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Droht noch mehr Instabilität, wenn UNRWA das Geld ausgeht?

Cathrin Schaer | Mohamad Chreyteh Beirut
24. Februar 2024

Das UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge steht unter Druck: Israel wirft UNRWA-Mitarbeitern eine Beteiligung am Terrorangriff vom 7. Oktober vor, mehrere Geberländer haben ihre Zahlungen daher zunächst ausgesetzt.

Das UNRWA-Hauptquartier in Gaza-Stadt
Das UNRWA erbringt Dienstleistungen für rund 5,9 Millionen Menschen palästinensischer HerkunftBild: Karam Hassan/Anadolu/picture alliance

Für diejenigen, die darauf angewiesen sind, sind die Folgen klar: "Gott bewahre, dass UNRWA zusammenbricht", sagt Sanaa Sarhal und meint damit das so genannte Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten. "Es wird zu Unruhen und Gewalt kommen", prophezeit sie. "Ein Zusammenbruch des UNRWA würde großen Schaden anrichten".

Sarhal ist nicht etwa in Gaza, wo derzeit der Krieg wütet. Die 43-Jährige lebt im Flüchtlingslager Beddawi im Nordlibanon, das 1955 eingerichtet wurde, um Palästinensern, die vor Krieg und Gewalt flohen, eine Unterkunft zu bieten. Sollte das UN-Hilfswerk jedoch gezwungen sein, seine Dienstleistungen für Palästinenser aufgrund von Anschuldigungen gegen seine Mitarbeiter in Gaza einzuschränken, werden die Auswirkungen auch dort zu spüren sein.

Im Januar teilte die israelische Regierung dem UNRWA mit, dass zwölf der rund 13.000 Mitarbeiter im Gazastreifen wahrscheinlich an dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober beteiligt gewesen seien. Daraufhin hat das Hilfswerk diese Mitarbeiter entlassen und führt seither eine Untersuchung durch. Israel hatte das Hilfswerk bereits in der Vergangenheit regelmäßig kritisiert und ihm anti-israelische Tendenzen vorgeworfen.

Keine unabhängige Überprüfung möglich?

Als Folge der Anschuldigungen stellten jedoch 16 Länder - darunter einige der größten UNRWA-Geber wie Deutschland, die Vereinigten Staaten und die Europäische Union - die Finanzierung des UN-Hilfswerks ein, das von freiwilligen Spenden der UN-Mitgliedstaaten lebt.

Internationale Medien wie Associated Press, The Guardian, CNN und The Washington Post, die Einblick in das entsprechende israelische Dossier über die UNRWA-Angestellten erhalten haben, kamen allerdings zu dem Schluss, dass die israelischen Behauptungen bisher nicht unabhängig überprüft werden konnten.

Seitdem steht vor allem die Frage im Mittelpunkt, wie sich die Finanzierungskrise des Hilfswerks auf die bereits prekäre humanitäre Lage im Gazastreifen auswirken könnte. Etwa 40 Prozent des UNRWA-Budgets werden für die zwei Millionen registrierten Palästinenser im Gazastreifen ausgegeben.

Der Rest wird in anderen Ländern mit großen palästinensischen Bevölkerungsgruppen eingesetzt: Libanon, Jordanien, Syrien sowie im besetzten Westjordanland.

Inoffizieller Ersatz für den Staat

UNRWA sei "am besten als inoffizieller Ersatz für den [Sozial-]Staat" zu verstehen - und damit wichtig für alle Palästinenser, die sonst keinen Staat hätten, erklärte Daniel Forti, UN-Experte bei der in Brüssel ansässigen Denkfabrik International Crisis Groupin einem Briefing diesen Monat. "UNRWA bietet Grund- und Sekundarschulbildung sowie Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung und Hilfsdienste. In einigen Fällen springt es zudem für Aufnahmeländer ein, die den palästinensischen Flüchtlingen keine nationalen Gesundheitsdienste oder Bildungsangebote zur Verfügung stellen“, sagte er. 

Tatsächlich werden den palästinensischen Flüchtlingen in arabischen Ländern oftmals keine vollen Bürgerrechte gewährt mit der Begründung, Flucht oder Vertreibung aus ihren Herkunftsgebieten nicht im Nachhinein anerkennen zu wollen. Eine Integration war in Ländern wie Syrien oder Libanon ausdrücklich nie erwünscht. Hinzu kommt: "UNRWA hat auch einen wichtigen symbolischen Wert für die Palästinenser, die das Hilfswerk als eine der letzten Zusicherungen der internationalen Gemeinschaft für eine gerechte und dauerhafte Lösung im Konflikt betrachten", so ein Sprecher des Hilfswerks in einer E-Mail an die DW.

Außerhalb des Gazastreifens versorgt das UNRWA weitere vier Millionen Menschen und betreibt über 400 Schulen und mehr als 120 Einrichtungen zur medizinischen Grundversorgung.Bild: Adel Hana/AP Photo/picture alliance

Dies ist auch ein Grund, warum UNRWA schon vor dem 7. Oktober von Israel abgelehnt wurde. "Ein Großteil der politischen Klasse Israels lehnt UNRWA gerade wegen seines symbolischen Wertes für die Palästinenser ab", so Forti weiter. "Sie argumentieren, dass jede Einrichtung, die für die Wahrung des Rückkehrrechts der Palästinenser eintritt, die Existenz des israelischen Staates direkt bedroht."

