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Drogenhandel: Deutschland droht eine "Kokain-Schwemme"

26. April 2025

Kokain, einst ein Statussymbol der Oberschicht, wird zunehmend zur Trenddroge in Deutschland. Europa hat die USA als Ziel des Drogenhandels mittlerweile abgelöst.

Messerspitze mit weißem Pulver, was Kokain ist
Das "weiße Gift" Kokain flutet zunehmend den deutschen MarktBild: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

Wenn der Präsident des mächtigen Bundeskriminalamtes (BKA) Alarm schlägt, dann ist das ernst zu nehmen. Holger Münch ist Präsident dieses BKA, der Zentralstelle der deutschen Kriminalpolizei. In einem Interview des Redaktionsnetzwerks Deutschland warnt Münch vor einer Verbreitung harter Drogen in Deutschland.

Es gebe auf dem Drogenmarkt eine "Kokain-Schwemme". Das Rauschmittel verbreite sich "in Deutschland sehr stark", weil der Markt in Nordamerika gesättigt sei und sich der Drogenhandel "stärker auf Europa konzentriert".

Kokain galt bislang als Luxusdroge. Das scheint sich zu ändern. Die süchtig machende Droge wird aus der Kokapflanze hergestellt. Verkauft wird es als weißes Pulver, das durch die Nase eingezogen wird.

BKA-Präsident Holger Münch warnt eindringlich vor der Verbreitung von Kokain in DeutschlandBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, zeigt sich besorgt. Schriftlich antwortet er auf Anfrage der DW: "Wir leben in unsicheren Zeiten, in diesen greifen Menschen auch vermehrt zu Drogen. Kokain konsumieren mehr als doppelt so viele Menschen wie noch vor wenigen Jahren. Damit ist Kokain die klare Nummer eins der illegalen Drogen in Deutschland."

Die Zahlen geben beiden Experten recht. Die Gesamtmenge des im Jahr 2023 in Deutschland beschlagnahmten Kokains belief sich dem Lagebericht des Bundeskriminalamtes (BKA) zufolge auf eine Rekordmenge von 43 Tonnen. Das war mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Der Zoll meldet ebenfalls einen rapiden Anstieg bei der Sicherstellung von Kokain – von 21.549 Kilogramm im Jahr 2021 auf fast 40.000 Kilogramm im Jahr 2023: nahezu eine Verdoppelung.

Heroinkonsum nimmt wegen Taliban in Afghanistan ab

Als einen der Gründe für die gestiegene Verbreitung von Kokain führt BKA-Chef Münch an, dass sich der Markt für Heroin drastisch verändert habe, "weil die Taliban den Anbau von Opium in Afghanistan unterbunden haben". Dadurch sei eine "Verknappung" von Heroin eingetreten, so Münch weiter.

Heroin ist ein sogenanntes halbsynthetisches Opiod, was eine chemische Verwandtschaft zum in der Medizin gängigen Morphium hat. Der Grundstoff für Heroin stammte häufig aus Afghanistan. Noch 2022 entsprach der Schlafmohnanbau einem Drittel des Gesamtwerts der landwirtschaftlichen Produktion Afghanistans.

Afghanistan: Das Geschäft mit Opium

03:07

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Seitdem die dort herrschenden Taliban im April 2022 den Anbau von Schlafmohn unterbunden haben, ist laut Angaben der Vereinten Nationen die Opiumproduktion drastisch eingebrochen. Das für Drogenhandel zuständige UN-Gremium meldet einen Rückgang um 95 Prozent. Die Bedeutung von Opium und dem daraus hergestellten Heroin hat deswegen auch in Deutschland drastisch abgenommen.

Der Reiz des Verbotenen – Kokain statt Haschisch?

Die letzte Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hatte sich auf eine teilweise Legalisierung von Cannabis geeinigt. Seit April 2024 ist der kontrollierte Anbau zum privaten Gebrauch in Anbau-Vereinigungen generell erlaubt. Erwachsene dürfen bis zu 25 Gramm Cannabis in der Öffentlichkeit bei sich haben.

Teillegalisiert in Deutschland: CannabisBild: Georg Wendt/dpa/picture alliance

Der Reiz des Verbotenen sei damit verschwunden, vermutet Jörn Memenga vom Bund Deutscher Kriminalbeamter im Gespräch mit der DW. Möglicherweise sei Kokain heute keine "Luxusdroge" mehr, "sondern eher eine Massendroge".

Hinzu komme, so Memenga: "Einen Joint kann man nun öffentlich rauchen, ohne dass es Ärger gibt. Daher könnte der Konsum von Kokain ein neuer Reiz sein, so etwas auch einmal auszuprobieren. Wenn eine Linie Kokain nur noch fünf Euro kostet, ist es für viele außerdem erschwinglich geworden."

Wie Europa zu einem Hotspot für Kokain wurde

14:31

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Ein Gramm Kokain kostet für Endkonsumenten circa 50 bis 80 Euro. Daraus kann man rund 15 Portionen herstellen. Eine sogenannte Linie wird so zum billigen Kick und kostet nur rund fünf Euro, so viel wie ein Glas Wein in einer Kneipe. 

