. "Das klingt absurd. Es ist absurd. So ist das, wenn man Aktienmärkte maßgeblich über die Zinspolitik der FED und EZB bewegt, und nicht durch den Rahmen des Wirtschaftsumfelds."