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Hordorff: "US-Open-Verträge fast schon sittenwidrig"

28. August 2020

Der Vizepräsident des Deutschen Tennis Bundes, Dirk Hordorff, kritisiert die US-Open-Veranstalter scharf. Zudem fordert er eine strikte Trennung zwischen Sport und Politik und mahnt Reformen im internationalen Tennis an.

Tennis Western Southern Open in New York
Bild: Reuters/USA TODAY Sports/R. Deutsch

DW: Herr Hordorff, das Masters in Cincinnati wird gerade in New York unter besonderen Corona-Bedingungen als Vorbereitung auf die US Open ausgetragen. Keine Zuschauer, die Spieler leben in einer Bubble. Wie nehmen Sie das Turnier wahr, trägt es zu einem Stück Normalität in der Tenniswelt bei? 

Dirk Hordorff: Es ist gut, dass Tennis wieder startet. Die Veranstalter haben sich sehr viel Mühe gemacht, um Einreisemöglichkeiten zu schaffen und für Sicherheit zu sorgen. Aber wir leben derzeit natürlich in einer anderen Welt, das merkt man in vielen Bereichen. In der aktuellen Lage in New York ist das Turnier wohl nicht anders darstellbar.  

Jetzt, kurz vor dem Start des Grand-Slam-Turniers, begehrt der amerikanische Sport gegen die neuerliche US-Polizeigewalt auf und hat kurzzeitig den Spielbetrieb eingestellt. Die Bewegung "Black Lives Matter" hat sich bis in den Sport hinein verankert. Glauben sie, das die US Open unter einem guten Stern stehen und das Turnier überhaupt stattfinden sollte? 

Ich habe kein Verständnis dafür, dass der amerikanische Tennisverband USTA, die WTA und die ATP zugestimmt haben, das Cincinnati-Turnier einen Tag lang pausieren zu lassen. In Amerika mögen verschiedene Teams protestieren, dazu möchte ich mich nicht äußern. Aber dass man bei einem internationalen Turnier eine solche Aktion durchführt, nur weil eine Spielerin (Naomi Osaka, Anmerk. d.Red.) nicht im Halbfinale antreten will, halte ich für einen katastrophalen Fehler. 

Weshalb? 

Wenn man dieses Szenario weiter denkt, stellt sich die Frage, wie wir die politische Lage in Belarus sehen? Wie sehen wir die Situation in Nordkorea oder im Iran? Wenn wir so weitermachen, können wir genug Gründe finden, dass wir in diesem und auch im nächsten Jahr kein Tennis mehr spielen. Ich finde das Verhalten des Turnierbetreibers, der ATP und der WTA, lächerlich und kann es weder nachvollziehen noch Sympathie für diese Aktion empfinden. Das ist ein inner-amerikanisches Thema, aber keines für ein internationales Turnier, an dem Spieler aus der ganzen Welt teilnehmen.    

Risiko auf die Spieler abgewälzt

DTB-Vizepräsident Dirk Hordorff wünscht sich schnelle Reformen im TennisBild: picture-alliance/dpa/C. Schmidt

Sie trainieren den Litauer Ricardas Berankis, der auch in Cincinnati mitgespielt hat. Die Spieler mussten alle in dasselbe Hotel und wohl auch unterschreiben, dass sie für mögliche körperliche Folgeschäden nach einer Corona-Erkrankung keine Rechtsansprüche an den Veranstalter stellen. Warum nehmen die Spieler dieses Risiko in den Corona-Hotspot New York zu reisen auf sich und akzeptieren diese Vorgaben?

Warum die ATP und die WTA, die ja für Vertretung der Spieler zuständig sind, das genehmigt haben, ist mir auch ein Rätsel. Wenn ich die Spieler vertreten würde, hätte ich den US Open gesagt, dass sie nicht einfach das Risiko auf die Spieler abwälzen können. Ein solcher Paragraph ist fast schon sittenwidrig. Aber diese Frage müssen die WTA und die ATP beantworten. 

Als wie hoch sehen Sie das Risiko einer möglichen Corona-Infektion an?

Ich würde sagen, dass die Corona-Hotspots derzeit woanders als in New York liegen und die Veranstalter sehr darum bemüht sind, ein Corona-freies und -sicheres Turnier zu gewährleisten. Deshalb ist das Risiko nicht als wahnsinnig hoch zu bewerten, zumal man ja überall ein Risiko hat. Wenn man sich anschaut, wie hier in Deutschland einige Anti-Corona-Demonstrationen ablaufen, ist es wahrscheinlich weitaus sicherer, an den US Open teilzunehmen, als in der Berliner Innenstadt in eine solche Demonstration hineinzugeraten.  

Wie hart ist das Tennis-Business, wie hoch ist der finanzielle Druck hinter der goldenen Fassade von Nadal, Djokovic, Federer?