Probleme beginnen ab März

Schätzungen zufolge könnte das UN-Hilfswerk, das über keine strategische Reserve für Notfälle verfügt, ab Ende März die Auswirkungen der Finanzierungsengpässe zu spüren bekommen. "Es wird eine Art Reihenfolge geben, die zeigt, wie drastisch die Folgen [eines Zusammenbruchs des UNRWA] sein könnten", sagt Jorgen Jensehaugen, leitender Forscher am norwegischen Friedensforschungsinstitut Oslo. Zuerst würde es den Gazastreifen treffen, dann den Libanon und Syrien, dann das Westjordanland und schließlich Jordanien.

"Die Auswirkungen werden im Libanon am stärksten zu spüren sein, da dieser sich bereits am wirtschaftlichen Abgrund befindet", meint Joost Hiltermann, Leiter des Nahost- und Nordafrika-Programms der International Crisis Group. "Der libanesische Staat ist nicht in der Lage, die zusätzliche Belastung durch die Versorgung der palästinensischen Flüchtlinge zu bewältigen.“ Das Gleiche gelte für Syrien. Im Vergleich dazu verfüge immerhin Jordanien über diese Kapazitäten.

"Keine Schulen, keine Gesundheitsversorgung"

Im Libanon würde die Infrastruktur in den seit langem bestehenden palästinensischen Flüchtlingslagern, über die der libanesische Staat ohnehin kaum Kontrolle hat, einfach zusammenbrechen, prophezeit Jensehaugen. 

"Also keine Schulen, keine Gesundheitsversorgung, keine Sozialleistungen für die Bedürftigen", fasst Experte Hiltermann zusammen. "Wenn man das im Kontext eines kollabierenden Staates betrachtet, hat es auch Auswirkungen außerhalb der Lager: Die Menschen müssen dann woanders hingehen, um sich zu versorgen.“

Das würde die lokale Gesellschaft extrem belasten. Neben Demonstrationen oder Unruhen in den Lagern oder weiteren Konflikten könnte es auch dazu kommen, dass sich mehr Menschen kriminellen Banden oder militanten Gruppen anschließen - allein schon wegen des Gehalts, das diese Gruppen zahlten, so Jensehaugen. 

Das Jerash Camp in Jordanien. UNRWA beschäftigt fast 7000 Mitarbeiter in dem Land. Der Verlust von Arbeitsplätzen hätte erhebliche Auswirkungen.Bild: Laith Al-jnaidi/Anadolu/picture alliance

In Jordanien sei die Situation etwas besser, da der Staat möglicherweise einige der UNRWA-Dienste ersetzen könnte. Aufgrund der Empfindlichkeiten im Zusammenhang mit UNRWA könnte dies die jordanische Führung möglicherweise aber nicht wollen, so die Analysten. Wie andere arabische Staaten möchte auch Jordanien nicht als Vollstrecker oder Unterstützer von Aktionen gesehen werden, die als Angriffe auf die palästinensische Sache verstanden werden könnten.

UNRWA als Stabilitätsgarant?

Im Falle einer massiven Finanzmittelkürzung dürften die wirtschaftlichen Auswirkungen zwar von Land zu Land unterschiedlich sein, meint Hiltermann. In Anbetracht eines "sehr unbeständigen Umfelds für die Flüchtlinge" dürften die politischen Auswirkungen im Westjordanland jedoch am schlimmsten sein, prophezeit er. Es gebe einen Grund dafür, dass es - im Gegensatz zur Regierung - innerhalb des israelischen Militärs Stimmen dafür gebe, das UNRWA weiterhin voll finanziert und aktiv bleiben solle.

Als Jensehaugen und seine Forscherkollegen für eine Studie aus dem Jahr 2022 die Geberländer zu den Finanzierungsproblemen des UNRWA befragten, stellten sie fest, dass das so genannte "Stabilitätsargument" ein Hauptmotivator der Geberländer war, weiterhin Beiträge zu zahlen. 

Düstere Prognosen

Jensehaugen spricht sich deshalb klar für den Fortbestand von UNRWA aus. "Die Finanzierung des UNRWA ist ein preiswerter Weg, um die Stabilität in der Region zu sichern, denn sie bedeutet, dass Hunderttausende von Kindern eine Schulbildung erhalten." Armut und mangelnde Bildung hingegen führten nachweislich zu Extremismus und Kriminalität.

Beobachtern zufolge befürchten beispielsweise europäische Regierungen, dass ein Scheitern oder eine faktische Bankrotterklärung von UNRWA zu mehr Flucht und Migration aus dem Libanon und Jordanien führen könnte. "Der Zusammenbruch von UNRWA wäre für die lokale Stabilität an jedem Ort gefährlich", meint auch Joost Hiltermann von der International Crisis Group. "Aber wenn er mit einem anhaltenden Krieg im Gazastreifen oder sogar mit einer Massenvertreibung von Palästinensern aus dem Gazastreifen nach Ägypten einhergehen würde, dann ist alles möglich. Das könnte eine Eskalation der Angriffe von Israels Feinden in der Region nach sich ziehen.“ 

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

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