Dresden: Triumph der Friedliebenden
13. Februar 2015Dresden leuchtet. Als morgens die Sonne aufgeht, ist keine Wolke zu sehen. Vor 70 Jahren, am 13. Februar 1945, war das anders. Der Himmel grau, die Menschen kriegsmüde. Immerhin war ihre Stadt, diese barocke Schönheit an der Elbe, bislang von Bombenangriffen verschont geblieben. Aber als sich der Tag seinem Ende zuneigte, ist Dresden eine Trümmerlandschaft. Britische und amerikanische Bomber hatten ihre erste todbringende Ladung abgeworfen. Mehr als 20.000 Menschen starben in dem mehrtägigen Feuersturm. Wer sich heute die Bilder der Zerstörung ansieht, kann kaum glauben, dass Dresden auferstanden ist aus Ruinen.
Natürlich hat die Stadt viele Narben. Die sieht und spürt man auf drastische Weise schon bei der Ankunft am wieder aufgebauten Hauptbahnhof. Der Weg durch die Fußgängerzone der Prager Straße zur Frauenkirche am Neumarkt ist wie eine architektonische Zeitreise. Sie beginnt mit seelenlosen sozialistischen Zweckbauten und endet mit der atemberaubenden Pracht der Brühlschen Terrassen aus dem 16. Jahrhundert. Dahinter liegt die Elbe ruhig in ihrem Flussbett. An beiden Uferseiten reichen sich am Ende eines langen Gedenktages Tausende Menschen zwischen Augustus- und Carolabrücke die Hände. Mittendrin Bundespräsident Joachim Gauck.
Die Oberbürgermeisterin preist religiöse und kulturelle Vielfalt
Die Dresdner zeigen der Welt in diesen Stunden, wie tolerant ihre Stadt sein kann und mehrheitlich sein will. In den vergangenen Jahren stellten sie sich marschierenden Neo-Nazis in den Weg. Der Gegenprotest wirkte, dieses Mal haben Rechtsextremisten erst gar keine Demonstration angemeldet. Und trotzdem liegt ein Schatten über der Stadt. Seit Monaten gehen die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) auf die Straße. Vor der Semperoper machen sie Stimmung gegen andere Religionen und Kulturen. Aber auch dagegen wehren sich immer mehr Menschen.
An der Spitze der Bewegung steht Oberbürgermeisterin Helma Orosz. In ihrer Gedenkrede anlässlich der Zerstörung Dresdens vor 70 Jahren preist sie Vielfalt als "gesellschaftlichen wie kulturellen Reichtum". Doch die Ereignisse der vergangenen Wochen hätten gezeigt, dass es in der Gesellschaft "scheinbar tiefe Gräben" gibt. Eine andere Religion werde als Bedrohung wahrgenommen. Orosz spricht viel von Verantwortung. Dazu gehöre, "dass wir klaren Widerstand leisten", wenn Rassismus und Gewalt propagiert würden. Die Oberbürgermeisterin sagt aber auch, "dass wir unsere Überzeugungen und Werte erklären und dass wir bereit sind, mit denen zu reden, die Zweifel haben".
"Diese Kerze steht für Frieden und Versöhnung"
Auch der Bundespräsident schlägt nachdenkliche Töne an, lässt die "Pegida"-Proteste allerdings unerwähnt. Zehntausende Dresdener würden sich dagegen wehren, dass das Gedenken an den 13. Februar 1945 "hauptsächlich von rechts, manchmal auch von links außen" missbraucht werden soll. Gauck erinnert an die vielen zerstörten Städte im Zweiten Weltkrieg. Beispielhaft nennt er Wieluń in Polen, Rotterdam, Belgrad, London, Leningrad und Coventry. Dann erwähnt er deutsche Städte: Dresden natürlich, Hamburg, aber auch Kassel, Darmstadt, Essen, Lübeck, Berlin, Würzburg, Pforzheim und das heute zu Polen gehörende Ostseebad Swinemünde. Gauck betont: "Wir wissen, wer den mörderischen Krieg begonnen hat."
Unter den Zuhörern in der Frauenkirche sind neben Überlebenden des Infernos Gäste aus den Dresdner Partnerstädten Coventry, Breslau, Ostrau und St. Petersburg. Zu Beginn der Gedenkzeremonie entzündet jeder eine Kerze. "Diese Kerze steht für Frieden und Versöhnung", sagen die vier in ihrer jeweiligen Landessprache. Bundespräsident Gauck knüpft an diesen Gedanken an. Der Mensch sei ein Wesen, das trotz vielfältigen Scheiterns, trotz zerstörerischer Potentiale aus aufrichtiger und respektvoller Erinnerung heraus zu Großem fähig sei: "zu menschlichem Miteinander, zur Verständigung und zum Frieden".
Menschenkette unterm Polarstern
Als kleines Glied in der kilometerlangen Menschenkette steht Gauck eine Stunde später auf der Brühlschen Terrasse. Rechts von ihm befindet sich das trotz Kriegsschäden erhalten gebliebene Gebäude der Hochschule für Bildende Künste. Die an vielen Stellen rußgeschwärzte Sandstein-Fassade ist ein stummer Zeuge der Feuersbrünste vor 70 Jahren. Hier kann jeder erahnen, was sich am Dienstag, den 13. Februar 1945, ereignet hat. Es war mit Gaucks Worten der Tag gewesen, "der sich eingebrannt hat in das Gedächtnis eines jeden Dresdeners, der die folgende Nacht überleben konnte". Es war ein wintertrüber Tag. Dieses Mal ist der Himmel auch nachts wolkenfrei. Und als sich die Menschenkette an der Elbe schließt und die Glocken der Frauenkirche zehn Minuten lang läuten, ist der Polarstern zu sehen. Dresden leuchtet.