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Friedensnobelpreis 2011

8. Oktober 2011

Das Friedensnobelpreiskomitee hat drei Frauen aus Liberia und Jemen geehrt: aus Liberia Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf und die Frauenrechtlerin Leymah Gbowee sowie Tawakul Karman, Demokratieaktivistin aus dem Jemen.

Die Friedensnobelpreisträgerinnen, v.l.: Leymah Gbowee, Tawakul Karman und Ellen Johnson-Sirleaf (Foto: DW- Montage/AP)
Bild: dapd/DW-Montage

Die Liberianerin Ellen Johnson-Sirleaf ist eine Frau, die sich schon sehr lange und sehr souverän auf internationalem Parkett bewegt. Die Karriere der heute 72-Jährigen war kometenhaft. Begonnen hat sie mit einem Stipendium für ein Wirtschaftsstudium an der US-Eliteuniversität Harvard. Das ebnete ihr den Weg für Positionen bei der Weltbank und den Vereinten Nationen. Johnson-Sirleaf profilierte sich als strenge Finanzpolitikerin, was ihr später den Namen der 'eisernen Lady' einbrachte. Integer, unbeugsam und willensstark sei sie - genau die richtigen Vorraussetzungen für ein Amt in der Politik.

ELLEN JOHNSON-SIRLEAF: Heldin des Wiederaufbaus

Ellen Johnson-SirleafBild: AP

So erreichte sie den vorläufigen Höhepunkt ihrer Laufbahn, als sie 2006 zur ersten Staatchefin Liberias und des afrikanischen Kontinents vereidigt wurde. Und das in einem Land, das 14 Jahre Bürgerkrieg hinter sich hatte, der eine viertel Million Menschen das Leben kostete. Die Menschen waren traumatisiert, unzählige Frauen waren vergewaltigt worden, die Infrastruktur zerstört, es gab weder Wasser, noch Strom. Ellen Johnson-Sirleaf verstand es, ein Land zu einen, das nur Zerstörung kannte. Sie war es, die den Menschen wieder eine Vision von Zukunft vermittelte. Dass sie eine Frau war, habe vor allem auch die Frauen motiviert, sich an der Politik zu beteiligen, sagt Betty Arsen, eine Verkäuferin in Monrovia. "Wir wählten Madam Sirleaf in der Hoffnung, sie werde den Frauen helfen."

Schon in ihrer ersten Amtszeit hat sie viel erreicht. Johnson-Sirleaf trat an mit dem Wahlversprechen: null Toleranz in Sachen Korruption. Sie erreichte einen Schuldenerlass für ihr Land in Höhe von über vier Milliarden US-Dollar. Sie überzeugte Investoren, dass es sich wieder lohne in das kleine, an Bodenschätzen reiche Land zu investieren. Das Exportverbot für Diamanten und Edelhölzer wurde unter Sirleafs Führung aufgehoben.

Nobelpreis mitten im Wahlkampf

Dennoch: Ganz unumstritten ist die jetzt geehrte afrikanische Staatsfrau nicht. Ein Bericht der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Liberia wirft ihr vor, in den 1980er Jahren den Kriegsverbrecher Charles Taylor unterstützt zu haben. Sirleaf hat sich jedoch stets mit dem Hinweis verteidigt, sie habe sich von Taylor abgewandt, als dessen Verbrechen offenkundig wurden.

Die Preisvergabe des norwegischen Nobelpreis-Komitees kommt zu einem kritischen Zeitpunkt. Sirleaf steckt mitten im Wahlkampf. Am Dienstag (11.10.2011) finden in Liberia Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Die Zuerkennung des Friedensnobelpreises könnte manche Wahlentscheidung beeinflussen.

LEYMAH ROBERTA GBOWEE: Gewaltfreier Protest in weiß

Leymah Gbowee war 17 als in ihrem Heimatland Liberia 1989 der Krieg ausbrach. Sie kam frisch von der High-School, als Kriegsherr Charles Taylor den damaligen Präsidenten Samuel Doe stürzte. Für die junge, 1972 geborene Schulabsolventin, die gerade ihr Medizinstudium aufnehmen wollte, brach damals eine Welt zusammen. Viel ist seither passiert, in Liberia und in Leymah Gbowees Leben, das eng mit dem Schicksal ihres Landes verwoben ist.

Gemeinsamer Kampf für den Frieden

Als Charles Taylor 1997 Präsident wurde und der brutale Konflikt im Land sich immer weiter zuspitzte, fasste Gbowee einen Entschluss: sie wollte für den Frieden in Liberia kämpfen, zusammen mit den Frauen in ihrem Land. Die junge Frau, die bis dahin traumatisierte Kinder und Bürgerkriegsflüchtlinge betreut hatte, fand schnell Unterstützerinnen für ihr Ziel, sowohl bei Christinnen als auch Musliminnen in Liberia. Sie trafen sich zu Versammlungen und gewaltfreien Demonstrationen. Bei ihren Gebeten und Protestaktionen trugen die Frauen weiße T-Shirts – als Zeichen für den Frieden. "Es war eine Armee von Frauen in weiß, die sich erhoben, als es niemand sonst wagte", schreibt Gbowee in ihrer Autobiographie. "Wir hatten keine Angst, denn die schlimmsten Dinge, die man sich vorstellen kann, waren uns bereits passiert". Viele Liberianer glauben heute, dass der Bürgerkrieg mit über 250.000 Todesopfern bis heute andauern würde, hätte es die "Frauen in weiß" nicht gegeben.

