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Im Kino: "Familie Brasch"

Jochen Kürten
16. August 2018

Die eindrucksvolle Dokumentation erzählt vom Leben einer ostdeutschen Politiker- und Intellektuellenfamilie und ist ein Spiegel deutscher Geschichte. Regisseurin Annekatrin Hendel im DW-Gespräch über die Familie Brasch.

Filmfest München  Familie Brasch
Szene aus dem FilmBild: Filmfest München 2018

Deutsche Welle: "Familie Brasch" ist ein Film über deutsche Geschichte, ein Film über eine deutsche Familie, über deutsch-deutsche Geschichte - was hat Sie vor allem gereizt an dem Projekt?

Annekatrin Hendel: Deutsche Geschichte, deutsch-deutsche, auch jüngere deutsche Geschichte, interessiert mich generell. Aber die erste Keimzelle war tatsächlich die Verfilmung von "Die Manns" von Heinrich Breloer (2001). Als ich das gesehen habe, habe ich gedacht, man müsste über so eine exemplarische ostdeutsche Familie auch mal einen Film machen. Dadurch, dass ich viele Familienmitglieder persönlich kannte, sind mir sofort die Braschs eingefallen.

Wie ging es dann weiter?

Ich bin 2004 vom Theater zum Film übergewechselt, Filmproduzentin und Regisseurin geworden. Und als 2012 Marion Braschs Roman "Ab jetzt ist Ruhe" über ihre Familie erschien, habe ich mir sofort die Rechte gesichert für einen Spielfilm. Dann habe ich Leute gesucht, die die verstorbenen Familienmitglieder, vor allem auch die Eltern noch kannten. Und so kam ich auf den Gedanken: wenn ich jetzt diesen Leuten begegne, und es sind allesamt sehr interessante Personen der Zeitgeschichte, dann muss ich auch einen Dokumentarfilm machen. Das heißt also, ich mache zwei Filme. Der eine, der Dokumentarfilm, ist jetzt fertig und der Zweite wird dann ein Spielfilm werden.

Frühes Familienglück: Horst Brasch (r.), seine Frau Gerda und die drei SöhneBild: Filmfest München 2018

Das Jahr 1968 ist ja derzeit in aller Munde - und spielt auch in Ihrem Film eine große Rolle. Dass Ihr Film genau jetzt erscheint, ist wahrscheinlich kein Zufall....

Was sich als großes Thema durch die Geschichte der Familie Brasch und durch den ganzen Film zieht, ist die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Um die großen Daten der jüngeren deutschen Geschichte herum (1945 - 1968 - 1989) entstehen überall Verletzungen. Und da spielt das Jahr 1968, die Zerschlagung des Prager Frühlings, eine zentrale Rolle. In diesem Jahr rebellieren wie überall auf der Welt, die Söhne gegen die Vätergeneration. Und auch bei den Braschs bricht der Konflikt zwischen dem ältesten Sohn Thomas und dem Vater auf. Das ist ja jetzt genau 50 Jahre her, und da finde ich, es ist der richtige Zeitpunkt, diese Geschichte mit allen Konsequenzen zu erzählen.

Was wollten Sie mit dem Film ausdrücken, außer der Erzählung einer sehr komplexen Familiengeschichte?

Mir ist wichtig, dass man den gewöhnlichen, archetypischen Vorgang der Auseinandersetzung als einen politischen wahrnimmt, auch wenn - oder gerade weil - er sich innerhalb einer Familie abspielt. Und eben als einen, der voller Widersprüche ist. Also da, wo es besonders tragisch ist, ist es auch komisch, und da, wo es besonders brutal ist, da ist es auch besonders zärtlich. Liebe und Leidenschaft hat in der Familie eine große Rolle gespielt, genau wie Entfremdung  und Einsamkeit. Da ist die Amplitude groß, politisch wie persönlich. Wie es sich für eine Jahrhundertgeschichte gehört. Das hat was Shakespeare'sches, natürlich etwas sehr Dramatisches. Das ist hier in München beim Publikum auch genau so angekommen. Das Publikum hat den Film mit offenen Augen, Armen und Ohren aufgenommen.

