Keine Schulden ohne Sühne
31. August 2010Populisten könnten den EU-Rettungsschirm für Griechenland und den Euro-Raum missbrauchen, um daraus politisches Kapital zu schlagen, warnen Wirtschaftswissenschaftler. Die Schuldenkrise könnte zu einer Radikalisierung des Parteienspektrums führen, an dessen Ende sogar die Marxistin der Linken, Sarah Wagenknecht, Bundeskanzlerin werden und eine Wirtschaftsregierung einführen könnte. So sieht ein Szenario aus, das Kai Konrad, Direktor am Max-Planck-Institut für geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht in München, entwirft.
Dies sei zwar ein "Extremszenario", aber er halte es nicht für völlig abwegig, sagte Konrad. Die Entwicklungen in der europäischen Haushaltspolitik der letzten Monate hätten politisch enorme Sprengkraft. Deshalb bestünde die Gefahr, dass "ein wirklich cleverer politischer Unternehmer des linken oder rechten Spektrums daraus Kapital schlagen" könne. Bereits das Beispiel der Slowakei, die sich an dem Rettungsschirm nicht beteilige, zeigte, dass ein Slogan wie "Sparen für die Griechen - Nein danke" schnell Wählerstimmen mobilisieren könne.
Auch ein Staatsbankrott ist denkbar
Die Krise hat aber auch die betroffenen Regierungen und Gesellschaften wachgerüttelt. So würde die griechische Regierung derzeit Reformen mit einem Nachdruck vorantreiben, "wie wir das vorher kaum erwarten konnten", betont Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Dennoch: Griechenland sei überschuldet und könnte langfristig auf weitere Hilfen angewiesen sein. Auch die Möglichkeit einer Umschuldung sei noch nicht ausgeschlossen, so der Experte weiter.
Durch den Rettungsschirm habe die EU sich vor allem Zeit gekauft, aber noch keine strukturelle Stabilität geschaffen, warnt der Münchener Wissenschaftler Konrad. Wenn man diese Zeit einfach verstreichen ließe, ohne die europäischen Institutionen und das Finanzmarktumfeld wetterfest zu machen, stünde der Euroraum möglicherweise schon in drei Jahren vor der nächsten Krise. Dann könnte es sein, dass der Rettungschirm noch einmal ausgeweitet werden müsse und die EU zu einer Transferunion werde. Das könne "verhängnisvoll" sein.
Zwar habe die gemeinsame Intervention der Euro-Staaten bei der letzten Krise die Zinsen stabilisiert, aber jetzt komme es darauf an, die nötigen Reformen umzusetzen. Hierzu sei insbesondere auch ein Insolvenzmechanismus für Staaten gefordert, mit dem es überhaupt erst möglich wird, einen Staatsbankrott geordnet abzuwickeln.
Gläubiger müssen ihre Portfolios breiter aufstellen
Damit die Gläubiger solch einen Abschlag nach einer Insolvenz eines Schuldnerstaates überhaupt verkraften können, sei es auch nötig, dass diese ihre Portfolios ausreichend diversifizierten. Dies müssten schließlich auch Privatanleger tun, um Krisen finanziell zu überstehen. Deshalb sollten die Banken die jetzt gewonnene Zeit nutzen, um sich finanziell zu erholen, und die nötige Streuung der Anlagen umzusetzen, so Matthes.
Konrad verweist darauf, dass die EU-Staaten deswegen bereit waren, zu helfen, weil die verschiedenen Banken im Euroraum überdurchschnittlich große Portionen an Griechenland-Anleihen gehalten hatten. Einzelne deutsche Banken hätten sogar "mehr Griechenland-Anleihen als Eigenkapital" gehabt. Somit drohten diese, in den Strudel hineingerissen zu werden. Die Politik hätte vor diesem Hintergrund eine "Finanzmarkt-Kernschmelze" gefürchtet.
Vom Anlagevolumen wäre es überhaupt kein Problem die Finanzinstitutionen so aufzustellen, dass sie die Insolvenz eines Eurolandes verkraften können, so Konrad. Die Griechenland-Anleihen hätten einen Anteil des Weltkapital-Bestands von deutlich weniger als einem Prozent. Mehr sollten gesunde Finanzinstitutionen auch nicht an Anlagen eines einzelnen Landes halten, so dass eine Totalabschreibung diese Banken dann nicht an den Rand eines Ruins führen könne.
Wichtig sei jedoch, diesen Umbau der Finanzmärkte zügig voranzutreiben. "Das müssen wir in den nächsten drei Jahren schaffen, sonst ist es zu spät," warnt Konrad.
Autor: Fabian Schmidt
Redaktion: Julia Kuckelkorn