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Politik

Drogenpolitik: Mehr Gesundheit, weniger Strafe

12. März 2022

In Wien tagt ab Montag die Suchtstoffkommission der UN. Deutschland will sich dort für alternative Entwicklung einsetzen, für Menschenrechte - und gegen moralisierende Repression.

Afghanistan | Opium-Anbau in der Jalalabad Provinz
Einkommen, wo sich sonst nichts verdienen lässt: Opiumanbau in AfghanistanBild: Rahmat Gul/AP/picture alliance

Die Zahlen sind so gigantisch wie das Problem, das sie abbilden: 2020 haben laut den Vereinten Nationen 275 Millionen Menschen Drogen verwendet. Das sind 22% mehr als noch zehn Jahre zuvor. Genauso kennen auch die Zahlen für beschlagnahmtes Kokain, Cannabis, Heroin nur eine Richtung: nach oben. Bei Kokain allein hat sich die in Europa beschlagnahmte Menge in der letzten Dekade mehr als verdoppelt. Der Trend wird voraussichtlich anhalten. Bis 2030, so sagen die Autoren des jüngsten World Drug Reports voraus, werden noch einmal 11% mehr Menschen zu Drogen greifen; in Afrika sollen es sogar 40% mehr sein – mit allen damit einhergehenden gesundheitlichen und sozialen Folgen.  

Die Milliardensummen für die Durchsetzung von Drogengesetzen hätten den Markt nicht verkleinert, geschweige denn ausgetrocknet, konstatiert Ann Fordham im DW-Interview. Im Gegenteil, führt die Direktorin des internationalen NGO-Dachverbands International Drug Policy Consortium, IDPC, weiter aus: Die Drogenbekämpfung habe zu massiven Menschenrechtsverletzungen geführt, wie etwa auf den Philippinen, wo es massenweise außergerichtliche Tötungen gibt. Fordhams bittere Bilanz: "Die Schäden der repressiven Drogenpolitik sind weit schwerwiegender als die durch die Drogen selbst."

Modell Repression: In China verbrennen Polizisten öffentlich DrogenBild: Reuters

Ann Fordham wird mit dabei sein, wenn in Wien ab Montag die Suchtstoffkommission der Vereinten Nationen (Commission on Narcotic Drugs, CND) zu ihrer Jahrestagung zusammenkommt. Über 1000 Expertinnen und Experten aus aller Welt diskutieren dort vier Tage lang über aktuelle Entwicklungen in der internationalen Drogenpolitik.

Auftritt des neuen Drogenbeauftragten

Dieser Austausch ist dem neuen Sucht- und Drogenbeauftragten der Bundesregierung so wichtig, dass Burkhard Blienert alle vier Konferenztage vor Ort sein will. Im DW-Interview stellt der SPD-Politiker klar, er wolle in Wien die Position Deutschlands deutlich machen, "dass wir Sucht als Krankheit betrachten. Wir betonen ganz stark den gesundheitspolitischen Aspekt: Mir geht es um Harm Reduction." Um Schadensbegrenzung also. Wie wichtig das ist, zeigt ein Blick auf die UN-Zahlen: Jährlich sterben weltweit mehr als eine halbe Million Menschen im Zusammenhang mit Drogennutzung. Alle 54 Sekunden ereignet sich so ein meist vermeidbarer Tod.

Deutschlands neuer Sucht- und Drogenbeauftragter Burkhard BlienertBild: Thomas Ecke

Der zweite Aspekt, der Burkhard Blienert wichtig ist: "Wie kriegen wir in den Drogenanbauländern alternative Entwicklungen mit dem entsprechenden Elan auch umgesetzt. Wir wissen zum Beispiel, dass durch den Drogenanbau der Entwaldungsprozess beschleunigt wird. Aber durch alternative Entwicklungen können neue Perspektiven geschaffen werden". Den Kleinbauern sollen legale Einkommensmöglichkeiten geboten werden. Kaffee statt Koka könnte man das auf eine Formel bringen. 