Annekatrin HendelBild: Martin Farkas

Ihr Film zeichnet das Porträt einer Familie, deren Brüche und Widersprüche die Brüche in der Geschichte des Landes widerspiegeln, vor allem in der Geschichte von Thomas Brasch…

Für mich ist es immer interessant, die Dinge nicht aus dem Zusammenhang zu reißen. Thomas Brasch ist natürlich als Schriftsteller, Regisseur und Übersetzer der berühmteste Sohn, und der Konflikt mit seinem Vater ist ein zentraler. Aber dieser Funktionärsvater hat ja auch eine Herkunft, eine Geschichte, als jüdisches Kind vor den Nazis nach London emigriert, ebenso wie die jüdische Mutter. Auch die jüngeren Brüder hatten Konflikte mit dem Vater. Aber davon wissen wir wenig. Thomas war, als Ältester, immer zuerst da. Er ist in London geboren. 1945, quasi in der "Stunde Null". Er ist als erster weggeschickt worden ins Kadetteninternat und hat dagegen rebelliert. Er war im Gefängnis. Thomas hatte seinen Geschwistern immer etwas voraus, negativ wie positiv.

War das für die jüngeren Brüder immer noch eine besondere Tragik?

Ich glaube schon, dass die Geschwister in Thomas' Schatten geraten sind. Am schlimmsten hat es den jüngsten Bruder Peter getroffen, der dieselben Konflikte mit dem Vater hatte. Und dann "leider" auch Schriftsteller wurde. Ein begnadeter zwar, aber "gesehen" hat er sich nie gefühlt.

War lange an der Seite von Thomas Brasch und tritt im Film als Zeitzeugin auf: Katharina ThalbachBild: Filmfest München 2018

Mein Film versucht sich insgesamt mit heutigen Fragen an etwas Vergangenes anzunähern. Es ging um nicht weniger als die letzte große Utopie, während gleichzeitig der tief humanistische Gesellschaftsentwurf des Vaters, der dem Antifaschismus entsprang, zur Diktatur mutierte. Beide Seiten, beide Generationen, glaubten an die Möglichkeit einer besseren Welt. Beide Seiten führten eine verzweifelte Auseinandersetzung darüber, welcher Weg der richtige ist. Die Jungen mit Hoffnung, Offenheit und Neugier, bis sie am Herrschaftsanspruch der Alten abprallten. Wie groß muss die Enttäuschung der Kinder gewesen sein, die den Traum vom Sozialismus teilten, sich aber mit den real existierenden Zuständen nicht abfinden konnten.

Gehört dazu auch Verständnis für die ganz junge DDR zu entwickeln?

Was kann es schöneres geben als eine neue, gerechtere Gesellschaft aufzubauen? Das muss man sich heute mal vorstellen. Die alten DDR-Funktionäre waren ja damals sehr jung. Die haben ihren Traum erst mal  tatsächlich gelebt, und ihnen ist ja erst mal auch tatsächlich ganz viel gelungen.

Horst Brasch war Kommunist, aber er war auch Jude, inwiefern spielte das eine Rolle?

Es ist ja eine riesengroße Geschichte, 1952, die Schauprozesse in Prag, da sind  die jüdischen Kommunisten wirklich von den eigenen Genossen gekillt worden! Was mag das für den jungen Horst in der DDR bedeutet haben? Horst war ja ein jüdischer Kommunist und dann noch einer, der nicht - wie viele in der Führungsriege - aus dem KZ kam, sondern aus dem englischen Exil. Auch er stand eine Zeit lang unter Verdacht, für den Westen zu spionieren. Und das bedeutete auch für ihn zwangsläufig Gefahr. Ob er davon später seine Kinder etwas wissen ließ, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich ist, dass er viele Konflikte mit sich selber ausgetragen hat. Vielleicht auch ein Grund für sein Schweigen, das zum Unverständnis seiner Kinder führte.

In den 1960er Jahren gab es eine kurze Blütezeit, nach dem Bau der Mauer 1961.

