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Gesellschaft

"Der Name NSU 2.0 ist nicht zufällig gewählt"

19. Dezember 2018

Mehrere deutsche Anwälte mit Migrationsgeschichte haben Drohmails erhalten, auch Mustafa Kaplan. Die Staatsanwaltschaft muss prüfen, ob sie mit den Frankfurter Fällen zusammenhängen, sagt der Anwalt im DW-Gespräch.

Deutschland Erdogans Anwalt Mustafa Kaplan über Böhmermann-Prozess
Mustafa KaplanBild: DW/T. Yildirim

Die Kölner Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, die Nebenklägerin im Prozess gegen den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) war, erhielt Anfang August ein Fax, in dem ihre zweijährige Tochter mit dem Tode bedroht wird. Die anonymen Absender nannten sich "NSU 2.0". Die Ermittlungen richten sich gegen ein mutmaßlich rechtsextremes Netzwerk in der Frankfurter Polizei. Eine ähnliche Drohung erhielt der Kölner Anwalt, Mustafa Kaplan. Auch er hat NSU-Opfer vertreten. 

Deutsche Welle: Herr Kaplan, was stand in der Mail?

Mustafa Kaplan: Die Mail habe ich am vergangenen Sonntag um 6 Uhr morgens erhalten. Es handelte sich um einen Verteiler, ich war einer der Empfänger. Außer mir erhielten die Mail noch acht bis zehn weitere Rechtsanwälte, Vertreter von Medien, aber auch Polizeibehörden. In der Überschrift hieß es "NSU 2.0". Es ging darum, dass dem Verfasser dieser Mail die Ermittlungsbehörden nichts anhaben können, weil in den Ermittlungsbehörden alle Dilettanten seien. Es wird auch Bezug genommen auf den Fall in Frankfurt mit der Rechtsanwältin Basay-Yildiz. In dem Zusammenhang wird beschrieben, dass den Empfängern dieser Mail der gleiche Schaden zugefügt werde wie Basay-Yildiz.

Die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz brachte den Frankfurter Fall in die Öffentlichkeit Bild: DW/F. Hofmann

Explizit ist die Rede von Kindesentführung, von Kindesvergewaltigung, von Kinderschändung, von "Entsorgung" dieser Kinder, von Brandstiftung, von Mord. Gleichzeitig hieß es, dass eine Geldforderung erhoben wird - genannt ist ein Betrag von zehn Millionen Euro in der Bitcoin-Währung. Das ist alles ein bisschen wirr, beunruhigend und aggressiv. Ich habe am Montagmorgen bei der Staatsanwaltschaft Köln Strafanzeige erstattet. Wir werden sehen, was die Ermittlungen bringen werden.

Das ist nicht die erste beleidigende Post, die sie bekommen. Sie haben den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan im Streit um das Schmähgedicht des Fernsehmoderators Jan Böhmermann vertreten, waren Anwalt von NSU-Opfern und haben viele böse Briefe erhalten. Was war diesmal anders?

Ja, das ist leider in den letzten Jahren zur Gewohnheit geworden. Es gibt Leute, denen es nicht gefällt, dass Rechtsanwaltschaft Kaplan, bestimmte Mandanten vertritt, und dieses kundtun möchten. Ich habe das in der Vergangenheit als Meinungsäußerung verbucht und darin keinen strafrechtlich relevanten Inhalt gesehen. Jeder hat das Recht, seine Meinung zu äußern, solange eine bestimmte Grenze nicht überschritten ist.

Die Mail, die ich am Sonntag erhalten habe, hat aus meiner Sicht die Grenze ganz klar und deutlich überschritten. Ich sehe darin ein strafrechtlich relevantes Vorgehen. Das ist der Grund, warum ich das in die Hände der Ermittlungsbehörden gegeben habe, sie müssen die Ermittlungen aufnehmen. Gleichzeitig muss geprüft werden, ob es da einen Zusammenhang zum Fall in Frankfurt gibt, beziehungsweise irgendwelche Kontakte zwischen den Personen. Das muss man überprüfen. Das muss in die Hände der Profis gegeben werden. 

Sie haben von mehreren Empfängern gesprochen, auch von mehreren Rechtsanwälten. Gibt es einen gemeinsamen Nenner bei diesen Empfängern?

Ich kenne aus diesem Verteiler zwei, drei Rechtsanwälte, die anderen kenne ich nicht. Ich habe mit diesen Kollegen und Kolleginnen hin und wieder mal zusammengearbeitet. Wenn man einen Zusammenhang sehen möchte: alle Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die sich in diesem Verteiler befinden, haben überwiegend Mandate und  Mandanten mit Migrationshintergrund. Man muss sich ja schon die Frage stellen: Es gibt in Deutschland mehrere Zehntausend Rechtsanwälte und dass dann quasi eine Handvoll Rechtsanwälte ausgesucht werden und im Verteiler einer solche Hassmail stehen. Da hat sich ja jemand offensichtlich was dabei gedacht.

Das Schlimme ist, dass ich heute Morgen (Dienstag) eine weitere Mail bekommen habe und in diesem Verteiler bin ich der einzige Rechtsanwalt, die anderen Empfänger sind aus dem Bereich Medien zum Beispiel, aber auch weitere Personengruppen aus Polizeidienststellen. Auch in dieser Mail geht es darum, rechtsradikales Gedankengut und Terrorismus zu verbreiten. Diese Mail werde ich ebenfalls der Staatsanwaltschaft weiterleiten.

Proteste nach dem Urteil im NSU-Prozess, Juli 2018Bild: picture-alliance/dpa/L. Mirgeler

Als der NSU-Prozess nach fünf Jahren zu Ende ging, waren die Angehörigen der Opfer nicht unbedingt erleichtert. Große Teile des NSU-Komplexes seien nicht aufgeklärt. Können Sie sich vorstellen, dass der NSU-Komplex noch aktiv ist? Oder dass es tatsächlich eine Art NSU 2.0 gibt?

Ich möchte mich aber auch nicht an sinnlosen Spekulationen in irgendeiner Weise beteiligen. Ich möchte, dass ermittelt wird, was es mit den Hassmails auf sich hat. Haben sie mit dem Frankfurter Verfahren zu tun und gibt es da ein Netzwerk, das im Untergrund weiter arbeitet. Es scheint ja kein Zufall zu sein, dass man den Namen "NSU 2.0" gewählt hat.

Natürlich bin ich beunruhigt, dass es so etwas geben könnte. Und natürlich erhoffe ich mir, dass durch die Aufnahme der Ermittlungen Klarheit geschaffen wird. Auch die deutsche Öffentlichkeit will das doch wissen.

Das Interview führte Aydın Üstünel.

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