Dazu hat Deutschland gemeinsam mit Thailand und Peru eine Resolution eingebracht. "Förderung der alternativen Entwicklung als entwicklungsorientierte Drogenbekämpfungsstrategie, einschließlich Maßnahmen zum Schutz der Umwelt" ist das fünfseitige Papier überschrieben.

Nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz

In den Anden sei der Anbau von Koka für viele Bauern fast die einzige Möglichkeit zu überleben, erklärt IDPC-Direktorin Fordham. "Denn sie leben an Orten, an denen kaum andere Pflanzen wachsen und wo es keine Infrastruktur gibt. Für die Bauern ist es kein sehr lukratives Geschäft, aber sie können damit ihren Lebensunterhalt sichern." Deutschland habe eine wichtige Rolle dabei gespielt, jetzt den Blick auf die Bauern zu richten, die illegale Pflanzen anbauen – und darauf, wie sie im Rahmen des Drogenkontrollsystems behandelt werden sollten, sagt Fordham anerkennend. "Jahrzehntelang wurden sie als Kriminelle betrachtet, die für ihre Beteiligung am Anbau von Pflanzen bestraft werden sollten."

In den Anbauregionen gehe es häufig nicht einmal um "alternative Entwicklung", sagt Fordham, es gehe überhaupt um Entwicklung. Und angesichts sowohl der großen Summen im Drogengeschäft als auch der komplexen Interessenlage macht sich auch der Drogenbeauftragte Blienert keine Illusionen: "Die Hindernisse auf dem Weg sind gravierend. Überwinden lassen sie sich nur durch Partnerschaftlichkeit, nicht durch Moralisieren".

Cannabis legalisieren

Die weltweit am stärksten verbreitete illegale Droge ist Cannabis. Die Zahl der Nutzer wird auf über 200 Millionen geschätzt. In vielen Staaten setzt man auf Legalisierung und Regulierung des Cannabismarktes. Auch die aktuelle Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag auf Seite 88 als Ziel festgehalten: "Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein." Das wird viele seiner Gesprächspartner in Wien interessieren, erwartet Drogenpolitiker Blienert. "Nicht nur hier in Deutschland, sondern eben auch international, gibt es ein großes Interesse daran zu erfahren: Wie ist denn die Position Deutschlands und was haben wir vor in Deutschland." Konkrete Einzelheiten der kommenden Legalisierung sind bislang allerdings noch nicht bekannt.

Weltweit kann man einen Trend in der Drogenpolitik beobachten. Fragen der Gesundheit, der Entwicklung und der Menschenrechte werden verstärkt in den Vordergrund stellt. So wie es die Ende 2020 noch unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft verabschiedete europäische Drogenstrategie tut. Und immer mehr Staaten entscheiden sich für eine Dekriminalisierung von Drogennutzern wie etwa Portugal oder folgen dem Beispiel Paraguays oder Kanadas und legalisieren Cannabis.

Bohren dicker Bretter

Aber in Wien sitzen auch Vertreter von Ländern mit am Tisch, die weiter auf Repression und Nulltoleranz setzen wie China, Russland, der Iran, Singapur oder auch die Philippinen. Länder, in denen zum Teil für Drogenvergehen die Todesstrafe nicht nur verhängt, sondern auch vollstreckt wird.

Protest gegen die Hinrichtung eines Heroinschmugglers in SingapurBild: Vincent Thian/AP Photo/picture alliance

Nach 60 Jahren eines vor allem auf Verboten und Verfolgung basierenden Drogenkontrollregimes weiß Burkhard Blienert, Drogenpolitik gleicht dem Bohren sehr dicker Bretter: "Man muss immer wieder ansprechen, dass Strafverfolgung nicht das alleinige Instrument in der Drogenpolitik sein kann; dass gesundheitspolitische Aspekte im Vordergrund stehen und Rationalität und Wissenschaftlichkeit die Debatte leiten sollten."

Albert Einstein wird eine Definition von Wahnsinn zugeschrieben, nämlich immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Die Ergebnisse von über 60 Jahren Verbotspolitik sollten genug Motivation für neue Wege sein.

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