"Doppelter Missbrauch rumänischer Kinder"
28. Februar 2014Er galt als sozial engagierter Unternehmer, der sich in der Freizeit freiwillig um Schulkinder kümmert. Doch der Deutsche Markus R. fotografierte und filmte nackte Jungen in Rumänien und verkaufte das Material an einen kanadischen Online-Anbieter, bei dem der ehemalige SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy Medienberichten zufolge Nacktbilder von Minderjährigen bestellt haben soll. Markus R. war 2001 als Mitarbeiter einer deutschen Holzfirma nach Rumänien gekommen und bot an mehreren Orten im Norden des Landes kostenlosen Karate-Unterricht und andere Freizeitaktivitäten für Schüler an.
Die rumänische Polizei nahm ihn 2010 fest, er wurde verurteilt wegen Kindesmissbrauchs. Nach zwei Jahren im rumänischen Gefängnis kehrte er 2012 nach Deutschland zurück - wo aus Gründen des Täterschutzes sein vollständiger Name in den meisten Medien auch weiterhin nicht genannt wird.
Opfer stehen nicht im Mittelpunkt
Stattdessen werden in einigen Berichten Familienangehörige der Opfer mit ihrem vollständigen Namen genannt. Selbst im Fernsehen wurden bereits unzensierte Bilder eines minderjährigen Opfers gezeigt. "Es ist empörend, dass die deutsche Presse einerseits den Täter anonymisiert und dadurch schützt, andererseits aber die Namen der Kinder, der Familienmitglieder und sogar der Dörfer, in denen diese Menschen leben, nennt", sagt Ştefan Cândea im DW-Gespräch. Er leitet das Rumänische Zentrum für Investigativen Journalismus und hat zusammen mit kanadischen Journalisten von der Zeitung Toronto Star die Spuren eines internationalen Kinderpornografie-Rings verfolgt.
"Wenn damit eine Debatte angestoßen wird, die zu einer radikalen Änderung der Situation dieser Kinder führen würde, wäre es gut. Doch dies scheint nicht der Fall zu sein", sagt Cândea. "In Rumänien wird eine solche Debatte gar nicht geführt. Und die Diskussion in Deutschland stellt nicht die Opfer in den Mittelpunkt. Da wollen alle nur wissen, wieso ein Bundestagsabgeordneter die Vorwarnung erhalten konnte, dass gegen ihn ermittelt wird", so der rumänische Journalist.
Versäumnis der deutschen Polizei
Bevor Markus R. nach Rumänien kam, hatte er bereits in Deutschland eine Haftstrafe wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen verbüßt. Nach seiner Entlassung stand R. weiterhin unter Beobachtung. In Rumänien habe er dann das tun können, was ihm in der Bundesrepublik verboten wurde - mit Minderjährigen zu arbeiten, so Journalist Cândea. "Darüber hätten die deutschen Behörden ihre rumänischen Kollegen informieren müssen", kritisiert er. Doch das sei nach Angaben der rumänischen Polizei nicht passiert.
Doch warum kam Markus R. ausgerechnet nach Rumänien? "Das Land gilt leider schon lange als Paradies der Kriminalität, vor allem der sexuellen Kriminalität", sagt der rumänische Psychiater Gabriel Diaconu. "Es ist sicherlich auch ein Erbe der kommunistischen Diktatur und eine Folge der Armut, dass viele Familien ihre Kinder vernachlässigt haben und einige es immer noch tun." Es fehle an Institutionen, die sich um den Schutz von Minderjährigen kümmern.
Kein nationales Phänomen
Psychologen und Sozialarbeiter seien aber in der Pflicht, einen Missbrauchsfall wie diesen nicht als "nationales Phänomen" zu bewerten und mit der Formel "ein armes Land, arme Menschen, pathologische Armut" abzutun, so Psychiater Gabriel Diaconu. "Die Kinder sind nicht in erster Linie rumänische Staatsbürger, sondern Opfer eines internationalen Kinderporno-Rings. Wir können diese Fälle nicht nur als Folge der kommunistischen Diktatur abtun." Kinderpornografie und Kinderhandel seien "nicht auf den Ort zu reduzieren, wo die Opfer leben".
Dadurch, dass einige der Opfer in Berichten deutscher Medien mit ihren tatsächlichen Namen erscheinen, würden sie "zum zweiten Mal missbraucht", so Journalist Cândea: Diesmal von der Presse. Und die rumänischen Behörden hätten es den betroffenen Familien nicht ermöglicht, von Markus R. Schadensersatz zu fordern. Keines der missbrauchten Kinder sei seinerzeit im Rahmen des Prozesses psychologisch betreut worden. "Mehr noch: Einige der Eltern beklagen, dass der Staatsanwalt in einem aggressiven Ton mit den Kindern gesprochen hätte", sagt Ştefan Cândea.