Mit Sexentzug Politik machen

2002 gründete sie die Bewegung "Women of Liberia Mass Action for Peace", die Massenbewegung liberianischer Frauen für den Frieden. Aufsehen erregte vor allem der "Sex-Streik", eine Aktion bei der die Frauen des Landes die Männer mit Sexentzug zu einer friedlichen Politik zwingen wollten. Im Jahr 2004 wurde Gbowee zudem in die Wahrheits- und Versöhnungskommission Liberias berufen, die es sich nach südafrikanischem Vorbild zur Aufgabe gemacht hat, Dialog und Stabilität wieder herzustellen. Zwei Jahre später wurde sie zur Beraterin des "Women Peace and Security Network" ernannt. Heute leitet sie die Organisation, deren Hauptsitz in Ghana ist. Derzeit lebt sie dort – gemeinsam mit ihrer Familie.

TAWAKKUL KARMAN: Demokratiekämpferin mit Kopftuch

Leymah GboweeBild: dapd
Tawakkul KarmanBild: picture alliance/dpa

Eine emanzipierte Freiheitskämpferin stellen sich viele im Westen anders vor: Tawakkul Karman trägt Kopftuch und verhüllt ihren Körper mit einem langen schwarzen Gewand. Sie ist bekennende Muslima und Mitglied in der islamischen Oppositionspartei Islah. Und doch ist die Frau, die auf Fotos oft mit einem Megafon zu sehen ist, eine der energischsten und mutigsten Demokratie- und Menschenrechtsstreiterinnen im Jemen. Nicht nur Frauen, sondern auch viele Männer zählen zu ihren Anhängern. Manche verehren sie sogar als "Mutter der Revolution".

Tatsächlich setzt sich die 32-Jährige seit mehreren Jahren gegen die Herrschaft von Präsident Ali Abdullah Saleh ein, der das bettelarme und von Stammesrivalitäten, Separatismus und Terrorismus bedrohte Land seit 32 Jahren regiert. Schon 2007 organisierte Karman wöchentliche Proteste vor Regierungsgebäuden in der Hauptstadt Sanaa - mehr als einmal wurde sie dafür von den Sicherheitskräften verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. "Wir werden uns nicht einschüchtern lassen", erklärte sie dazu Anfang Oktober in einem Interview mit dem "Tagesspiegel". Da war der von vielen Demonstranten schon als erfolgreich vertrieben geglaubte Präsident Saleh gerade aus Saudi-Arabien zurückgekehrt. Karman würdigte dies mit feinem Sarkasmus als "Geschenk des Himmels". "So kann er uns nicht mehr entkommen. So können wir ihm und seinem Sohn den Prozess machen", erklärte sie.

Dass eine Frau wie Karman sich an die Spitze der jemenitischen Demokratiebewegung vorkämpfen konnte, ist keineswegs selbstverständlich. Selbst im Vergleich zu den meisten anderen arabischen Staaten ist der Jemen ein überdurchschnittlich konservatives Land. Frauen werden dort unter Rückgriff auf die Tradition oder vermeintliche religiöse Vorschriften oft als Bürger zweiter Klasse behandelt. Zwangsverheiratungen minderjähriger Mädchen sorgen regelmäßig für Schlagzeilen. Als Bloggerin und Mitbegründerin der Organisation "Journalistinnen ohne Ketten" setzt sich Tawakkul Karman auch für die Belange ihrer Geschlechtsgenossinnen ein. So fordert sie seit langem, mindestens jede dritte öffentliche Arbeitsstelle in ihrem Land mit einer Frau zu besetzen.

Ein Preis für die jemenitische Revolution

In einer ersten Reaktion würdigte Karman ihre Auszeichnung als einen Preis für die gesamte arabische Freiheitsbewegung - und als Signal dafür, dass die Ära der autoritären Herrscher in der Region zu Ende gehe. Das Nobelpreis-Komitee würdigt mit der Preisvergabe aber auch ihre Rolle als Advokatin eines friedlichen Wandels: Karman und ihre Mitstreiter halten sich so gut wie möglich fern von den blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Truppen des Machthabers Saleh und seiner Rivalen aus abtrünnigen Stämmen.

Autoren: Stefanie Duckstein, Rainer Sollich, Katrin Ogunsade
Redaktion: Daniel Scheschkewitz

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