Ja, die Zeit von 1961 bis 1965 war der "kurze Sommer" der DDR. Da haben viele Leute, auch Intellektuelle und Künstler, tatsächlich daran geglaubt, man könne jetzt ungestört den Sozialismus  aufbauen und leben. Was in dieser Zeit alles an fantastischer Literatur, Kunst und Filmen entstanden ist... Die dann verboten wurden nach 1965. Mit dem 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965, wo es eigentlich um eine Wirtschaftsreform gehen sollte, war das dann vorbei. Kunst und Kultur mussten dran glauben. Anfang 1966 ist Horst Brasch stellvertretender Minister für Kultur geworden und hatte die Sanktionen gegen die Künstler durchzusetzen. Die sogenannte Eiszeit begann.

Thomas Brasch Bild: picture-alliance/dpa/N. Bachmann

Wie eskalierte das dann in den kommenden Jahren?

Das Elend nahm seinen Lauf und mündete 1968 in dem gewaltsamen Akt der militärischen Niederschlagung des Prager Frühlings. Da ist ein großer Bruch entstanden. Thomas Brasch verteilte mit seinen Freunden Flugblätter gegen den Einmarsch. Er wurde in der elterlichen Wohnung verhaftet. Vater Brasch büßte seine Karriere ein und wurde nach Karl-Marx-Stadt versetzt, wo wenig später seine Frau starb. Nach 1968 ging es in der DDR dann spürbar bergab, ebenso wie in der Familie Brasch.

Der Konflikt mit seinem Vater prägte aber fortan die Arbeit des Schriftstellers Thomas Brasch: "Vor den Vätern sterben die Söhne" ist der programmatische Titel seines ersten Erzählungsbands. Das Buch gefiel dem ersten Mann im Staate überhaupt nicht und durfte in der DDR nicht erscheinen. Thomas musste die DDR nach den Protesten gegen die Biermann-Ausbürgerung 1976 Richtung Westen zusammen mit seiner Freundin Katharina Thalbach und ihrer Tochter Anna verlassen. Im Westen startete er dann richtig durch mit seinen Texten, Stücken und Filmen. Dabei ging er schonungslos mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in Ost und West in die Kritik. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Das nächste Jahr, was dann von ganz entscheidender Bedeutung war, war 1989, der Fall der Mauer, was hat das bei der Familie ausgelöst?

Der Mauerfall trifft Peter und Thomas Brasch gleichermaßen. Der mittlere Bruder Klaus Brasch ist schon 1980 an einem Cocktail von Alkohol und Tabletten gestorben. Beide sahen in der Wiedervereinigung eine vertane Chance auf eine andere Gesellschaft. Warum muss man, sagt Thomas Brasch, "kaum unter dem Rock der Partei hervorgekrochen (...) sofort wieder (...) unter den Rock der Kirche oder des Kanzlers kriechen"?

Akteure und Macher des Films "Familie Brasch" mit der Regisseurin in der Mitte beim Filmfest München bei der WelturaufführungBild: FILMFEST MÜNCHEN 2018/BrauerPhotos/D. Bindl

Auch der Alkohol spielte wohl eine große Rolle?

Es gibt ja immer viele Gründe, warum jemand trinkt und Drogen nimmt und sich selbst zerstört. Aber die Zerstörung dieser Utopie, dieses Traumes, hat auf jeden Fall einen zusätzlichen Beitrag geleistet.

Im Mittelpunkt steht - neben Thomas Brasch - die Schwester Marion, die als einzige noch lebt, die über ihre Familie einen Roman geschrieben hat, die sie seit 33 Jahren kennen. Ihr Blick prägt den Film auch.

Die jüngste Tochter Marion, die immer Versöhnung und Ausgleich suchte und ebenfalls damit an Grenzen stieß, ja, sie ist die einzige, die ihre berühmtberüchtigte Familie überlebte. Sie ist noch da. Und wie. Der Film zeigt sie heute in New York, der Stadt, die auch für Thomas Sehnsuchtsort war. Wir sehen, wie sie ihren Roman dort vorstellt. Wir erleben sie in Berlin, im Studio als Radio-Moderatorin. Mit ihrer Tochter Lena Brasch macht sie in Berlin zusammen Theater. Die Geschichte der Familie Brasch geht also weiter.

Der Dokumentarfilm "Familie Brasch" von Annekatrin Hendel startet am 16.8.2018 bundesweit im Kino. Das Gespräch führte Jochen Kürten während des Filmfests München, wo "Familie Brasch" Weltpremiere feierte.

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