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Politik

Drei Abstimmungen und eine Erpressung

Barbara Wesel aus London
14. März 2019

Nach chaotischen Szenen stimmte das britische Parlament gegen einen harten Brexit. Theresa May erlitt eine weitere Niederlage und will dennoch eine dritte Abstimmung über das Austrittsabkommen. Von Barbara Wesel, London.

England, London: Theresa May
Bild: picture-alliance/AP/M. Duffy

Das sollte der Tag sein, an dem das Parlament die Kontrolle über den Brexit übernehmen würde. Und es gelang immerhin, Theresa May unter chaotischen Umständen eine weitere Niederlage zu verpassen. Sie aber schlug zurück und kündigte eine weitere Abstimmung über just das Austrittsabkommen an, das gerade am Vortag zum zweiten Mal mit großer Mehrheit nieder gestimmt worden war. Die Premierministerin ist jedenfalls beharrlich. Ihre Gegner sprechen längst von Sturheit.

Chaos in Westminster

Der Abend verlief dermaßen unberechenbar und chaotisch, dass selbst erfahrene Parlamentsbeobachter die Hände über dem Kopf zusammen schlugen. Die Regierung bewies, wie vollständig ihr die Kontrolle über Verfahren, Abstimmungsdisziplin und Tagesordnung entglitten ist.

Zur Wahl standen zwei Vorlagen gegen einen harten, einen sogenannten No-Deal-Brexit. Es gab eine schärfere Fassung von der konservativen Abgeordneten Carolyn Spelman und eine schwächere Vorlage von der Regierungsbank. Letztere würde größeres rechtliches Gewicht haben. 

Theresa May erkannte allerdings, dass ihr mit der Spelman-Vorlage zu sehr die Hände gebunden wären. Sie versuchte also in letzter Minute, die Abstimmung zu verhindern. Das ging schief und endete damit, dass May schließlich der eigenen Partei verbot für den Regierungsvorschlag zu stimmen, nur um der bereits erfolgreichen ersten Vorlage den rechtlichen Boden zu entziehen.

Das Ganze endete damit, dass May selbst gegen ihren eigenen No-Deal Vorschlag stimmte. Ein Fall von absurdem parlamentarischem Theater, der einmal mehr zeigt, wie zerstörerisch der Brexit im politischen System Großbritanniens schon gewütet hat. 

Auch dieser Versuch ging allerdings schief. Mehrere Regierungsmitglieder setzten sich über den Fraktionszwang hinweg und enthielten sich der Stimme oder votierten gegen die Premierministerin. Mit einer Mehrheit von dreiundvierzig Stimmen ging der Vorschlag durch, dass Großbritannien unter keinen Umständen ohne Vertrag aus der EU austreten dürfe. 

Weil es so schön war, noch einmal abstimmen

Theresa May verlor an diesem Abend den letzten Rest Kontrolle über ihr Kabinett, ihre Partei und den Brexit, sowie die letzten Fetzen von Glaubwürdigkeit. Aber sie gibt nicht auf. Mit dem Beschluss gegen einen harten Brexit sei noch nichts gewonnen, erinnerte sie die Abgeordneten. Denn das Königreich wird am 29. März automatisch aus der EU herausfallen, wenn dieser Prozess nicht aktiv gestoppt wird.

Dafür aber braucht man eine Verlängerung. Und die könne zwei bis drei Monate betragen, um die technischen Probleme des Austritts aus dem Weg zu räumen. Basis dafür allerdings sei, dass das Parlament in einem dritten Anlauf endlich dem Austrittsvertrag zustimmen würde.

Labour-Chef Jeremy Corbyn: Mit eigenem Brexit-Plan gegen die Regierung MayBild: picture-alliance/AP Photo/J. Taylor

Oder es würde eine längere Vertagung des Brexit geben, in der Zeit für Neuwahlen wäre, ein zweites Referendum oder sonst etwas. Das war ein klarer Erpressungsversuch der Premierministerin gegenüber den harten Brexiteers. Was ist euch lieber, fragte sie die Tory-Hardliner durch die Blume: der Spatz in der Hand, also das ausgehandelte Brexit-Abkommen, oder die Taube auf dem Dach, nämlich ein anderer oder etwa gar kein Brexit und eine lange Verzögerung.

Schon am nächsten Mittwoch sollen die Abgeordneten in einer dritten Runde also erneut über den selben Brexit-Deal abstimmen. Steve Baker, Sprecher der harten Brexiteers, reagierte störrisch: "Wir werden (den Deal) immer wieder niederstimmen, so oft er auch vorgelegt wird." Jacob Rees-Mogg hingegen, einer der prominentesten Hardliner, deutete an, er könne bereit sein, seine Meinung zu ändern, wenn die nordirische DUP mit an Bord wäre.

Titanic und Eisberg

Bei der EU zeigte man sich inzwischen unbeeindruckt vom britischen Brexit-Chaos. Das Votum gegen den No-Deal sei kaum wirksam. Ein Diplomat verglich die Situation scherzhaft mit der Besatzung der Titanic, die beschließt, dass der Eisberg gefälligst ausweichen solle. In anderen Worten: Nur weil man ihn nicht will, löse sich der harte Brexit nicht in Luft auf, es müsse weitere Schritte geben.

Deswegen will das Parlament auch an diesem Donnerstag mit neuen Beschlüssen die Regierung dazu zwingen, bei der EU um eine Verlängerung zu bitten. Dann wäre zumindest das Datum 29. März vom Tisch.

Aber haben die Abgeordneten damit bereits die Kontrolle über den Brexit übernommen? Noch scheint Theresa May am Drücker, solange sie Abstimmungen über das Austrittsabkommen erzwingen kann. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass die Parlamentarier mit einer Reihe von Einzelabstimmungen versuchen werden festzustellen, ob und für welche Form von Brexit es eine Mehrheit geben kann: ein weicherer Brexit mit Zollunion, mit Verbleib im Binnenmarkt, ein zweites Referendum oder gar Neuwahlen? Auf der Basis könnte man dann die notwendige Verlängerung bei der EU beantragen.

Apropos Neuwahlen: Es geht das Gerücht um, die Brexiteers würden dem Austrittsabkommen in der nächsten Woche nur um den Preis zustimmen, dass Theresa May ihren Rücktritt anbietet. Es wäre ein wirklich verblüffendes Ergebnis, wenn May den Brexit-Deal retten aber ihren Kopf verlieren würde. Fraglich ist, ob May sich wirklich auf diese Art vom Hof jagen lässt. Und außerdem: Die Brexiteers reden viel, wenn der Tag lang ist. Bislang hat May noch jeden Anschlag von ihrer Seite überlebt.

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