1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Doppelt so viele Fälle von Kindesmissbrauch

30. Mai 2022

Im vergangenen Jahr fielen in Deutschland 49 Kinder täglich sexualisierter Gewalt zum Opfer. Kurz nachdem diese Statistik veröffentlicht wurde, mussten Ermittler neue Fälle "unvorstellbarer Brutalität" bekannt geben.

Hinweistelefon für sexuellen Missbrauch von Kindern
Bei den Polizeibehörden gehen immer mehr Hinweise einBild: Rolf Vennenbernd/picture alliance/dpa

Der Besitz, die Herstellung und die Verbreitung von Darstellungen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen stieg 2021 um 108,8 Prozent und verdoppelte sich damit im Vergleich zum Vorjahr, wie aus den in Berlin veröffentlichten Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik hervorgeht.

Im vergangenen Jahr wurde demnach in mehr als 39.000 Fällen von Kinderpornografie Anzeige erstattet - im Vorjahr waren es knapp 18.800 Fälle. Auch die Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch stiegen um 4,6 Prozent auf mehr als 17.700 registrierte Straftaten. Die Ermittler gehen allerdings von einem vielfach höheren Dunkelfeld aus.

BKA will Ressourcen ausbauen

Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, betonte, bei den Behörden gingen mehr Hinweise ein. Das sei sehr zu begrüßen. "Schwerste Gewalttaten gegen Kinder und Jugendliche als schwächste Mitglieder der Gesellschaft sind besonders zu ächten, zu verfolgen und zu beenden", erklärte Münch. Angesicht der steigenden digitalen Datenmengen arbeiteten das BKA und die Länder "mit Hochdruck" daran, die technischen sowie personellen Ressourcen auszubauen und Verfahrensabläufe zu verbessern.

Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, bei der Vorstellung der aktuellen Kriminalstatistik Bild: Wolfgang Kumm/picture alliance/dpa

Nach Angaben der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Kerstin Claus, ist Europa "zum Drehkreuz bei der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen" geworden. Nötig seien daher eine verstärkte europäische Zusammenarbeit und deutlich mehr Investitionen in die personelle und technologische Ausstattung der Ermittlungsbehörden. "Ich hoffe, dass das geplante EU-Zentrum zur Prävention und Bekämpfung der sexuellen Gewalt gegen Kinder bald Realität wird", erklärte Claus.

Innenministerin Faeser zeigt sich erschüttert

Bundesinnenministerin Nancy Faeser nannte es "erschütternd, dass 2021 im Jahresdurchschnitt jeden Tag 49 Kinder in Deutschland Opfer sexualisierter Gewalt wurden". Die Ermittlungsteams im BKA würden weiter deutlich gestärkt. Das müsse auch bei den Länderbehörden passieren. Faeser zufolge wird dies in dieser Woche Thema bei der Innenministerkonferenz sein.

Kerstin Claus, Beauftragte für sexuellen Missbrauch: "EU hat sich zum Drehkreuz für Kinderpornografie entwickelt"Bild: Wolfgang Kumm/picture alliance/dpa

Die Deutsche Kinderhilfe forderte Maßnahmen zum besseren Schutz der Kinder. Der Anstieg der Kriminalitätszahlen im Bereich der sexualisierten Gewalt gegen Kinder sei "alarmierend". Ein Manko seien nach wie vor die rechtlichen Hürden bei der Verfolgung der Täter. Da die Speicherung von IP-Adressen durch Telekommunikationsanbieter nicht zulässig sei, könnten die Ermittler deren Identität oft nicht ermitteln.

Auch Kinder verbreiten Missbrauchsdarstellungen

Der Polizeistatistik zufolge hat sich auch die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die Missbrauchsdarstellungen insbesondere in sozialen Medien weiterverbreiteten, besaßen oder herstellten, in Deutschland seit 2018 mehr als verzehnfacht. Waren es damals 1373 minderjährige Tatverdächtige, stieg deren Zahl im vergangenen Jahr auf 14.528. Diese Tatbestände gelten seit einer Gesetzesverschärfung im vergangenen Jahr als Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis.

Den meisten Minderjährigen sei nicht bewusst, dass der Besitz oder das Weiterleiten solcher Darstellungen strafbar sei, erklärte Claus. Auch fehle es an dem Bewusstsein, dass hier schwere und schwerste Gewalttaten an anderen Kindern und Jugendlichen verübt würden. Gefordert seien vor allem die Eltern und Schulen, um pädagogische Antworten darauf zu finden.

"Neue Dimension der Brutalität"

Noch nicht in die Kriminalstatistik eingeflossen ist der neue Missbrauchskomplex von Wermelskirchen. Hier stießen die Ermittler auf eine ihnen nicht bekannte Erbarmungslosigkeit. Hauptbeschuldigter ist ein 44-Jähriger aus dem nordrhein-westfälischen Wermelskirchen. Der kinderlose und verheiratete Angestellte habe im Internet seine Dienste als Babysitter angeboten und sich so seinen Opfern nähern können, berichteten die Ermittler in Köln. Mit Dutzenden weiteren Männern habe er zudem kinderpornografische Bilder und Videos "unvorstellbarer Brutalität" getauscht.

Bislang seien 73 Verdächtige und 33 Opfer identifiziert worden. Das jüngste Kind sei einen Monat alt gewesen. Unter den Opfern seien fünf Säuglinge und auch Kinder mit Behinderung. "Ich bin erschüttert und fassungslos", sagte Kölns Polizeipräsident Falk Schnabel. "Ein solches Ausmaß an menschenverachtender Brutalität und gefühlloser Gleichgültigkeit gegenüber kleinen Kindern, ihren Schmerzen und ihren Schreien ist mir noch nicht begegnet."

nob/se/rb/jj (afp, dpa, kna)

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen