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Politik

"Dschihadisten keine Agitationsfläche bieten"

Matthias von Hein | Esther Felden
19. Februar 2019

Wenn gefangene IS-Anhänger zurück nach Deutschland kommen, dürfen Gefängnisse nicht zu Radikalisierungsorten werden. Doch das zu verhindern, erfordert große Anstrengungen, sagt Islamwissenschaftler Michael Kiefer.

Seelsorge im Gefängnis
Bild: picture-alliance/dpa/D. Naupold

Deutschland und Europa diskutieren über die Frage, ob man in kurdischen Gefangenenlagern einsitzende Mitglieder der Terrormiliz IS in ihre Heimatländer zurückholen müsste. Ein Tweet von US-Präsident Donald Trump vom Wochenende hatte das Thema in die Schlagzeilen gebracht. Viele der Rückkehrer werden in Gefängnissen landen. Die deutschen Behörden stehen dann vor der Herausforderung, zu verhindern, dass islamistische Extremisten aus Haftanstalten Brutstätten für neue Dschihadisten machen. Diese Gefahr sieht Islamwissenschaftler und Radikalisierungsexperte Michael Kiefer.

Deutsche Welle: Wenn man sich den islamistischen Terror der vergangenen Jahre in Europa anschaut, fällt auf: Viele der Attentäter haben sich in Gefängnissen radikalisiert. Sind aus Ihrer Sicht Gefängnisse potenzielle Orte von Radikalisierung?

Michael Kiefer: Angesichts der Erfahrungen die man in Westeuropa gemacht hat, kann man das nur bestätigen. Wenn wir uns die Leute anschauen, die am 13. November 2015 in Paris 130 Menschen getötet haben: Die waren mehrfach inhaftiert. Sie haben den Dschihadismus sozusagen im Gefängnis kennengelernt. Und sie haben dort ihre Gewalttätigkeit, ihre Delinquenz mit religiösen Motiven belegt und sind losmarschiert. Gefängnisse sind in dieser Hinsicht hoch problematische Institutionen.

Michael Kiefer forscht zu Salafismus und RadikalisierungBild: DW/M. von Hein

Der sogenannte "Islamische Staat" (IS) ist praktisch zerstört. Wir erwarten, dass einige hundert Menschen aus dem Gebiet des besiegten Terrorkalifats zurückkehren nach Deutschland. Viele werden in Gefängnissen landen. Könnten diese Leute Kristallisationspunkte sein von salafistischer oder dschihadistischer Radikalisierung im Gefängnis?

Mit Sicherheit! Wir müssen von der Annahme ausgehen dass auch einige sehr clevere Kader-Persönlichkeiten zurückkommen, die in ihren Ansichten noch sehr gefestigt sind. Da ist zu erwarten, dass sie mit ihrer Agitation in den Gefängnissen nicht aufhören werden. Sondern im Gegenteil: Sie werden das als einen sehr guten Nährboden betrachten und natürlich entsprechende Ansprachen bei Mitgefangenen versuchen. Die Justizbehörden sind hier gut beraten, wenn sie ihnen keine Agitationsfläche bieten.

In deutschen Gefängnissen sitzen viele Häftlinge mit muslimischem Hintergrund ein. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel sind das knapp ein Viertel der Gefangenen. Sind die Haftanstalten darauf eingestellt, der Radikalisierung entgegenzuwirken?

Ich würde das bezweifeln. Ich denke, dass auch in nordrhein-westfälischen Gefängnissen große Probleme bestehen. Denn wir müssen sehen: Es fehlt an  gut ausgebildeten Fachkräften - zum Beispiel Sozialarbeitern - die mit diesen Phänomenen vertraut sind und eine entsprechende Arbeit mit den Gefangenen machen könnten. Die sind nicht da. Die müssen tatsächlich noch ausgebildet werden. Immerhin hat Nordrhein-Westfalen das Problem erkannt. Man hat im Justizministerium ein entsprechendes Programm auf den Weg gebracht. Aber wie erfolgreich die arbeiten, das vermag ich nicht zu sagen.

Beim Kampf gegen den IS wurden auch viele deutsche Dschihadisten gefangen - die irgendwann in deutschen Gefängnissen landen könntenBild: Reuters/A. Rasheed

Für wie wichtig halten Sie die Rolle von Gefängnis-Imamen? Es hat sich ja gezeigt: Viele Leute, die sich salafistisch radikalisiert haben, sind zuvor religiöse Analphabeten gewesen. Können Gefängnis-Imame eine Rolle spielen, um Häftlinge mit gut fundierten religiösen Argumenten gegen dschihadistische Ideologie zu immunisieren?

Das kann durchaus sein. Eine gut gemachte Seelsorge in Gefängnissen kann immer Teil einer guten psychosozialen Versorgung von Menschen sein. Wir müssen davon ausgehen, dass Menschen in Haft schon die eine oder andere große Krise durchmachen. Wenn man hier Beistand und Unterstützung erfährt, kann das in der Tat eine immunisierende Wirkung haben. Denn wir müssen uns fragen: Warum sind Radikalisierer in Gefangenenhäusern erfolgreich? Weil sie den jungen Menschen, die da inhaftiert sind, Angebote machen, die die Justizvollzugsanstalt nicht macht. Das heißt: Sie geben ihnen Zuspruch, sie unterstützen sie, sie klopfen ihnen auf die Schulter, sie sagen 'Bei uns bist du richtig', und so weiter. Es gibt ja nicht nur Hilfen im Alltag, sondern darüber hinaus auch noch ein komplettes Identitäts-Modell. Ein neues Rollenverständnis wird ihnen nahegelegt und Kameradschaft, Unterstützung, auch über die Zeit der Gefangenschaft hinaus. Das ist nicht zu unterschätzen.

 

Der Islamwissenschaftler Michael Kiefer unterrichtet an der Universität Osnabrück. Zu seinen Forschungdschwerpunkten gehören Salafismus und Radikalisierungsprävention.

Die Fragen stellten Matthias von Hein und Esther Felden.