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Gesellschaft

DR Kongo: Wie Faida zur Miliz-Kämpferin wurde

Mariel Müller
8. März 2021

Der Osten der Demokratischen Republik Kongo ist berüchtigt für seine Milizen. In ihnen kämpfen auch Frauen. Die DW hat eine Soldatin getroffen, die erst Opfer von Gewalt wurde und dann selbst zur Waffe griff.

Demokratische Republik Kongo | Miliz in der Masisi Provinz
Miliz-Kämpferin Faida: "Ich schlafe mit meiner Waffe wie mit einem Baby"Bild: Mariel Müller/DW

"Sie haben fast meine ganze Familie getötet und mich vergewaltigt. Es gab keine Zukunft für mich. Ich konnte mein Leben nicht so weiterführen wie zuvor, also entschied ich mich, selbst Kämpferin zu werden, um mich zu rächen."

In Faidas rot unterlaufene Augen kann ich nur selten schauen, die meiste Zeit weicht sie meinem Blick aus und starrt auf den Boden oder auf die Waffe in ihren Händen. Wenn sie erzählt, lacht sie manchmal kurz, aber es ist ein ironisches und bitteres Lachen.

Wir laufen durch eine wunderschöne, bergige Landschaft mit sattgrünen Hügeln, auf denen schwarz-weiße Kühe grasen. Sieht aus wie in der Schweiz. Da hört die Ähnlichkeit aber auch schon auf. Wir befinden uns in Nord-Kivu im Osten des Kongo, einige Kilometer von dem Ort Masisi entfernt.

Die Landschaft in Masisi Territory erinnert an die SchweizBild: Mariel Müller/DW

Den letzten von der kongolesischen Armee kontrollierten Checkpoint haben wir vor Stunden hinter uns gelassen und marschieren mit Faida und drei weiteren Rebellen durch das sogenannte "Niemandsland". Ein Landstrich, der weder von der kongolesischen Armee noch von einer bestimmten Rebellengruppe kontrolliert wird und wo es dementsprechend oft zu Kämpfen kommt. Wir haben eine Verabredung mit einer Rebellengruppe tiefer im Wald. Faida und ihre bewaffneten Kameraden bleiben bei uns: Sie sollen uns sicheres Geleit zu ihrem nahegelegenen Stützpunkt gewähren.

Sexuelle Gewalt als Kriegswaffe: "Ich fühlte mich wie besiegt"

"Mama Faida", wie sie von ihren Kameraden genannt wird, ist Mutter von sechs Kindern. Vor 17 Jahren hat sie sich der bewaffneten Gruppe angeschlossen. Anlass dafür war ein Tag, den sie nie wieder vergessen wird: Sie war 15 Jahre alt und arbeitete mit ihrem Vater wie üblich auf dem Feld, als einige Männer mit Macheten kamen und ihn vor ihren Augen niederschlugen. Danach verschleppten sie Faida. Über das, was danach passierte, kann sie bis heute nicht reden. Zu groß ist die Scham. "Sechs von ihnen haben mich mitgenommen", sagt sie nur. Ich frage, ob sie vergewaltigt wurde. Sie nickt.

Faida blickt in Richtung des Feldes, wo ihre Familie ermordet wurdeBild: Mariel Müller/DW

Die Demokratische Republik Kongo nimmt einen wenig ruhmreichen Spitzenplatz bei Vergewaltigungen ein. Hilfsorganisationen schätzen die Zahl der Überlebenden auf über 200.000. Milizen vergewaltigen Frauen, Männer, Kinder. Ziel ist es, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren, und von rohstoffreichen Gebieten oder oder fruchtbarem Ackerland zu vertreiben. Sexuelle Gewalt wird systematisch als Kriegswaffe eingesetzt. Überlebende wie Faida brauchen oft Jahre, bis sie sich psychisch und körperlich erholt haben. "Ich fühlte mich wie besiegt. Mein Leben hat mich besiegt", sagt sie.

"Wenn ich die Männer finde, würde ich sie sofort erschießen"

"Wenn ich die Männer finden könnte, die mir das angetan haben, würde ich sie sofort erschießen", sagt sie. An diesem Tag ermordeten sie auch ihre Mutter und ihre Brüder - insgesamt vier Frauen, acht Männer und zwei Kinder, erzählt sie. Die Gruppe, die sie dafür verantwortlich macht, ist die FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), eine von Hutu-Extremisten gegründete Rebellengruppe aus Ruanda, die nach dem Völkermord 1994 in den Kongo gekommen ist und dort mordet, stiehlt und vergewaltigt. Dieselbe Rebellengruppe war es, die ihren Ehemann zuvor ebenfalls getötet hatte.

Als Witwe und Vergewaltigungsopfer wurde sie aus der Gemeinschaft ihrer Familie und Freunde verstoßen. Schwer traumatisiert und komplett auf sich allein gestellt kämpfte sie jeden Tag darum, Essen für ihre beiden Kinder aufzutreiben.

