Druck auf Salafisten wächst
15. November 2016Monatelang haben deutsche Sicherheitsbehörden ermittelt, Material gesammelt und ausgewertet - dann haben sie schließlich zugeschlagen: Mit einer Großrazzia in zehn Bundesländern ging die Polizei am Dienstagmorgen gegen die Gruppierung "Die Wahre Religion" vor. 190 Objekte wurden nach Angaben der Behörden in mehr als 60 Städten untersucht und Propagandamaterial beschlagnahmt.
Noch am Vormittag ist Innenminister Thomas de Maizière vor die Presse getreten, um das Verbot der Gruppierung "Die Wahre Religion" zu verkünden. Der Grund: Sie sei Nährboden für die Radikalisierung von jungen Menschen.
Schlagzeilen hatte die Gruppe mit ihrer Aktion "Lies!" gemacht, bei der sie an Infoständen in Deutschland - und auch im europäischen Ausland - kostenlose Ausgaben des Koran verteilte. Bereits seit langer Zeit wird die salafistische Gruppe vom Verfassungsschutz beobachtet. Nun hatten die Behörden genug Beweise gesammelt, um das Vereinsverbot auszusprechen. "Das wurde langsam wirklich Zeit", sagt Thomas Mücke vom Violence Prevention Network, das mit radikalisierten Jugendlichen arbeitet. Er ist froh, dass endlich ausreichend Beweise gesammelt wurden, um ein Verbot aufrecht zu erhalten. Denn die Schwelle für solche Verbote ist in Deutschland hoch, da Vereinigungen in hohem Maße durch die Religions- und Versammlungsfreiheit geschützt sind.
Salafismus ist eine konservative Strömung des Islam, die sich auf den frühen Islam aus der Zeit des Propheten Mohammed beruft, spätere Interpretationen werden strikt abgelehnt. Viele Experten und auch der Verfassungsschutz stufen diese Auslegung als gefährlich ein.
140 Menschen sind ausgereist
Nun will der Verfassungsschutz nachgewiesen haben, dass Leute aus dem Umfeld der Gruppe von Ibrahim Abou Nagie nach Syrien und in den Irak gereist sind, um den militanten Dschihad zu unterstützen. Dabei sei es immer wieder zu "Ausreisewellen" gekommen. 140 junge Menschen seien bereits aus dem Umfeld der "Lies"-Aktion für den "Heiligen Krieg" rekrutiert worden, sagte de Maizière der Presse. "Die reisen nicht einfach so nach Syrien", erklärte eine Sprecherin des Innenministeriums der DW. Natürlich gebe es Verbindungen zur Terrormiliz "Islamischer Staat".
Der Kopf der Gruppe, Ibrahim Abou Nagie, hatte in seinen Videos immer wieder von "Kuffar" - also Ungläubigen - gesprochen und damit besonders jene gemeint, die die Demokratie akzeptieren und einer anderen Religion folgen als "der wahren Religion". Solche Botschaften fördern Abgrenzung und säen Hass in den Köpfen junger Menschen, sind sich Experten einig.
Das Verbot nannte de Maizière ein "klares Signal" im Kampf gegen islamistischen Terror: "Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie. Für radikale, gewaltbereite Islamisten ist kein Platz in unserer Gesellschaft." Anfang des Monats waren die Behörden bereits bundesweit gegen andere salafistische Gruppierungen vorgegangen. Das harte Vorgehen des Staates gegen diese Gruppen ist auch an Signal an die Menschen, die sich für diese Gruppen interessieren. Dennoch sei das Verbot nur ein Teil der Arbeit, sagt Thomas Mücke. Genauso wichtig seien Beratungs- und Deradikaliseriungsstellen.
Gegen Missbrauch von Religion
Das Verbot des Vereins ziele nicht auf die Ausübung des islamischen Glaubens, erklärte de Maizière ausdrücklich. Das Vorgehen der Sicherheitsbehörden richte sich vielmehr "gegen den Missbrauch der Religion. "Etliche Versuche der DW, führende Mitglieder der "Lies!"-Aktion und ihren Führungsfigur Ibrahim Abou Nagie zu erreichen, blieben unbeantwortet. In einem Interview mit der DW Ende 2014, hatte ein Mitglied allerdings bestätigt, dass Menschen aus dem Umfeld tatsächlich nach Syrien aufgebrochen waren. Lediglich über einen Twitter-Account, der der Gruppe zugeschrieben wird, kam schließlich eine Reaktion: "Der Koran wurde verboten in Deutschland", heißt es dort.