Häfen als Dreh- und Angelpunkt des Kokain-Schmuggels

Im Jahr 2023 gelang deutschen Ermittlern der bislang größte Schlag gegen den Kokainhandel in der Bundesrepublik. Ermittler fingen im Zuge eines umfangreichen Ermittlungsverfahrens insgesamt 35,5 Tonnen im Straßenverkaufswert von etwa 2,6 Milliarden Euro im Hafen von Hamburg ab.

Sichergestelltes Kokain in Hamburg (1.2.2024) - das Rauschgift war in Bananenkisten verstecktBild: Zollfahndungsamt Frankfurt/Main/dpa/picture alliance

Die Nordseehäfen Hamburg, Rotterdam (Niederlande) oder Antwerpen (Belgien) sind längst Dreh- und Angelpunkte des Schmuggels geworden. Ausgelöst wurden die Ermittlungen in Hamburg durch Hinweise von kolumbianischen Behörden. Dort werden die Anbauflächen für den Kokainrohstoff immer größer.

Drogendrehkreuz Ecuador

Oft kommen die Schiffe mit dem Kokain allerdings aus der Hafen-Metropole Guayaquil in Ecuador. Das einst sichere Land ist binnen weniger Jahre zum Drehkreuz des internationalen Drogenhandels geworden. Und gleichzeitig zu einem der gefährlichsten Staaten Lateinamerikas, allein 2025 gab es 750 Morde.

Die Sicherheitsexpertin Carla Álvarez vom „Instituto de Altos Estudios Nacionales" in Quito sagt der DW: "Ecuador liegt genau zwischen dem weltweiten Produzenten Nummer Eins von Kokain, Kolumbien, und der Nummer Zwei und Drei, Peru und Bolivien. Und Guayaquil ist mit seinem Hafen, seiner Logistik und seiner Infrastruktur der ideale Drogenumschlagplatz. Zudem ist die Amazonasregion zur Grenze nach Peru ein riesiges Einfallstor mit sehr wenigen Kontrollpunkten."

Verpackung von Bananen in Ecuador - oft wird in den Kisten Kokain geschmuggeltBild: David Diaz/dpa/picture-alliance

Wenn jede Woche mehr als 2000 Container von Ecuador aus Kurs auf Europa nehmen, fährt oft Kokain mit – meist versteckt zwischen Bananenstauden. Ecuador ist einer der größten Exporteure von Südfrüchten weltweit. Dazu braucht es ständig neue Routen, eine Vielzahl an Personal und immer kreativere Ideen, um das "weiße Gold" zu den europäischen Konsumenten zu transportieren, erzählt Álvarez.

"Manchmal sind die Frachtschiffe schon auf See, und die Drogenschmuggler fahren mit Schnellbooten hinterher, um das Kokain auf dem Frachter zu deponieren. Es sind unheimlich viele Menschen in den Drogenhandel involviert. Von den Fahrern aus den Koka-Anbaugebieten bis hin zu den bestochenen Beamten und Kontrolleuren am Hafen, die das Kokain in die Bananenkisten stecken."

„Solange die Nachfrage aus Europa so hoch ist, wird der Drogenhandel nicht zurückgehen" - Carla ÁlvarezBild: Privat

Machtlos im Kampf gegen die Drogenkartelle?

Nach Erkenntnissen des UN-Büros für Drogen- und Verbrechen (UNODC) schätzen lateinamerikanische Drogenproduzenten und Händler das Risiko, in Europa erwischt zu werden, als relativ gering ein. Die Strafverfolgung funktioniere nicht so gut wie beispielsweise in den USA.

Immer wieder gelänge es den Dealern auch – so der aktuelle Bericht des UN-Büros – Hafenpersonal zu korrumpieren. Nicht nur das: In Deutschland steht seit dieser Woche sogar ein Staatsanwalt vor dem Landgericht von Hannover. Gegen Geld soll er jahrelang Ermittlungsergebnisse an eine Drogenbande verraten haben.

Die belgischen und niederländischen Anti-Drogen-Behörden haben im Kampf gegen Drogenhandel in den vergangenen Jahren drastisch Personal und Material aufgestockt. Deutschland hinkt bei der Zoll- und Polizeiausstattung hinterher. Die Zahl der Drogentoten steigt indes seit Jahren an, 2023 haben die Behörden 2227 Tote registriert.

Burkhard Blienert, Sucht- und Drogenbeauftragter der BundesregierungBild: Thomas Ecke

Den Sucht- und Drogenbeauftragten Burkhard Blienert lässt das beim Kampf gegen den Drogenhandel verzweifeln: "Diese Herausforderungen werden allein mit polizeilichen Mitteln und Strafen nicht in den Griff zu bekommen sein. Hier braucht es ein konzertiertes Vorgehen von allen Akteuren und Institutionen im System: von Prävention und Hilfen bis hin zu strikter Bekämpfung der Drogenkriminalität."

 

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