Die Spieler hatten ein halbes Jahr lang sehr begrenzte Einkommen. Aber es gibt sehr viel mehr Menschen in der Welt, die sehr viel mehr unter dem Lockdown leiden. Etwa Gastronomen oder die, die ihre Arbeit verloren haben. Die haben sehr viel mehr Druck als die Top-100-Spieler, die, wenn sie halbwegs clever gelebt haben, durchaus eine Menge Geld verdient haben. In der ersten Runde der US Open gibt es 63.000 Dollar, das ist eine Menge Geld. Dafür arbeiten andere Menschen etwa in Deutschland ein ganzes Jahr lang. In anderen Ländern, wie beispielsweise Argentinien oder Serbien, gleich über mehrere Jahre. 

Preisgeldverteilung sollte sich verändern

Ex-Profi Rainer Schüttler (l.) und Dirk Hordorff arbeiteten 20 Jahre lang zusammenBild: Getty Images/Bongarts/C. Koepsel

Wie dünn ist das Eis, auf dem sich der professionelle Tennissport bewegt und wie hat die Corona-Krise die Probleme freigelegt? 

Es gibt Länder, die ihren Spielern geholfen haben. Etwa in Deutschland, wo Spieler aus der zweiten Reihe an den Pro Series teilnehmen konnten. In anderen Ländern gab es gar keine Hilfen. Und es gibt natürlich Positionen, an denen es defizitär ist, Profi-Tennis zu spielen. Steht man ungefähr an Position 400 in der Welt, sind die Ausgaben für Tennis in der Regel höher als die Einnahmen durch Preisgelder. Tennis hat durchaus ein Problem mit der Verteilung der Gelder.   

Glauben Sie an einen Weg, bei dem das Geld künftig besser verteilt wird? 

Bei den US Open sind die Preisgelder in der ersten Runde nicht gesenkt worden, sondern die Reduzierungen haben ab den Viertelfinalspielen stattgefunden. Die Thematik ist angestoßen, sie ist bekannt und sie muss gelöst werden. Aber es geht auch um die Verteilung innerhalb der Tennis-Nationen. 

Inwiefern?

Es sind wenige Länder, die Turniere wie die Grand Slams oder 1000er-Turniere beheimaten, die Profit abwerfen. Wenn man Länder nimmt wie Tschechien, das seit Jahren tolle Spieler entwickelt und eine hervorragende Nachwuchsarbeit leistet, das nimmt an der Verteilung des Kuchens nicht teil. Das muss besser geregelt werden. 

Tennis ist die einzige Sportart weltweit, die drei große Dachorganisationen hat. ITF, WTA und ATP. Halten sie das für einen guten Weg? 

Es sind ja nicht nur diese drei. Die größten Stakeholder, die am meisten Geld einnehmen, sind die vier Grand-Slam-Turniere. So hat man sieben Organisationen, die völlig selbstständig ihr Geschäft betreiben. Das ist wirtschaftlich nicht verantwortungsvoll. Tennis muss als Sportart eine gemeinsame Führung haben. Diese Entwicklung hat ihre historischen Gründe, weil der Weltverband mehr oder minder versagt und diese Freiräume eröffnet hat. Das muss aber schnell zum Wohle des Tennis verändert und Reformen müssen eingeleitet werden. 

Tennis dauert zu lange

Tennis ist oft eine langwierige Sache - viele Zuschauer bleiben nicht so lange dabeiBild: Getty Images/AFP/A.-C. Poujoulat

Welche Lösung wäre für Sie die richtige? 

Es ist natürlich sehr schwer, Organisationen und einzelnen Menschen Pfründe wegzunehmen. Aber vielleicht macht die Krise ja deutlich, dass man enger zusammenrücken muss. Ich hoffe, dass das schnell und in der Verantwortung für Tennis in großen Schritten erfolgt. In den nächsten zwei bis fünf Jahren sollte das passieren, ich hoffe es zumindest. 

Wohin sollte sich der professionelle Tennissport bewegen oder ist er auf dem richtigen Weg? 

Tennis ist auf dem richtigen Weg. Es kommt eine Generation vieler hochtalentierter Spieler nach. Viele Leute, gerade jetzt in der Corona-Zeit, haben Tennis wiederentdeckt. Aber wir müssen mehr junge Fans begeistern. Dafür müssen wir Reformen vorantreiben. Wir sind eine Sportart, die schwer kalkulierbar ist und viel zu lange dauert. Wir müssen Formate finden, die fernsehtauglicher sind. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass niemand mehr fünf Stunden vor dem TV sitzen will. Aber es wird ja auch schon verschiedentlich experimentiert. Der Reiz der Sportart sollte erhalten bleiben, aber angepasst an die neuen Gegebenheiten. Das ist die Aufgabe, die wir uns als Verband stellen müssen.   

Dirk Hordorff verantwortet als Vizepräsident des Deutschen Tennis Bundes (DTB) den Bereich Leistungssport und Jugendsport. Er betreute rund 20 Jahre als Trainer den deutschen Profi Rainer Schüttler, den er bis auf Platz fünf in der Weltrangliste führte und trainiert heute noch den Litauer Ricardas Berankis. Außerdem war Hordorff Davis-Cup-Teamchef von Taiwan. 

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