Der Wunsch nach Rache verbindet

Bis eines Tages ein ehemaliger Lehrer aus der Provinzhauptsadt Goma in ihr Dorf kam. "Ich bin mit ihm in Kontakt gekommen, weil er in jedes Dorf kam und die Menschen sensibilisiert hat. Er ist ein Sohn der Stadt", erzählt Faida. "General Mbura", wie sie ihn hier nennen, suchte nach Kämpferinnen und Kämpfern, die sich ihm im Kampf gegen die FDLR anschlossen. Der Wunsch nach Rache verbindet - und so unterstützten Mbura nach eigenen Angaben zu Hochzeiten um die 3800 Menschen. In den Reihen seiner bewaffneten Gruppe finden sich derzeit 43 Frauen, 27 von ihnen wurden vergewaltigt. Viele von ihnen haben ähnliche Gräueltaten wie Faida überlebt - eine Miliz traumatisierter junger Menschen?

Milizenführer Mbura war Lehrer in der Provinzhauptstadt, bevor er eine Miliz gründeteBild: Mariel Müller/DW

Mathias Gillmann, Sprecher der UN-Friedenstruppen in der Demokratischen Republik Kongo (MONUSCO) hält das für abwegig. "Auch wenn diese bewaffneten Gruppen anfangs vielleicht mal ein politisches Ziel verfolgt haben - das ist lange vorbei. Die allermeisten von ihnen sind und bleiben Banditen, die sich an der Zivilbevölkerung bereichern und diese unterdrücken."

Im Gebiet des Milizenführers Mbura, der nach eigenen Angaben rund 20 Dörfer kontrolliert, haben sie die UN-Soldaten seit Jahren nicht mehr gesehen, sagen uns die Kämpfer. "Die trauen sich hier nicht her." Generell halten sie hier wenig von den UN-Soldaten. "Die konnten unsere Frauen und Töchter auch nicht vor der FDLR beschützen."

2000 Todesopfer in einem Jahr

Die Vereinten Nationen schätzen, dass im vergangenen Jahr in drei ostkongolesischen Provinzen mehr als 2000 Menschen von bewaffneten Milizen getötet und mehr als 5,5 Millionen Menschen vertrieben wurden. Der Kongo ist das Land mit den meisten Binnenvertriebenen in Afrika.

Faida ist dem Milizenführer dankbar, dass er sie aufgenommen hat. Für sie bot die Gruppe mehr als eine Chance, die Mörder ihrer Familie zu rächen - es war ihre einzige Chance zu überleben. Durch sie hatte sie wieder ein Gefühl von Sicherheit, Selbstbestimmung und am wichtigsten: Sie und ihre Kinder bekamen regelmäßig Essen.

Bild: Mariel Müller/DW

Ein Teil der Miliz geht immer auf die Felder, erzählt Faida, baut selbst an oder Bauern spenden einen Teil ihrer Ernte an die Miliz. Keiner in der Gruppe will zugeben, dass Dorfbewohner unter Androhung von Gewalt dazu gezwungen werden. Aber auf dem Weg zum Dorf beobachten wir, wie eine Frau, die die bewaffneten Rebellen gesehen hat, vor Schreck ihre vollen Maniokkörbe fallen lässt und wegrennt.

Je länger wir mit Faida sprechen und je weiter wir uns von ihren Kameraden entfernen, umso klarer wird, dass sie der Gruppe beigetreten ist, um zu überleben - und weniger aus Überzeugung. "Sie haben meine Familie getötet. Wenn das nicht passiert wäre, wäre ich niemals eine Kämpferin geworden", sagt Faida. "Ich habe noch nie jemanden erschossen. Immer wenn die anderen zum Kämpfen gegangen sind, bin ich bei den Kindern geblieben. Ich trage die Waffe immer nur bei mir, weil es mein Job ist."

Der Traum, eines Tages wieder Bäuerin zu sein

In den vergangenen Jahren hat sie schon öfter darüber nachgedacht, die Miliz zu verlassen. "Ich höre immer wieder, dass Leute weglaufen, aber ich denke mir: Wie könnte ich wegrennen? Ich habe kein Land. Wenn ich abhaue, habe ich niemanden, der mir helfen könnte, ein Leben aufzubauen."

Eines der Hauptquartiere der bewaffneten Gruppe - hier wohnt eine der drei Frauen des AnführersBild: Mariel Müller/DW

Wo wäre sie jetzt, hätten die Rebellen ihre Familie nie attackiert? "Ich würde ein gutes Leben mit meinem Mann haben - so wie andere Leute. Aber diese Möglichkeit wurde mir genommen."

Ihr Traum ist es, die Waffe eines Tages gegen ein Stück Land zu tauschen und endlich wieder ein normales Leben als Bäuerin zu führen, erzählt sie. "Ich liebe es, auf dem Feld zu arbeiten, ich würde das gerne jeden Tag machen." Mittlerweile hat sie sechs Kinder. Sie will nicht sagen von wem, geheiratet hat sie nicht noch einmal - obwohl sie das gerne würde. "Aber nach alldem, was mir passiert ist: Wer würde mich schon heiraten?"

Ihre ganze Energie steckt sie nun in ihre Kinder und in die Hoffnung, dass ihr Leben frei von Gewalt sein wird. "Wenn Gott meine Kinder und mich segnet, werde ich ihnen zumindest eine Ausbildung geben können."

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